Weiler: Hoffe, dass Kirchenversammlungen Bischofskonferenzen ersetzen
Das Abschlussdokument der Weltsynode 2023 thematisiert mehrfach die Notwendigkeit, sich als Kirche mehr zu vernetzen und das Miteinander zu suchen. Eine Option dazu sind sogenannte Kirchenkonferenzen, also Zusammenschlüsse mehrerer Bischofskonferenzen mit Laiinnen und Laien. Die Kontinentalversammlungen der Weltsynode wurden vom Vatikan als Kirchenkonferenzen bezeichnet. Während Kirchenkonferenzen weltweit bisher nur anlässlich der Weltsynode zusammenkamen, gibt es in Südamerika eine dauerhafte Einrichtung: die Kirchenkonferenz CEAMA ("Conferencia Ecclesial de la Amazonía"). Papst Franziskus erlaubte den Zusammenschluss nach der Amazonassynode. Im Herbst 2022 wurden die CEAMA-Statuten probeweise zugelassen. Die deutsche Ordensfrau und Professorin Birgit Weiler lebt seit Jahrzehnten in Südamerika. Mit katholisch.de hat sie über die Kirchenkonferenz gesprochen.
Frage: Schwester Birgit, bei der Amazonassynode gab es viele Forderungen, die am Ende unter den Tisch gefallen sind. Ein Ergebnis ist aber die Kirchenkonferenz "CEAMA". Sie hat die Aufgabe, Synodalität in Amazonien auszubauen und das spezifische Gesicht der Kirche im Amazonasgebiet herauszuarbeiten. Wie muss man sich das vorstellen?
Birgit Weiler: Das Präsidium der Kirchenkonferenz beruft regelmäßig Vollversammlungen ein, an denen Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Berufungen innerhalb der Kirche teilnehmen: Priester, Laien, Laiinnen, Ordensleute und mehrere Bischöfe als gewählte Vertreter ihrer jeweiligen Region, sowie Repräsentanten und Repräsentantinnen kirchlicher und indigener Organisationen und Netzwerke. In den Versammlungen werden in einem geistlichen Prozess miteinander die Zeichen der Zeit gelesen, um den Ruf Gott an die Kirche zu ergründen. Dabei ist eine zentrale Frage: Wie soll die Kirche im gegenwärtigen Kontext in Treue zum Evangelium handeln? Die getroffenen Entscheidungen sind für Bischöfe und alle anderen Teilnehmer bindend.
Frage: Nach ihrer Erfahrung mit CEAMA. Sind Kirchenkonferenzen die Zukunft der Kirche?
Weiler: Ich hoffe, dass Kirchenkonferenzen mit der Zeit Bischofskonferenzen ersetzen werden. Das wäre für mich konsequent synodal.
Frage: Welche Themen werden bei den Versammlungen besprochen?
Weiler: Das sind zum einen die Anliegen der indigenen Völker wie die Anerkennung und den Schutz ihrer Rechte, zum anderen die Anliegen der afrikanischstämmigen Gemeinschaften, der in Armut lebenden Kleinbauern und Bäuerinnen und der vielen Menschen, die in den Armutsvierteln der Städte leben. Es geht auch darum, als Kirche miteinander auf Fragen des Klimawandels zu antworten. Auch die zunehmende Zerstörung Amazoniens und ihre katastrophalen Auswirkungen auf das Klima vor Ort und weltweit – in weiten Teilen Aamazoniens leiden Mensch und Erde gegenwärtig unter einer starken Dürre – ist ein zentrales Thema.
Frage: Das sind umweltpolitische und gesellschaftspolitische Themen. Wird bei CEAMA auch über Kirchenpolitik diskutiert?
Weiler: In Amazonien lassen sich Gesellschaftspolitik, Umweltpolitik und Kirchenpolitik nicht scharf voneinander trennen, sie gehören zu einer ganzheitlichen Verkündigung des Evangeliums dazu. Ein wichtiges Thema ist die Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft. Im Amazonasgebiet leiten und begleiten viele Frauen, insbesondere Ordensfrauen, Gemeinden und koordinieren die Pastoral. An entlegenen Orten ist die Kirche nur dank der Frauen präsent. Auch das Engagement für eine interkulturelle zweisprachige Schulbildung ist ein Thema. Ebenso diskutieren wir über die fortschreitende Inkulturierung des christlichen Glaubens und der Kirche in die verschiedenen Kontexte Amazoniens. Darunter fällt auch die Gestaltung eines gemeinsamen Ritus.
Frage: Welche Fragen der Weltsynode spielen bei Ihnen eine Rolle?
