Mehr Auseinandersetzungen und Dialog

Neues Motu Proprio: Papst fordert "mutige Kulturrevolution"

Veröffentlicht am 02.11.2023 um 17:40 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ In der Theologie soll es zu einem Wendepunkt kommen. Das fordert Papst Franziskus in seinem neuen Motu Proprio "Ad theologiam promovendam". Es gelte, den Dialog mit den Humanwissenschaften zu intensivieren, um neue Wege gehen zu können.

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Zu nicht weniger als einer "mutigen Kulturrevolution" ruft Papst Franziskus Theologinnen und Theologen auf. Sie sollen die Lebensweise von Menschen in der heutigen Zeit stärker in den Blick nehmen. Dem Kirchenoberhaupt geht es um einen Paradigmenwechsel in der theologischen Reflexion: mehr Kontextualität, mehr Auseinandersetzung und vor allen Dingen mehr Dialog mit den Humanwissenschaften. Um die Theologie der Zukunft zu fördern, dürfe man sich daher "nicht auf Formeln und Schemata der Vergangenheit beschränken" und diese in abstrakter Form neu anbieten, sondern "die Gegenwart prophetisch deuten und neue Wege für die Zukunft" suchen.  

Das am Mittwoch veröffentlichte Motu Proprio "Ad theologiam promovendam" spricht unter anderem von einer "grundlegend kontextuellen Theologie", die das Evangelium unter den Bedingungen des Alltagslebens der Menschen lesen und interpretieren müsse. Der Papst fordert darin einen intensiveren Dialog mit Frauen und Männern christlicher Konfessionen, Religionen und Traditionen, sowie mit anderen wissenschaftlichen, philosophischen, humanistischen und künstlerischen Erkenntnissen. Damit ist Franziskus nicht allein: Schon der Orientierungstext "Auf dem Weg der Umkehr und der Erneuerung" des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland bezeichnete die Erkenntnisse anderer Wissenschaften als "unverzichtbar" für die Theologie. Die Weltsynode und die Synthese der ersten Sitzungsperiode scheinen den Weg für ein solches Papstschreiben geebnet zu haben. Dort war von "anthropologischen Kategorien" die Rede, die angesichts neuer Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr ausreichten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing befand das in einem Statement zum Abschluss der Weltsynode als sehr fortschrittlich: "Wenn die Synode sagt, dass bisherige Formulierungen in der kirchlichen Lehre vom Menschen hier nicht mehr ausreichen, und dass sie sich an diesem Punkt, auch mit Unterstützung aus der Wissenschaft, weiter bewegen muss, dann ist das ein enormer Schritt nach vorne."

Neue Wege für die Zukunft

Im neuen Motu Proprio appelliert der Papst daher an Theologinnen und Theologen, neue Wege für die Zukunft zu suchen. Dies geschehe vor allem "in einer Kultur des Dialogs und der Begegnung zwischen verschiedenen Traditionen und unterschiedlichem Wissen". Stichwort: Transdisziplinarität. Verschiedene Perspektiven und Ansätze werden verfolgt, um zu einem besseren Verständnis zu gelangen. In dieser Auseinandersetzung mit den verschiedenen Wissensbeständen und Traditionen, mit Gläubigen und Nichtgläubigen, sieht der Papst ein Netz von unterschiedlichen Beziehungen, die vor allem neue Perspektiven und Blickwinkel hervorheben können. Die Theologie bekäme dadurch eine neue, aber auch schwierige Aufgabe, die neuen Kategorien, die sich aus anderen Erkenntnissen ergeben, zu nutzen, um "die Wahrheiten des Glaubens zu durchdringen und zu vermitteln" und die "Lehre Jesu in den Sprachen von heute mit Originalität und kritischem Bewusstsein zu vermitteln".

Dieser Dialog mit anderen Wissensformen setzt jedoch den Dialog innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft und das Bewusstsein einer gemeinschaftlichen und synodalen Dimension der Theologie voraus. Papst Franziskus hat dazu in einer Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission im November 2022 gesagt:  "Die kirchliche Synodalität verpflichtet daher die Theologen, Theologie in synodaler Form zu betreiben, indem sie untereinander die Fähigkeit fördern, zuzuhören, in Dialog zu treten, zu unterscheiden und die Vielfalt und Verschiedenheit der Instanzen und Beiträge zu integrieren." Synodalität ist eines der zentralen Motive des Pontifikats von Papst Franziskus und das Kernthema der Weltsynode. Schon im ersten Teil der Beratungen sollte das Hören auf vielfältige Beiträge und Anliegen mehr oder weniger eingeübt und praktiziert werden. Diese Art und Weise soll nach dem Willen des Papstes nun auch in den theologischen Kontext übertragen werden.

