Beinert sieht keine dogmatischen Hindernisse für grundlegende Reformen
Der Theologe Wolfgang Beinert sieht in ausbleibenden innerkirchlichen Reformen auch eine Gefahr für das Verhältnis von Staat und Kirche. Der Staat dürfe gerade in einer immer pluraleren Religionslandschaft von der Kirche Rechtstreue im Gegenzug für ihren besonderen körperschaftlichen Status einfordern, schreibt der emeritierte Regensburger Dogmatiker in einem Gastbeitrag für die aktuelle Ausgabe der Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit". "Der freiheitliche Rechtsstaat beruht auf einer lebenswichtigen Grundlage, kurz meist die freiheitlich-demokratische Grundordnung geheißen. Er muss notwendigerweise von allen Gruppierungen auf seinem Territorium einfordern, dass sie sich dazu bekennen", so Beinert. Das könne die Kirche derzeit nicht einlösen. Es gebe aber keine unüberwindbaren dogmatischen Hindernisse für die nötigen Reformen in der Kirche.
Beinert benennt Gewaltenteilung, Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Gleichberechtigung aller Angehörigen der Staatsgemeinschaft als zentrale Punkte des Reformbedarfs: "Alle diese konkreten Grundlagen anerkennt die gegenwärtige Katholische Kirche nicht: Legislative, Exekutive und Judikative liegen in einer einzigen Hand, im Endeffekt der des römischen Bischofs; unabhängige Richter existieren nicht; durch die Wesensunterscheidung von Klerus und Laien und die Unmöglichkeit, dass Frauen geschlechtsbedingt in den ersteren nicht aufgenommen werden und damit nicht gleichen Rechtes wie dessen Mitglieder sind, zeigt, dass die Grundlagen, auf die die beiden Institutionen sich berufen, unheilbar dissonant sind." Katholische Kirche und demokratischer Rechtsstaat könnten sich daher gegenwärtig gegenseitig "prinzipiell nicht wirklich und mit allen Rechtsfolgen anerkennen", stellt der Dogmatiker fest.
Keine unüberwindbaren Reformhindernisse
Es sei aber nicht so, dass die von ihm aufgezählten Defizite zur Wesensgestalt der Kirche gehörten "und daher bei Gefahr des Identitätsverlustes unbedingt und veränderungsimmun sind". Die Kirche könne von ihrem eigenen Selbstverständnis her reformiert werden und müsse darum auch Reformen tätigen. "Selbst eine flüchtige Analyse zeigt: Die für den Status quo der Staat-Kirche-Beziehungen vorgebrachten Argumente der Bestandbewahrer zeigen: Sie tragen die Beweislast nicht, die diese ihnen aufbürden, manchmal überhaupt nicht, manchmal allenfalls auf wackeligen Füßen stehend", so Beinert. Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit könnte ohne weiteres eingeführt werden, indem die entsprechenden Entwürfe aus dem Pontifikat Pauls VI. (1963–1978) in Kraft gesetzt würden. Die heutige Leitungsstruktur der Kirche habe keine Verankerung in der Tradition, sondern sei "das Ergebnis binnenkirchlicher Befindlichkeiten des 19. Jahrhunderts". Am schwierigsten sei die Frage nach einer Weihe von Frauen zu klären, deren Verbot alle Päpste seit Paul VI. und insbesondere Papst Johannes Paul II. (1978–2005) eingeschärft hätten: "Das ist erst einmal ein untrügliches Indiz, dass der Weisung die unerlässliche Rezeption seitens der Glaubensgemeinschaft mangelt, zum anderen deutet es darauf hin, dass der Begründungsaufwand ins Leere läuft."
Der 1933 geborene Beinert wurde 1959 in Rom zum Priester geweiht, wo er an der Päpstlichen Universität Gregoriana promoviert wurde. Seine Habilitation betreute in Tübingen und Regensburg Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. (1927-2022). Bei ihm war Beinert auch wissenschaftlicher Assistent. Der Bamberger Diözesanpriester ist seit 1978 als Seelsorger an seinem Wohnort Pentling bei Regensburg tätig. Seit 1998 ist er als Professor emeritiert. (fxn)