Strickland nach der Absetzung: Der geschasste Bischof bleibt sich treu
Mit seiner Entlassung kokettierte Bischof Joseph Strickland schon vor drei Jahren. "Wenn sie mich rauswerfen, weil ich nicht politisch korrekt bin: dann feuert mich eben!", sagte er in einem Interview. Damals ging es um die Untersuchung des Falls des Missbrauchstäters und mittlerweile aus dem Kardinalsstand entlassenen und laisierten Theodore McCarrick: Strickland kritisierte, dass der Untersuchungsbericht durch den Vatikan viel zu spät und zu langsam veröffentlicht worden sei. Das zeige, dass es Böses in der Kirche gebe. Im selben Interview legte er später noch einmal nach: Jeder wisse, dass es im Vatikan das Böse gebe, nämlich Korruption. Das sei in der Kirche genauso wie in den USA: Es seien dokumentierte Fakten, dass es einen "deep state" in den USA gebe, in dem die Medien, die Regierung und "Menschen mit Geld" die Wahrheit manipulierten, und so sei es auch in der Kirche.
Der Fall McCarrick war die Initialzündung dafür, dass aus dem verhältnismäßig unbekannten Bischof der kleinen texanischen Diözese Tyler eine Art Medienstar wurde. Seit 2018 gehört er zu den Unterstützern von Carlo Maria Viganò. Der ehemalige päpstliche Nuntius für die USA warf Papst Franziskus vor, wider besseren Wissens und trotz von Papst Benedikt XVI. auferlegten Sanktionen den damaligen Kardinal faktisch rehabilitiert zu haben. Dagegen stärkte selbst Kardinal Gerhard Ludwig Müller dem Papst den Rücken und stützte seine Darstellung, dass von Sanktionen gegen McCarrick nichts bekannt gewesen sei. Viganò verband seine Vorwürfe mit der Forderung nach einem Rücktritt von Papst Franziskus und radikalisierte sich zusehends. Ein Höhepunkt war ein Manifest im Mai 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie. Unter dem dem Johannesevangelium entnommenen Titel "Veritas liberabit vos" ("Die Wahrheit wird euch frei machen") wurden die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie als "Vorspiel zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht" bezeichnet. Strickland gehörte zu den Erstunterzeichnern des Manifests, zusammen mit weiteren prominenten Papstgegnern: Unterschrieben hatten unter anderem der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Müller, und der kasachische Weihbischof Athanasius Schneider.
Über seinen Twitter-Account und Auftritte in reaktionären katholischen US-Medien äußerte sich Strickland regelmäßig zu aktuellen Fragen – nicht nur mit Blick auf Papst, Kirche und Theologie, sondern auch immer wieder politisch. Als ein Priester der Diözese La Crosse den damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und seine demokratische Partei als "gottlos" bezeichnete, sprang Strickland dem von seinem eigenen Bischof gemaßregelten Priester bei. Nach der Präsidentschaftswahl beteiligte sich Strickland im Dezember 2020 mit einem Gebet per Videobotschaft an einer Demonstration von Trump-Unterstützern, die den Wahlsieg Bidens nicht anerkennen wollten.
Immer schärfere Papstkritik
An Papst Franziskus selbst ließ Strickland in den vergangenen Jahren kein gutes Haar. Die Weltsynode? Soll eine "böse und falsche Botschaft" verbreiten. "Diese ganze Synodalität ist meiner Meinung nach Müll. Das ist einfach kein Leben nach der Wahrheit", sagte er im Rückblick auf die Jugendsynode 2018. Unter Franziskus hält der Bischof die Kirche für schwach und viel zu unklar: "Wir haben uns darauf verlassen, dass das Papsttum ein Leuchtfeuer der Klarheit und Stabilität ist. Aber es ist einfach nicht mehr klar und stabil." Vor allem die kleinen Schritte auf queere Menschen zu, die Papst Franziskus in seiner Amtszeit unternommen hat, sind ihm ein Dorn im Auge. "Verwirrend und sehr gefährlich" seien dessen für katholische Verhältnisse wertschätzende Worte für gleichgeschlechtliche Partnerschaften gewesen, sagte Strickland schon 2020. Das Durchgreifen des Papstes gegen die vorkonziliare Liturgie sei "kurzsichtig", mit "stumpfem und autoritären Ton" habe Franziskus die Alte Messe eingeschränkt: Statt die Einheit der Kirche zu fördern, habe Franziskus mit seinem Erlass die Gläubigen weiter auseinandergetrieben.