Deutsche Bischöfe: Kirche darf Wissenschaft nicht länger ignorieren

Schon im Jahr 2015 hatte Papst Franziskus in einem Brief an den Großkanzler der Katholischen Universität von Argentinien, Kardinal Mario Aurelio Poli, Professoren und Studierende vor einer rein theoretischen Theologie gewarnt, die nur am Schreibtisch betrieben werde. Es gehe darum, die Erfahrungen der Menschen wahrzunehmen und sich nicht nur mit einer "Schreibtisch-Theologie zu begnügen", so der Papst damals. Viel wichtiger für die theologische Reflexion sei, bei den Menschen zu sein, sie "wahrzunehmen und ihre Wunden zu heilen". Dazu gehöre eine neue Haltung der Weltoffenheit, die die konkreten existentiellen Situationen, die Probleme und Herausforderungen der Menschen im Blick hat. Vor einer Theologie, die sich im akademischen Disput erschöpft oder die Menschheit aus einem Glaspalast betrachtet, müsse man sich hüten. Das neue Motu Proprio bekräftigt diese Sichtweise von 2015, wenn es von kontextueller Theologie spricht.

Synodalversammlung
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Schon der deutsche Synodale Weg bezeichnete die Erkenntnisse anderer Wissenschaften als "unverzichtbar" für die Theologie.

Mit dem neuen Denken soll es nicht mehr zur Verschließung in Selbstreferenzialität kommen, was in Isolation und Bedeutungslosigkeit führt. Eine "synodale, missionarische und aufgeschlossene Kirche kann demnach nur einer aufgeschlossenen Theologie entsprechen", so der Papst im Motu Proprio. Theologie soll nicht für sich arbeiten, sondern transdisziplinär mit anderen Wissenschaften ins Gespräch kommen. Dieser Aspekt ist nicht neu und wurde auch lange vor der Weltsynode von deutschen Theologinnen und Theologen gefordert, aktuelle naturwissenschaftliche und ethische Erkenntnisse zu konsultieren – vor allem in Hinblick zu Sexualität und Partnerschaft. Mehrere Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz organisierten daher schon 2021 eine wissenschaftliche Tagung zum Thema der sexuellen Orientierung des Menschen aus humanwissenschaftlicher und theologischer Sicht. Dort wurde klargestellt, die Kirche könne nicht mehr länger die Erkenntnisse der Wissenschaft ignorieren. Zu dieser Entscheidung ist nun auch die Weltsynode gekommen, obwohl noch im vergangenen Jahr der damalige Glaubenspräfekt Kardinal Luis Ladaria Verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse in den Texten des Synodalen Wegs abgelehnt hatte.

Papst Franziskus hat mit "Ad theologiam promovendam" nach fast fünf Jahrzehnten die Normen der Päpstlichen Theologischen Akademie aktualisiert, die 1718 unter der Schirmherrschaft von Papst Clemens XI. gegründet wurde. Ursprünglich für die theologische Ausbildung des Klerus zuständig, wurde die Akademie im Laufe der Jahre immer wieder angepasst, etwa um theologische Themen von besonderer Relevanz zu erforschen und zu vertiefen. Nun sei es an der Zeit, den Schwerpunkt des 200 Jahre alten Instituts zu einem transdisziplinären Dialog mit Philosophie, Wissenschaften und Künsten zu verlagern. Die neuen Standards sollen den Auftrag anpassen, den "unsere Zeit der Theologie stellt", so Franziskus. Dieser Paradigmenwechsel in der Theologie bedeute nicht nur für die Akademie, sondern vor allem für die Theologinnen und Theologen, die Auseinandersetzung und den Dialog in allen Wissensbereichen zu fördern, um letztlich das ganze Volk Gottes zu erreichen und in die theologische Forschung einzubeziehen, so der Präsident der Akademie, Antonio Staglianò. Die Synodalversammlung jedenfalls hat gezeigt, wie notwendig dieser Schritt ist.

Von Mario Trifunovic