"Kein Anlass für eine Kurienreform"
Frage: Erzbischof Gänswein, was ist - verglichen mit der Amtszeit von Benedikt XVI. - das Neue, das Andere am Pontifikat von Papst Franziskus?
Gänswein: Es ist eine andere Person mit einer ganz anderen Persönlichkeitsstruktur, anderen persönlichen Erfahrungen, anderer geistlicher Prägung und anderer Sprache - inhaltlich hingegen besteht eine große Deckungsgleichheit. Kontinuität und Identität sind insofern greifbar, dass beide glaubwürdige, kraftvolle Zeugen Jesu Christi und seiner Kirche sind, wenngleich unterschiedlich in der Form, der Art und der Wahl der Mittel.
Frage: Ist der deutsche Einfluss an der Kurie seit dem Amtsantritt von Franziskus gesunken?
Gänswein: Der Papst ist Bischof von Rom und als solcher Nachfolger Petri. Ob er Italiener, Deutscher, Pole oder Argentinier ist, spielt eine gewisse, aber nur sehr untergeordnete Rolle. Dass von der Seite des Landes, aus dem der Papst stammt, größere Erwartungen und Hoffnungen da sind, dass sich Türen schneller und weiter öffnen, dürfte kein Geheimnis sein.
Frage: Sind das Papstamt und der Vatikan nach dem deutschen Pontifikat heute romanischer, lateinamerikanischer geworden?
Gänswein: Das Papstamt ist und bleibt apostolisch, unabhängig von der Herkunft des Papstes. Andererseits ist mit Papst Franziskus die lateinamerikanische - vor allem die argentinische - Präsenz insbesondere bei den Generalaudienzen natürlich größer geworden. Ob mit der größeren Präsenz auch ein größerer Einfluss im Vatikan selbst verbunden ist, das lässt sich im Augenblick noch nicht absehen.
„Das Verhältnis zwischen Benedikt und Franziskus ist sehr herzlich, sehr mitbrüderlich, sehr respektvoll. Der letzte Kontakt war vor kurzem, am Dienstag in der Karwoche.“
Frage: Wieviel Prozent Ihrer Zeit und Arbeitskraft widmen Sie Ihren beiden Herren? Werden Sie beiden gerecht?
Gänswein: Das lässt sich nicht exakt in Prozentzahlen ausdrücken. Etwa drei Viertel der Zeit für Franziskus, ein Viertel für Benedikt. Ich versuche, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln, um beiden gerecht zu werden.
Frage: Bleiben Sie im Kloster wohnen, oder ziehen Sie eines Tages in Ihre Dienstwohnung im Apostolischen Palast um?
Gänswein: Die Präfekten-Wohnung ist noch gar nicht frei, denn die Dienstwohnung meines Vorgängers in Sankt Paul vor den Mauern ist noch nicht fertig. Ich werde meine Dienstwohnung dann in irgendeiner Form schon in Besitz nehmen. Aber selbstverständlich bleibe ich bei Benedikt oben im Kloster wohnen.
Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen Franziskus und Benedikt XVI.? Wie oft haben Sie Kontakt?
Gänswein: Das Verhältnis ist sehr herzlich, sehr mitbrüderlich, sehr respektvoll. Der letzte Kontakt war vor kurzem, am Dienstag in der Karwoche. Da hat Papst Franziskus seinen Vorgänger besucht, ihm sozusagen seinen Osterbesuch abgestattet. Es ist schon Tradition, dass Papst Franziskus vor einem Hochfest Papst Benedikt besucht. Es ist immer eine sehr schöne Begegnung, die natürlich unter vier Augen stattfindet. Einen Jour fix für Besuche gibt es allerdings nicht. Freilich erkundigt sich Franziskus immer wieder nach seinem Befinden oder richtet Grüße aus - und umgekehrt.
Frage: Verfolgt Benedikt XVI. das aktuelle Geschehen im Vatikan - und wie?
Gänswein: Vor allem begleitet er das Pontifikat seines Nachfolgers im Gebet, wie er es in seinen letzten Ansprachen versprochen hat. Ich bin davon überzeugt, dass das auch mit ein Grund dafür ist, dass Papst Franziskus so kraftvoll wirkt und das Ansehen der Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung besser geworden ist. Papst Benedikt verfolgt das aktuelle Geschehen sehr aufmerksam mit Hilfe der klassischen Quellen: Zeitungen, Pressespiegel, TV-Nachrichten, persönliche Kontakte...
Frage: Läuft der Kurienapparat heute nach Ihrer Einschätzung runder als in früheren Jahren?
