Standpunkt

Im Advent muss Kirche wieder zur Welt kommen

Veröffentlicht am 04.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Werner Kleine – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das säkulare Weihnachtsbrauchtum zeige, welche Rolle Kirche heute spiele, kommentiert Werner Kleine. Und auch die KMU-Studie zeigt, dass sie den Kontakt zur Welt verloren hat. Wäre es nicht an der Zeit, im Advent den verlorenen Kontakt wiederherzustellen?

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Nun ist wieder Advent. Freilich hat in den Innenstädten die Vorweihnachtszeit schon vor Wochen begonnen. Der Unterschied zwischen dem christlichen Advent und der säkularen Vorweihnachtszeit ist die lebenspraktische Konkretion dessen, was die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu Tage gefördert hat. Für viele moderne Zeitgenossen ist Weihnachten ein schönes Fest, das zum Jahresablauf gehört. Ob dort die Menschwerdung Gottes und die Hoffnung auf seine Wiederkunft gefeiert wird, ist für viele nicht mehr relevant. Lichterglanz, Glühweinduft, Gemütlichkeit gehören einfach zu diesem Jahresendbrauch. Irgendwo im stillen Hinterkämmerchen ist da vielleicht noch eine Ahnung, was Weihnachten einmal war. Jetzt ist es halt guter Brauch geworden. Schön ist sie halt, die stade Zeit.

Christen sind damit natürlich nicht zufrieden und verweisen deshalb auf den "wahren Sinn" des Weihnachtsfestes: Gott wird Mensch. Und dazu gehört, bitte schön, dass erst nach dem Totensonntag (für Katholiken natürlich Christkönigssonntag) die Weihnachtsmärkte zu öffnen haben, die doch eigentlich Adventsmärkte heißen müssten. Und natürlich kommt nicht der Weihnachtmann, sondern der Nikolaus – unbeschadet der Tatsache, dass der Nikolaus eigentlich für den 6.12. zuständig ist, während der Weihnachtsmann mit dem Christkind regional um die Verantwortlichkeit für den 25.12. ringt. Egal: Wahre Christen müssen angesichts der weihnachtlichen Auswüchse Haltung zeigen!

Ist ein solcher Ärger angesichts des "Festes des Friedens" aber wirklich angemessen? Eigentlich führt das säkulare Weihnachtsbrauchtum nur vor Augen, wo wir eigentlich stehen. Alles Ereifern nutzt nichts, die säkulare Welt feiert, wie sie will. Wer hier nicht als Miesepeter oder Miesepetra dastehen möchte, sollte einfach mitfeiern, sonst droht das Schicksal des älteren Bruders aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, das auch als Gleichnis vom barmherzigen Vater bekannt ist. Der wird eingeladen, trotz seine neidvollen Ärgers über den jüngeren Bruder am Fest teilzunehmen. Das Gleichnis lässt offen, ob er sich überwindet und mitfeiert oder selbst verloren geht.

Gottes Sohn immerhin hat es gefallen, sich seiner himmlischen Herrlichkeit zu entäußern und zur Welt zu kommen. Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt unter anderem, dass die Kirche den Kontakt zur Welt wohl längst verloren hat. Daraus kann man die Lehre ziehen, dass die Kirche es Gott wohl gleichtun und selbst zur Welt gehen muss. Die in kirchlichen Diskursen derzeit oft gehörte Rede von den vielen anonymen Christen ist übergriffig und sediert bloß die Angst vor der eigenen Herausforderung. Die liegt darin, dass Christen wieder die gemütliche Wärme gemeindlicher Gewohnheiten verlassen und sich in die Welt begeben. Wer weiß: Vielleicht ist Gott schon längst wieder da – oder war er nie weg? Es ist ja seine Welt. Er ist doch der "Ich bin da"! Ist da nicht klar, wo man ihn suchen muss? Es ist Advent! Wir müssen ihm entgegengehen.

Von Werner Kleine

Der Autor

Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.