Weiler: Zum einen stellt sich die Frage nach neuen Diensten und Ämtern in der Kirche sowie die Frage nach den "viri probati". Das war schon Thema auf der Amazoniensynode. Es ist jedoch erstaunlich, dass dieses Thema auf der ersten Vollversammlung der Weltsynode nur am Rande angesprochen worden ist. Deutlicher wurde in Rom dagegen über das Thema eines sakramentalen Diakonats der Frau gesprochen. Die Realität in Amazonien und an vielen anderen Orten ist, dass zahlreiche Frauen vielfältige diakonale Dienste verrichten. Sie bezeugen darin die Liebe Christi zu den Menschen, insbesondere zu denen, die gesellschaftlich marginalisiert oder ausgegrenzt sind. Die Weihe der genannten Frauen wäre ein wichtiges Zeichen, dass die Kirche ihre Berufung und ihr Charisma anerkennt. Das wünschen auch viele Gemeinden in Amazonien, die die diakonalen Dienste von Frauen erfahren. Anfang Juni waren deswegen drei indigene Frauen, Patricia Gualinga, Schwester Laura Vicuña Pereira, Vizepräsidentinnen von CEAMA, und Yesica Patiachi, Vize-Präsidentin des Panamazonischen Kirchlichen Netzwerks REPAM, in einer Privataudienz bei Papst Franziskus.
Frage: Worum ging es da?
Weiler: Sie haben mit ihm über die Situation der Frauen in Amazonien gesprochen und ihn gebeten, die Möglichkeit für ein sakramentales Diakonat zu eröffnen. In dem Gespräch haben sie betont, dass zahlreiche Frauen im Geiste Jesu schon jetzt diakonale Dienste verrichten und deshalb um die Anerkennung und Wertschätzung ihres Dienstes bitten.
Frage: Auch sakramentale Dienste?
Weiler: In Amazonien gehört es auch zur Kultur, dass sich Menschen, die schwer krank sind, vor ihrem Tod mit der Familie und mit Gott aussöhnen möchten. Christen bitten daher um das Sakrament der Versöhnung. Da in vielen Fällen ein Priester zu weit weg ist, legen die Menschen ihre Lebensbeichte oft bei Ordensschwestern ab. Diese beten dann mit den Menschen um Vergebung und vermitteln ihnen durch Schriftwort und Gebet die vergebende und versöhnende Liebe Gottes. Es ist ihnen jedoch versagt, gültig im Namen Gottes die Absolution zu erteilen. Das ist für viele schwer kranke und sterbende Menschen im Amazonasgebiet eine sehr schmerzliche Situation. Aufgrund der Vorenthaltung dieses Sakramentes entbehren Menschen eine für sie wesentliche sakramentale Erfahrung der Liebe Gottes am Ende ihres Lebensweges. Auch darüber haben die Frauen mit dem Papst gesprochen.
Frage: Und was haben die Frauen von der Papst-Audienz erzählt?
Weiler: Der Papst hat ihnen intensiv zugehört und betont, wie wichtig die Rolle der Frauen in der Kirche ist. Ebenso hat er das starke Glaubenszeugnis vieler Frauen in Amazonien sowie die Ausübung ihrer Dienste und nicht-sakramentalen Ämter gewürdigt. Er ist sich bewusst, dass an zahlreichen Orten Amazoniens die Kirche nur dank des Glaubensengagements von Frauen präsent ist. Zugleich hat er auch betont, dass sich dringend etwas in der Kirche ändern müsse zugunsten einer stärkeren Teilhabe von Frauen an Prozessen zur Entscheidungsfindung und dem Treffen von Entscheidungen sowie an Leitungsverantwortung in der Kirche. Aber die Frage nach einem sakramentalen Diakonat der Frau hat er offengelassen.
Frage: Das sind alles Themen, die nicht erst bei der Amazonassynode auf der Liste standen und auch jetzt bei der Weltsynode diskutiert werden. Sind diese globalen Diskussionen zielführend oder braucht es viel mehr regionale Lösungen?
Weiler: In der Kirche sind wir gerufen, noch mehr Schritte in der Dekolonialisierung unserer Beziehungen zu tun, um einander auf Augenhöhe zu begegnen. Wichtig dabei ist die Dezentralisierung unserer Kirche. Papst Franziskus hat bereits vor zehn Jahren in seinem Apostolischen Schreiben "Die Freude des Evangeliums" geschrieben, dass es nicht angebracht ist, "dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen" und von der Notwendigkeit einer "heilsamen Dezentralisierung" gesprochen. Im selben Schreiben hebt er ebenso hervor, dass er den Bischofskonferenzen eine gewisse authentische Lehrautorität zuschreibt. Auch das Apostolische Schreiben zur Reform des Vatikans betont, wie wichtig eine Dezentralisierung der Kirche ist und dass sie in der Praxis vorangebracht werden muss. Dazu wurden jetzt Schritte auf der ersten Vollversammlung der Weltsynode in Rom getan.
Frage: Welche Gefahren sehen Sie dabei?
Weiler: Eine Gefahr ist, die regionalen Unterschiede in Kategorien von progressiv oder konservativ zu denken oder von unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu sprechen, wobei es dann schnell zu Bewertungen kommen kann, die die Anderen verletzen, zum Beispiel dann, wenn sie als rückständig und noch nicht genügend entwickelt betrachtet werden. Eine konkrete Gefahr ist die Abwertung anderer Kulturen und die mangelnde Bereitschaft zu Empathie. Es braucht Sensibilität für die oft sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Realitäten, ein wertschätzendes Wahrnehmen von Aufbrüchen, die in anderen Kontexten in jeweils eigenen Zeitrhythmen geschehen. Die Weltsynode ist diesbezüglich ein wichtiger Lernprozess für alle.