Dieses Jahr im Mai folgte ein Frontalangriff. Auf Twitter bekannte sich Strickland zwar dazu, dass er glaube, dass Franziskus Papst sei: "Aber für mich ist es an der Zeit zu sagen, dass ich sein Programm, das Glaubensgut zu untergraben, ablehne. Folgen Sie Jesus." War es dieser Tweet, der das Fass zum Überlaufen brachte? Danach ging es nämlich Schlag auf Schlag. Im Juni berichteten erste Medien darüber, dass das Bistum Tyler einer apostolischen Visitation unterzogen worden sei. Ohne die Visitation zu bestätigen, zeigte sich Strickland auf Twitter als Märtyrer: "Für das Sprechen der Wahrheit verfolgt zu werden, ist eine Ehre, die jeder Christ annehmen sollte."
Im September sorgte die Nachricht des vatikanischen Pressesaals für Spekulationen, dass am selben Tag der Präfekt des Bischofsdikasteriums, Erzbischof Robert Francis Prevost, und der amtierende US-Nuntius, Erzbischof Christophe Pierre, beim Papst waren. Unter Berufung auf Vatikan-Insider berichteten Medien, dass an diesem Termin der Rücktritt des Bischofs von Tyler auf der Tagesordnung stand. Denn anscheinend ging man zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass man im Fall Strickland das übliche diskrete Vorgehen zum Absetzen unliebsamer Bischöfe anwenden könne: In der Regel wird Bischöfen die Möglichkeit gewährt, einigermaßen gesichtswahrend ihren Rücktritt selbst zu erklären.
Rücktritt kommt für Strickland nicht in Frage
Notwendig ist das nicht. Mit dem ehemaligen Glaubenspräfekten Kardinal Müller sprang Strickland im Oktober ein anderer prominenter Papstkritiker zwar zur Seite. "Was mit Bischof Strickland gemacht wird, ist schrecklich, es ist ein Amtsmissbrauch gegen das göttliche Recht des Bischofsamtes", gab er zu Protokoll. Doch der Papst ist in seinem Handeln völlig frei und kann jeden Bischof jederzeit absetzen, ohne an irgendwelche Regeln gebunden zu sein. Das gehört zum Jurisdiktionsprimat – ein Dogma.
Strickland selbst hatte sich schon kurz nach dem Treffen von Papst, Bischofspräfekt und Nuntius selbst zu Wort gemeldet und klar gemacht, dass die Rücktrittsoption für ihn nicht im Raum steht: "Grundsätzlich kann ich nicht den Auftrag zurückgeben, den Papst Benedikt XVI. mir gegeben hat. Der Auftrag kann natürlich von Papst Franziskus zurückgenommen werden. Aber ich kann nicht aus freien Stücken meine Herde im Stich lassen, die mir als Nachfolger der Apostel anvertraut wurde."
Dass das übliche Vorgehen angewandt werden sollte, bestätigte am Tag der Entlassung der Erzbischof von Galveston-Houston, Kardinal Daniel DiNardo. Er steht der Kirchenprovinz vor, zu der das Bistum Tyler gehört. DiNardo bestätigte in seiner Mitteilung den bisher bekannten Ablauf: Im Juni habe eine Apostolische Visitation des Bistums durch den Bischof von Camden (New Jersey), Dennis Sullivan, und den emeritierten Bischof von Tucson (Arizona), Gerald Kicanas, stattgefunden. Die beiden Bischöfe hätten alle Aspekte der Amtsführung und des Führungsstils Stricklands untersucht: "Als Ergebnis der Visitation wurde dem Heiligen Vater die Empfehlung ausgesprochen, dass die Weiterführung des Amtes von Bischof Strickland nicht tragbar sei." Details zu den festgestellten Problemen gibt es nicht. Der Visitationsbericht ist wie üblich nicht öffentlich. Quellen im Umfeld des Bischofsdikasteriums zufolge soll aber nicht nur das öffentliche Gebaren für den Rücktritt gesprochen haben, sondern auch handfeste Probleme in der Amtsführung. Unter anderem sollen die Finanzen der Diözese, katholische Schulen und die Personalführung in der Bistumsverwaltung untersucht worden sein.
