Bingener: Aus nächster Nähe zeigt sich die Komplexität der Weltkirche
Auf internationaler Ebene Veränderungen voranzubringen ist kompliziert. Beispiele aus der Politik gibt es viele. Im Anschluss an die vergangenen Klimagipfel etwa hieß es immer wieder, dass alles zu langsam gehe und wieder einmal zu wenig erreicht worden sei. Doch zugleich gilt, je größer und vielfältiger der Kreis derer ist, die an einem Prozess der Veränderung beteiligt sind und sein müssen, desto größer ist auch die Herausforderung, diesen Prozess so zu gestalten, dass alle diesen mitgehen. Ganz ähnlich ist es in der katholischen Kirche, die mit der Weltsynode zur Synodalität gegenwärtig ebenfalls einen internationalen Veränderungsprozess durchläuft. In Rom beraten dieser Tage gut 450 Teilnehmende aus den verschiedensten Ländern der Welt über die drängenden Fragen der Kirche und darüber, wie man zukünftig gemeinsam zu Entscheidungen kommen will. Schaut man aber hier in Deutschland auf die öffentlichen Kommentare zum Großereignis in Rom, schlägt einem vielerorts Ernüchterung bis Pessimismus entgegen. Für viele scheint schon jetzt festzustehen, dass die Synode hinter den Erwartungen der Menschen zurückbleiben wird.
Auch wenn bislang wenig nach außen dringt, Papst Franziskus setzt sichtbar auf Beteiligung und Dialog. Dafür stehen sinnbildlich die vielen runden Tische in der Audienzhalle, die in fast jeder Berichterstattung zu sehen waren. Aber gerade dieses Bild stieß hierzulande auf scharfe Kritik: Die Journalistin Christiane Florin etwa schrieb jüngst in einem Blogpost sarkastisch von einem "Casino-Ambiente" der Synode, in der immer noch Bischöfe das Sagen hätten, auch wenn es daneben einige "handverlesene Tischdamen" gebe. Der zentrale Vorwurf, jenseits dieser Polemik, lautet: Die Synode, wie Franziskus sie gestaltet, führt nicht dazu, dass die zentralen Probleme der Kirche angesprochen, diskutiert und die nötigen Veränderungen eingeleitet werden. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit und eine stärkere Einbeziehung von Frauen in kirchliche Entscheidungsprozesse. Unzweifelhaft legt Frau Florin oftmals vollkommen zurecht den Finger in die Wunde, wenn es darum geht, Diskriminierung in der Kirche aufzuzeigen. Im Hinblick auf das Veränderungspotential der Synode aber teile ich ihren Pessimismus nicht.
Ein Team unseres Hilfswerks missio Aachen hat das Geschehen in Rom während der vergangenen drei Wochen aus nächster Nähe begleitet. Im Campo Santo Teutonico in direkter Nachbarschaft zur Synode organsierten wir Treffen mit unseren Partnerinnen und Partnern aus den Ortskirchen Afrikas, Asiens und Ozeaniens, von denen knapp 70 an der Synode teilnehmen. Was von einigen aus dem fernen Deutschland mit einer gewissen Überheblichkeit abgetan wird, stellte sich aus der Nähe anders da.
Kritische Themen keineswegs totgeschwiegen
Kritische Themen wie die strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Kirche wurden keineswegs totgeschwiegen oder gar unterdrückt, sondern vielmehr immer wieder angesprochen – und zwar nicht zuletzt von den zahlreichen Synodenteilnehmerinnen. Die senegalesische Philosophin und Theologin Anne Béatrice Faye etwa, die als Expertin an der Synode teilnimmt und damit wesentlichen Einfluss auf die dort erstellten Dokumente hat, berichtete auf einer unserer Veranstaltungen, dass die Präsenz und Beteiligung von Frauen sowohl inhaltlich einen großen Einfluss habe als auch die Gesprächsatmosphäre präge. Faye hat im Bereich der Geschlechterphilosophie promoviert und fände die Unterstellung, als "Tischdame" vor Ort zu sein, mit Sicherheit unangebracht. Gleiches gilt für die Theologin Estela Padilla von den Philippinen, Schwester Houda Fadoul aus dem syrischen Kloster Mar Musa oder auch die Schweizerin Helena Jeppesen-Spuhler – alles zutiefst beeindruckende und entschiedene Persönlichkeiten.
Auch das Verfahren der Synode, das primär auf ein intensives Zuhören und gegenseitiges Verstehen ausgerichtet ist, erschien aus der Nähe besser und stimmiger als sein hierzulande schlechter Ruf. Die Zeiten des Schweigens und Reflektierens nach Wortbeiträgen verlangsamen zwar den Prozess, haben in einem solchen internationalen und von immenser kultureller Diversität geprägten Setting jedoch einen guten Sinn. Denn hier bedeutet Hören noch keineswegs gleich, dass man das Gehörte auch wirklich versteht und einordnen kann. Freilich, ein solches Verfahren wird deutlich langsamer zu Entscheidungen kommen. Es fragt sich jedoch, was überhaupt eine Alternative hierzu sein kann, sobald man erlebt, wie viele unterschiedliche Perspektiven, die sich oftmals kulturell nicht ohne Weiteres ineinander übersetzen lassen, in einer solchen Versammlung wie der Synode vertreten sind. Ohne genügend Zeit und einen Prozess, der strukturell Raum für Verstehen und Dialog schafft, ist es schwer vorstellbar, wie gemeinsam ein Weg der Veränderung gegangen werden kann.
Viele unserer Partnerinnen und Partner haben gegenüber uns und anderen Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirche in Deutschland deutlich gemacht, welch existenzielle Bedeutung die Kirche in ihren Gesellschaften hat. Sie ist nicht nur Identitätsstifterin, sondern vielerorts auch die einzige Instanz, die Schulbildung und Gesundheitsversorgung ermöglicht und sich gegen Korruption und Gewaltherrschaft einsetzt. Für diese Menschen ist es deshalb wichtig, dass die Kirche gemeinsam als weltweite Familie den Weg der Veränderung beschreitet. Denn ohne die Kirche, so betonten sie, bliebe ihnen nichts. In ihrem Wortbeitrag auf der Synode am vergangenen Mittwoch sprach die philippinische Theologin Estela Padilla davon, dass die Kirche auf ihrem synodalen Weg "barfuß" gehen müsse und erklärte: "Barfuß zu gehen bedeutet, eins zu sein mit den Ärmsten und mit der Erde." Ein internationaler Veränderungsprozess wie der der katholischen Kirche, muss die verschiedenen kulturellen Realitäten wahrnehmen und zu integrieren versuchen – und genau das braucht Zeit, Dialog und das Bemühen um gegenseitiges Verständnis.
Der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun sagte jüngst in einem Interview nach seinem Besuch in Rom, dass der Austausch mit Menschen aus anderen Teilen der Weltkirche, die oft erwartungsvoll auf die Synode blickten, ihm zu denken gegeben habe, ob seine pessimistische Sicht grundsätzlich richtig sei. Oftmals versteht man erst aus nächster Nähe, wie kompliziert Veränderungen in einer Institution wie der Weltkirche sind. Dann erkennt man aber auch, was vielleicht bereits erreicht wurde und wie der Weg fortgesetzt werden muss.