„Dezentralisierung und somit größere Verantwortung und Entscheidungskompetenz für die Bischofskonferenzen würde eine größere Vielfalt ermöglichen.“
Frage: Was sehen Sie als Lösung?
Weiler: Es braucht einen respektvollen, liebevollen und zugleich aufrichtigen Umgang miteinander, bei dem auch kritische Rückfragen an Andere gestellt werden können. Zugleich braucht es Offenheit und Bescheidenheit, sich selbstkritisch zu hinterfragen, im Bewusstsein, dass sich die Wahrheit in einem Prozess geistlicher Unterscheidung nur gemeinsam finden lässt. Ich erachte es auch für wichtig, noch mehr zu würdigen, dass vielerorts vor allem Frauen sehr viel dazu beitragen, Beziehungsfäden zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu knüpfen und zu festigen; sie bauen Beziehungsbrücken und gestalten Räume von Begegnung, wechselseitiger Akzeptanz und ein Klima des Vertrauens. Das war bei der Weltsynode eine sehr wichtige und prägende Erfahrung. Was die Situation von Frauen in den Gesellschaften betrifft, die noch stark von männlicher Vorherrschaft geprägt sind, ist der Kontakt und Austausch mit Frauen aus anderen Kontexten wichtig, um einander Mut zu machen, zu inspirieren und solidarisch miteinander auf dem Weg zu sein. Es braucht wechselseitige Unterstützung, damit Frauen in Gesellschaft und Kirche die Schritte hin zu einer größeren Gerechtigkeit in der Beziehung zwischen den Geschlechtern und Teilhabe von Frauen tun, die gegenwärtig schon möglich sind. Eine Dezentralisierung und somit größere Verantwortung und Entscheidungskompetenz für die Bischofskonferenzen würde eine größere Vielfalt ermöglichen. Im Hinblick auf ein sakramentales Diakonat für Frauen zum Beispiel könnte dies bedeuten, dass verschiedene Ortskirchen in einem sorgfältig durchgeführten geistlichen Unterscheidungsprozess darin übereinstimmen, Rom um die Erlaubnis zur Einführung eines sakramentalen Diakonats für Frauen zu bitten. Andere Ortskirchen können diesbezüglich in ihrem Kontext zu einer anderen Entscheidung kommen. In der Kirche gibt es bereits eine große Vielfalt an Riten und Praxen. So ist zum Beispiel in verschiedenen mit Rom unierten Ostkirchen der Zölibat für Priester nicht generell verpflichtend.
Frage: Wie bewerten Sie die Gefahr eines Schismas?
Weiler: Meines Erachtens sollten wir alles in unseren Kräften Stehende tun, um ein Schisma zu vermeiden. Dazu gehört auch, nicht ständig mit einem Schisma zu drohen. Zumeist gilt im Zusammenhang mit einer möglichen Abspaltung die kirchliche Sorge vor allem den Gruppen, die die Tradition der kirchlichen Lehre und Rechtgläubigkeit in der Kirche bedroht sehen. Es sollte aber auch daran gedacht werden, wie viele Menschen, oft nach langem Ringen, mit großem Schmerz und aus tiefer Enttäuschung aus der Kirche ausgetreten sind, weil sie die Hoffnung verloren haben, dass die Kirche noch fähig ist, die notwendigen Schritte zu ihrer Erneuerung zu tun und die daraus folgenden Reformen anzugehen.
Frage: Glauben Sie die Menschen kämen mit der Frauenweihe wieder zurück?
Weiler: Nein, ich denke nicht, denn das ist meines Erachtens nur ein, wenn auch sehr wichtiger Aspekt neben anderen. Die systemischen Gründe für die vielen Fälle von sexuellem Missbrauch in unserer Kirche, denen allen ein Machtmissbrauch zugrunde liegt, haben bei den Kirchenaustritten zumeist ein starkes Gewicht. Ich denke, dass das Narrativ, das von traditionalistischen Kreisen gebraucht wird, dass so viele Menschen wegen des Synodalen Wegs aus der Kirche ausgetreten seien, nicht zutrifft. Ich habe mit Priestern gesprochen, die zahlreiche Briefe von Menschen erhalten haben, in denen sie ihren Austritt aus der katholischen Kirche erklären. Eine deutliche Gemeinsamkeit ist, dass ihre Verfasser und Verfasserinnen vielfach sehr engagierte Katholikinnen und Katholiken waren, die über Jahrzehnte vergeblich gehofft hatten, dass die Kirche fähig sei, sich mehr zu öffnen und zu wandeln. Der Schmerz über die zahlreichen Kirchenaustritte sollte ein Antrieb sein, uns für eine synodale Kirche und die dafür notwendige spirituelle Erneuerung sowie die unabdingbaren synodalen Strukturreformen einzusetzen. Mit der Weltsynode ist Bewegung in unsere Kirche gekommen. Mögen wir Gottes Geistkraft, die neues Leben schafft, den nötigen Wirkraum geben in uns und in unserer Kirche.