Katharina Klöcker für christlich-moralische Form des Widerstands

Theologin: Wir müssen dem Terror widerstehen

Veröffentlicht am 16.12.2023 um 12:04 Uhr – Von Katharina Klöcker – Lesedauer: 

Bochum ‐ Welche Möglichkeiten des Widerstandes im Angesicht von Terror und Gewalt gibt es und welche davon sind moralisch richtig? Die Bochumer Moraltheologin Katharina Klöcker zeigt in einem Gastbeitrag auf, wie es gelingen kann, sich im christlichen Sinn zur Wehr zu setzen.

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Der traumatische, jede Vorstellungskraft sprengende Pogrom vom 7. Oktober 2023, bei dem mehr als 1.200 Menschen auf grausame Weise getötet wurden, hat nicht nur unsägliches Leid über Israel gebracht, er hat auch Menschen weltweit bis in die tiefsten Schichten ihres Menschseins hinein erschüttert. Erschüttert sind wir darüber, was Menschen einander antun können. Wir haben - auch wenn sich alles in uns dagegen sträubt - die Lektion der Hamas verstanden: Sicher könnt Ihr euch nicht mehr fühlen, egal wo ihr auch seid! In Europa, in Deutschland geht die Angst vor einem Aufflammen des islamistischen Terrors um.

Dass diese Angst begründet ist, daran zweifelt kaum jemand. Seit ein paar Tagen steht uns dies noch klarer vor Augen: Ein Mann, ein Tourist aus Deutschland, wird in Paris auf offener Straße von einem islamistischen Attentäter erstochen. Und auch, dass Weihnachtsmärkte aus Sicherheitsgründen vorübergehend geschlossen werden, lässt Bilder des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt von 2016, bei dem 13 Menschen starben und mehrere Dutzend zum Teil schwer verletzt wurden, in unserer Erinnerung lebendig werden. Das Kalkül des Terrors besteht aus zwei einander verstärkenden Strategien, die auf unterschiedliche Weise toxische Wirkungen entfalten: Da ist der verheerende tödliche Anschlag, ein unmittelbar tödlich wirkendes Gift, das Leid, Entsetzen und Angst erzeugt. Und da ist ein Gift, das langsam in die sich bedroht fühlenden Gesellschaften einsickert.

Jeder Anschlag, der gleichermaßen Leid verursacht und Unsicherheit erzeugt, provoziert das Verlangen, die verloren gegangene Sicherheit wiederherzustellen, ein zweifellos elementares Bedürfnis des Menschen. Je verheerender ein Anschlag, umso unbändiger das Verlangen nach Sicherheit, umso weitreichender die Sicherheitsvorkehrungen, umso höher der Preis, den wir für mehr Sicherheit zu zahlen bereit sind. Das Kalkül des Terrors geht auf: Ein Mehr an Sicherheit soll durch vorsorgliches Beschneiden von Freiheitsrechten erreicht werden. Da das tatsächliche terroristische Bedrohungspotential objektiv kaum messbar ist, entscheidet das subjektive Sicherheitsempfinden einer Gesellschaft über die Eingriffstiefe in Freiheitsrechte.

Terror schürt Angst

Während der Terror die Angst schürt, um selbstdestruktive Tendenzen in der Gesellschaft frei zu setzen, greift die angegriffene Gesellschaft diese Angst auf, um Freiheitseinschränkungen als notwendige Maßnahmen zur Erzeugung von mehr Sicherheit zu rechtfertigen. Damit machen sich die demokratische Gesellschaften – unfreiwillig – zu Katalysatoren der Zerstörung dessen, was sie verteidigen wollen. Sie arbeiten, indem sie ihre Freiheitsrechte einschränken, ungewollt dem Terror in die Hände. Eine zweite Gefahr besteht in einer Zuschreibung, die mit Blick auf die Gräueltaten der Hamas mehr als naheliegt. Wenn die barbarischen Terrorakte als "absolut böse" bezeichnet werden, dann sollte dies nur mit größter Vorsicht und im Bewusstsein der einer solchen Zuschreibung inhärenten Gefahr erfolgen. Denn in dem Moment, in dem ein absolut Böses, ein größtes denkbares Übel zum Maßstab, wenn auch nur im negativen Sinn, gemacht wird, lassen sich alle, auch nur um ein Geringes weniger schlimmen Übel als kleinere Übel moralisch rechtfertigen. Das heißt: Je größer das Übel ist, das es zu bekämpfen gilt, desto stärker steht die Antiterrormoral in der Gefahr, korrumpiert zu werden, desto wachsamer muss sie sein, diesem Moral-in-Unmoral-ummünzenden-Mechanismus nicht anheimzufallen.

Aus theologisch-ethischer Sicht möchte ich zwei, auf den ersten Blick möglicherweise paradox anmutende Imperative formulieren, die uns zwar nicht vor einem Terroranschlag, aber vor dem langsam einsickernden Gift des Terrors schützen können. Der erste Imperativ lautet: Verteidigen wir nicht unsere Sicherheit, sondern unsere Verwundbarkeit!