Monate des Abwägens, dann geht es schnell
DiNardo berichtet von Monaten sorgfältigen Abwägens durch das Bischofsdikasterium und den Papst, bis schließlich die Entscheidung gefallen sei. Am 9. November sei Strickland aufgefordert worden, zurückzutreten. "Nachdem er am 9. November 2023 mit dieser Bitte konfrontiert wurde, lehnte Bischof Strickland es ab, sein Amt niederzulegen. Daraufhin enthob der Heilige Vater am 11. November 2023 Bischof Strickland des Amtes des Bischofs von Tyler", so DiNardo weiter. Am selben Tag erschien die knappe Meldung im Bollettino, dem täglichen Pressebriefing des Vatikans, wie immer kurz nach 12 Uhr am Mittag römischer Ortszeit.
High noon in Rom ist früher Morgen in Texas. Gegen fünf Uhr texanischer Ortszeit äußerte sich Strickland zum ersten Mal gegenüber "Lifesitenews", einem reaktionären katholischen US-Online-Magazin mit guten Drähten zu den bischöflichen Papstgegnern. Der Bischof sei etwas benommen, aber mit sich selbst im Reinen, sagte er: "Ich würde alles genau so noch einmal machen. Ich fühle mich geborgen im Frieden des Herrn und in der Wahrheit, für die er gestorben ist." Nach wie vor stehe er zu all seinen Entscheidungen, vor allem zu der Entscheidung, die Einschränkungen der vorkonziliaren Liturgie nicht umgesetzt zu haben. In einem ausführlichen Interview, das nach Angaben von "Lifesitenews" sechs Stunden nach der Entlassung geführt wurde, zeigte sich Strickland zunächst konziliant und forderte seine Anhänger auf, für Papst Franziskus zu beten, ohne von seiner Kritik Abstand zu nehmen. Nur einen einzigen Grund für seine Entlassung könne er erkennen: "Es gibt Kräfte in der Kirche, die die Wahrheit des Evangeliums nicht wollen."
Vigàno und Schneider stehen fest an seiner Seite
Nach den Frontalangriffen auf den Papst war der Rauswurf wohl unvermeidbar. Für den Papst dürfte das aber keine Entwarnung darstellen: Schon jetzt wird Strickland zum Märtyrer gemacht. Schützenhilfe erhielt Strickland etwa aus Kasachstan. Weihbischof Athanasius Schneider verglich den seines Amts enthobenen Bischof mit seinem Namensvetter: "Bischof Strickland wird wohl in die Geschichte als 'Athanasius der Kirche der USA' eingehen", schrieb er auf Twitter – nur sei Strickland nicht wie der Kirchenvater vom Staat, sondern vom Papst selbst verfolgt worden. Athanasius, der Bischof von Alexandria, war ein Gegner des Arianismus, einer der bedeutendsten Häresien in der Zeit der frühen Kirche. Unvermeidbar ist auch die Solidarität von Erzbischof Viganò: Er sprach auf Twitter von einer "feigen Form des Autoritarismus", die überhaupt nicht zu "Bergoglios Tiraden über 'Gastfreundschaft' und 'Inklusion' passen". Jetzt werde sich zeigen, wer "auf der Seite der wahren Kirche Christi steht und wer sich auf die Seite ihrer erklärten Feinde" schlage: "Wer schweigt und diesen x-ten Verstoß gegen die grundlegendsten Prinzipien von Gerechtigkeit und Wahrheit erträgt, macht sich zum Komplizen eines Umstürzlers", so Viganò.
So zurückhaltend Stricklands eigene erste Reaktion war: Wie es nun weitergeht, zeigen wohl eher die deutlichen Positionen von Schneider und Viganò. Die beiden Bischöfe haben mit ihrer Verteidigung Stricklands den Ton eines apokalyptischen Kampfs zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Lüge gesetzt, den auch der ehemalige Bischof von Tyler vor seiner Absetzung gerne bespielte, und der in den Kreisen von Papstgegnern seit Jahren herrscht.
In Tyler indes wurde der Bischof der Diözese Austin, Joe Vásquez, zum Apostolischen Administrator ernannt. "In dieser Zeit des Übergangs beten wir, dass Gott die Kirche und Gottes heiliges, treues Volk hier und in der ganzen Welt weiterhin reichlich segnen und stärken möge", ist auf der Webseite der Diözese in der ersten Reaktion auf die Entlassung zu lesen. Für den kommenden Samstag hat eine konservative Gruppe einen "March on Tyler" angekündigt, um mit einer Rosenkranz-Prozession "die heilige Mutter Kirche und Bischof Joseph Strickland" zu unterstützen. Der Bischof selbst ruft über Twitter auf, daran teilzunehmen und hofft darauf, dass der Protest "im Gebet, respektvoll und auf Jesus gerichtet" abläuft. Auf einen Rückzug deutet nichts hin. Für Strickland geht der Kampf weiter.