Gänswein: Er läuft mal mehr, mal weniger rund - wie früher auch. Durch verschiedene Veränderungen allerdings, etwa durch die Errichtung neuer Organe wie zum Beispiel der Wirtschaftsbehörden, gab es doch einige Unsicherheit, die etwas Unruhe in den Kurienapparat gebracht hat. Im Zusammenhang mit den geplanten Um- und Neustrukturierungen machen sich hin und wieder Verwunderung und Unzufriedenheit breit. Man wartet gespannt auf konkrete Ergebnisse. Trotz- und alledem: Die Dikasterien haben mehr als genug zu tun. Langeweile kommt nicht auf.
Frage: Sehen Sie eine Frontenbildung im Vatikan, in der Kirche?
Gänswein: Davon ist immer wieder zu hören und zu lesen. Aus meiner Erfahrung und meiner Beobachtung kann ich eine Frontenbildung nicht erkennen. Dass da und dort Kritik an bestimmten Maßnahmen geäußert wird, kann, sofern begründet vorgetragen, doch nur von Vorteil für das allgemeine Betriebsklima sein. Berechtigte Kritik soll helfen und klären und nicht wie Säure wirken.
„Dass einige personelle oder strukturelle Veränderungen vorgenommen worden sind und werden, das gehört zum normalen Lauf der Dinge. Von 'Kurienreform' zu sprechen halte ich, mit Verlaub, für übertrieben.“
Frage: Franziskus formuliert mitunter zugespitzt. Nördlich der Alpen wirkt manches nicht immer "politisch korrekt". Ist er da eher "jesuitisch korrekt"?
Gänswein: Ich halte es für ein Zeichen von Mut, dass er seine Worte nicht nach der Political Correctness wählt, sondern nach der inneren Richtigkeit - sei es gelegen oder ungelegen, um mit dem heiligen Paulus zu sprechen. Ob das nördlich der Alpen immer so ankommt und akzeptiert wird, ist eine andere Frage. Es ist ja nicht so, dass der Papst an dem Maß zu nehmen hat, was nördlich der Alpen maßgebend ist. Papst Franziskus ist sehr durch die ignatianische Spiritualität geprägt. Das ist ein unverwechselbares Charakteristikum seines Wesens, das ihm eine innere Freiheit verschafft, das zu sagen, was gesagt werden muss - auch wenn das nicht alle gerne hören. Ob die Wortwahl immer ganz glücklich und angemessen ist, darüber lässt sich streiten. Aber da muss man auch einmal fünf gerade sein lassen.
Frage: Was erwarten Sie von der Kurienreform? Kommt es zu großen Veränderungen, zum kompletten Umbau? Oder muss "Pastor bonus" nur richtig umgesetzt werden?
Gänswein: Das Wort "Kurienreform" ist ein großes Wort. Papst Paul VI. hat 1967 im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil eine Kurienreform durchgeführt, um die konziliaren Erkenntnisse in der Römischen Kurie in die Tat umzusetzen. Ähnlich hat Johannes Paul II. nach der Promulgation des neuen kirchlichen Gesetzbuches 1983 nach fünfjähriger Vorbereitungszeit im Jahre 1988 eine Neuordnung der Kurie vorgenommen durch das Motu proprio "Pastor bonus". Ich persönlich sehe im Moment nicht, welcher wichtige Anlass eine neue Kurienreform erforderlich machen würde. Dass einige personelle oder strukturelle Veränderungen vorgenommen worden sind und werden, das gehört zum normalen Lauf der Dinge. Von "Kurienreform" zu sprechen halte ich, mit Verlaub, für übertrieben.
Frage: Was erwarten Sie von der Familiensynode im Oktober? Wird es den großen Wandel geben? Oder eine kleine Reform?
Gänswein: Nach der außerordentlichen Bischofssynode im Oktober des vergangenen Jahres wird gegenwärtig in den verschiedenen Ländern mit Hochdruck an der Vorbereitung der ordentlichen Bischofsynode gearbeitet, die in einem halben Jahr stattfinden wird. Die jeweiligen Bischofskonferenzen sind dabei, ihre Hausaufgaben zu machen und den Boden für einen fruchtbaren Austausch gut vorzubereiten. Es ist zu wünschen, dass das Hauptthema "Evangelisierung und Familie" fest ins Auge gefasst wird und die Debatten sich nicht in einigen Teilproblemen verlieren. Zentral und wichtig ist es, die aktuellen Herausforderungen mutig anzugehen, das aber auf der sicheren Grundlage der katholischen Lehre und der kirchlichen Tradition. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in der Substanz von der kirchlichen Kontinuität Abschied nimmt. Deshalb sehe ich der kommenden Bischofssynode mit großer Gelassenheit und Zuversicht entgegen.
Das Interview führte Johannes Schidelko