Bild: ©Damian Gorczany

Die Moraltheologin Katharina Klöcker lehrt an der Ruhr-Universität Bochum und ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Moraltheologie.

Es ist wichtig zu erkennen, dass letztlich nicht unsere Sicherheit, sondern unsere Freiheit im Fadenkreuz der terroristischen Bedrohung steht. Sicherheitsmaßnahmen sind und bleiben notwendig. Sie sind und bleiben aber immer auch ambivalent. Mit präventiven Sicherheitsmaßnahmen werden wir, wenn wir Glück haben, manche akute Gefahr vielleicht abwenden können, den Terrorismus aber werden wir damit nicht besiegen. In der Verteidigung der unsere Freiheit ermöglichenden Verwundbarkeit liegt der Schlüssel. Demokratische Gesellschaften sind in ihren Überzeugungen, ihren Wertmaßstäben, ihren Freiheitsrechten gefährdet, verletzbar und letztlich eben auch zerstörbar. Diese Verletzbarkeit verbürgt aber gerade ihre Menschlichkeit. Üben wir uns ein in einer Haltung der Verteidigung unserer Verwundbarkeit, ohne dabei unsere Sehnsucht nach Sicherheit zu leugnen oder zu verdrängen.

Der zweite Imperativ lautet: Lassen wir uns von den zerstörerischen Logiken des Terrors nicht vereinnahmen. In seinem Buch Verwandlung der Mächte bietet der US-amerikanische Theologe Walter Wink (1935–2012) mit Blick auf die Bergpredigt eine Lesehilfe, die in biblischer Rückbindung entfalten hilft, worum es mir hier geht. Wink schreibt mit Blick auf die Aufforderung Jesu, nach einem Schlag auf die rechte auch noch die linke Wange hinzuhalten (Matthäus 5,39f.), dass Jesus uns damit gerade nicht demütige Unterwerfung predige. Vielmehr fordere er auf, die ungerechtfertigten Mittel des Gegners nicht zu kopieren.

Das Hinhalten der Wange als Geste des Widerstands

Zwar macht sich Jesus für Gewaltlosigkeit stark, aber er tritt zugleich dafür ein, die Gewalt des anderen nicht widerstandslos hinzunehmen – auch wenn dies auf den ersten Blick anders scheinen mag und in der Tradition immer wieder auch anders ausgelegt wurde. Für die Adressaten der Bergpredigt war eines klar: Ein Schlag mit der rechten Hand auf die rechte Wange konnte nur mit dem Handrücken ausgeführt werden, eine Geste, die einem Untergebenen galt. Vor diesem Hintergrund ist das Hinhalten der linken Wange keine demütige Geste, sondern eine des Widerstands. Denn der Schläger, also der Überlegene, wurde dadurch genötigt, einen Schlag mit der Faust in Erwägung zu ziehen. Mit Fäusten aber schlugen sich nur sozial Gleichgestellte. So wird diese vermeintlich unterwürfige Geste, auch noch die andere Wange hinzuhalten, zu einer zugegebenermaßen riskanten Infragestellung des Selbstverständnisses des Täters. Der Schläger steht vor der Wahl, zuzuschlagen, damit aber den Untergebenen gleichzustellen, oder von der Gewalt abzulassen. Wie aber könnten die aus dieser Lesart gewonnenen Einsichten auch nur einen Funken Kraft entfalten, in einer Welt, in der nicht nur von terroristischer Bedrohung zu sprechen ist, sondern in der wir ohnmächtig und fassungslos vor einer durch den islamistischen Terror jäh und brutal provozierten Gewaltspirale stehen, deren Ende nicht abzusehen ist. Eines ist sicher: Als Reaktion auf Terror auf Gegenwehr zu verzichten, hätte aller Wahrscheinlichkeit nach desaströse Folgen, die nicht zu verantworten wären. Alles kommt dann aber auf die Art und Weise der Gegenwehr an.

Die kleine Geste des Hinhaltens der linken Wange ist kein Zeichen der Unterwerfung. In ihr liegt vielmehr die Aufforderung und Mahnung, in einer Situation eskalierender Gewalt nach Möglichkeiten des Widerstands Ausschau zu halten. Dieser Widerstand besteht darin, sich die Art der Gegenwehr nicht vom Aggressor diktieren zu lassen und dieser Widerstand besteht darin, den Kreislauf der Gewalt, den der Terror um alles in der Welt schließen will, wenn auch nur für einen kurzen Moment zu durchbrechen. Und sei es nur ein Moment wie dieser, in dem eine israelische Soldatin einen Brutkasten für ein inmitten des Krieges zu früh geborenes Kind in ein umkämpftes Krankenhaus in Gaza-Stadt bringt.

Von Katharina Klöcker