Wie Papst Franziskus der Theologie Dampf machen möchte
Kurz nach Abschluss der ersten Runde der Weltsynode verpasst der Papst einer seiner Akademien erneuerte Statuten und nutzt dies für einen Appell weit darüber hinaus. Was der Papst zu Beginn seines neuen Erlasses "Ad theologiam promovendam" vom 1. November schreibt, ist einerseits banal: "Die Förderung der Theologie für die Zukunft kann sich nicht darauf beschränken, abstrakt Formeln und Schemata aus der Vergangenheit neu vorzuschlagen."
Schon im zweiten Satz aber zieht Franziskus die ganz großen Perspektiven auf. Vielmehr sei die Theologie "berufen, die Gegenwart prophetisch zu deuten und im Licht der Offenbarung neue Wege für die Zukunft zu erkennen". Dabei müsse sie sich "mit tiefgreifenden kulturellen Veränderungen auseinandersetzen". Denn: "Wir leben nicht in einer Epoche von Veränderungen, sondern durchleben einen Wechsel von Epochen." So hatte Franziskus es den eigenen Mitarbeitern schon in seiner ersten Weihnachtsansprache als Papst eingebläut.
Ebenso legt er den Theologen ans Herz – oder schärft es ihnen ein: Eine Kirche "in uscita", eine die aus sich heraus- und zu den Menschen geht, brauche eine entsprechende Theologie. Dazu gehört auch der offene Dialog mit anderen Konfessionen, anderen Religionen und Nichtglaubenden. Insgesamt solle Theologie volks- und menschennäher werden. Wie gute Hirten den Geruch ihrer Schafe annähmen, so gute Theologen den Geruch der Menschen um sie herum an, formuliert der Argentinier in der blumig-methaphorischen Sprache romanischer Nationen. Diese dürfe aber keine taktische Haltung sein, sondern müsse "zu einem epistemologischen und methodologischen Umdenken anspornen".
Theologie solle sich "neuer Kategorien" bedienen
Theologisches Nachdenken brauche "eine Wende, einen Paradigmenwechsel, eine mutige Kulturrevolution". Diese führen laut Franziskus zu einer "grundlegend kontextuellen Theologie, die in der Lage ist, das Evangelium unter den Bedingungen zu lesen und zu interpretieren, unter denen Männer und Frauen tagtäglich in unterschiedlichen geografischen, sozialen und kulturellen Umgebungen leben". Dafür seien zwei Dinge besonders wichtig: ehrlich-offener Dialog und grundlegend "transdisziplinäres Arbeiten".
Nur multi- oder interdisziplinär zu denken und zu arbeiten, ist laut Franziskus zu wenig. Die Theologie habe vielmehr die schwierige Aufgabe, "sich neuer Kategorien zu bedienen, die von anderen Wissenschaften entwickelt wurden, um die Glaubenswahrheiten zu durchdringen und mitzuteilen und die Lehre Jesu in den Sprachen von heute mit Originalität und kritischem Bewusstsein zu vermitteln".
All dies, so die Einschätzung des Salzburger Theologen Hans-Joachim Sander, öffne "der zeitgenössischen Theologie keine Türen, die sowieso nicht schon offen wären". "Alle diese Linien stammen aus einer befreiungstheologische ausgerichteten Theologie des letzten Jahrhunderts", erklärte Sander gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Es ist fein, dass das nun vom Papst gesagt wird, aber es wird dadurch nicht wahrer, als es sowieso schon ist."
Definitiv eine Stärke des Textes sei die geforderte "nötige Kulturveränderung in der katholischen Kirche. Also das, was das synodale Moment ja bringen soll", so Sander. "Mit weniger als dieser kulturwandelnden Synodalität als eine Art weiterem Kirchenmerkmal – nach 'eine, heilige, katholische und apostolische Kirche' – geht es nicht." Synodalität bedeute für die Theologie ein methodisch induktives Vorgehen. "Die Frage ist, ob das reicht oder ob doch noch viel mehr nötig ist. Aber immerhin, das ist jetzt Diskursstand."
"Alle neueren Entdeckungen in der Theologie taten und tun der Kirche weh"
Als eher schwach bewertet Sander, der in Salzburg Dogmatik lehrt, den päpstlichen Verweis auf das Zusammenspiel von Wissenschaft und Weisheit in der Theologie. Weisheit, verstanden als Zusammenspiel von Wahrheit und Liebe, dient laut Franziskus dazu, dass wissenschaftliche Vernunft "sich nicht entmenschlicht und verarmt".
Für die professionelle Theologie könne das nicht gelten, so Sander. Da wäre "'Weisheit' nur eine Selbstbeschränkung auf Innovationen, die nicht weh tun. Aber so gut wie alle neueren Entdeckungen in der Theologie taten und tun der Kirche weh, weil sie lange nichts davon wissen wollte." Formal ist das dreiseitige Dokument das Begleitschreiben zur Approbation neuer Statuten für die Päpstliche Theologie-Akademie. Die ist eine Art Thinktank und wurde 1695 in Rom gegründet. Seither erhielt sie drei päpstliche Updates ihrer Statuten: 1718, 1836 und zuletzt 1999 durch Johannes Paul II.
In Punkt 9 formuliert Franziskus recht detaillierte Hausaufgaben für die Akademie. Die scheint sie wohl nötig zu haben. Von ihr ist deutlich weniger zu hören als etwa von den Päpstlichen Universitäten oder der Internationalen Theologenkommission. "Ich begrüße jene an mich gerichteten Voten, diese neuen Normen zu billigen", schreibt der Papst. Indem er diesen nachgebe, wünsche er, "dass diese hervorragende Stätte der Gelehrsamkeit an Qualität gewinnt". Eine freundliche, aber bestimmte Ansage. Laut Franziskus nun soll Theologie dialogisch sein, offen für Neues und Anderes, menschennah, fromm, demütig und praxisrelevant. Davon, so die Ansage des Schreibens, sollten sich jeder Theologe, jede Theologin fehlende Scheiben abschneiden.