Kanzler und Katholik
Helmut Kohl wollte in die Geschichtsbücher eingehen - und es ist ihm gelungen. Sowohl die deutsche Einheit als auch das Zusammenwachsen Europas einschließlich der Einführung einer gemeinsamen Währung werden untrennbar mit dem Altkanzler verbunden bleiben. Am Freitag starb er im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Ludwigshafen, wie die CDU auf Twitter bestätigte.
Kaum ein Politiker nach Adenauer prägte Nachkriegsdeutschland so stark wie Kohl. Zwischen 1969 und 1976 war er rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, dann ging er in die Bonner Hauptstadt. Zunächst als Oppositionspolitiker, obwohl er bei der Wahl 1976 für die Union mit 48,6 Prozent die meisten Stimmen geholt hatte. 1982 gelang es Kohl, die FDP aus der sozial-liberalen Koalition zu lösen und für ein schwarz-gelbes Bündnis zu gewinnen. Es folgten die 16 Jahre seiner Kanzlerschaft.
Seine Partei führte Kohl noch länger. Bereits 1973 hatte er den Vorsitz übernommen und behielt ihn ein Vierteljahrhundert. Kürzer war die Zeit, die er anschließend den Ehrenvorsitz hatte. Im Streit um die Parteispendenaffäre kam es zum Zerwürfnis. Kohl wollte nicht sagen, wer ihm Geld gegeben hatte. Er begründete das mit einem persönlichen Ehrenwort, das er den Spendern gegeben habe.
Wiedervereiningung und Euro
Auch bei Gegnern unumstritten sind indes zwei historische Entwicklungen, an denen Kohl großen Anteil hatte: Er engagierte sich für das Zusammenwachsen Europas und gestaltete den Prozess der deutschen Wiedervereinigung mit. Besonders war dem Mann aus der Pfalz an einem besseren Verhältnis zu Frankreich gelegen. So passte es, dass die Chemie zwischen Kohl und dem damaligen sozialistischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand stimmte. Zu den Bildern des Jahrhunderts zählt, wie sich die beiden in Verdun die Hände halten und der Weltkriegstoten gedenken.
1989 ergriff Kohl die Gunst der Stunde. In den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen handelten die Regierungen der Bundesrepublik und der DDR mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs den Vertrag aus, der Grundlage der deutschen Einheit ist.
Zum politischen Preis gehörte, dass Mitterrand aus Angst vor einem zu starken Deutschland eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion verlangte. Es war Kohl, der 1998, in den letzten Monaten seiner Kanzlerschaft, in Brüssel die Entscheidung zur Einführung des Euro traf.
Seine Herkunft aus einer streng katholischen Familie verleugnete Kohl nie. Er hielt immer den Draht zu Bischöfen und Kardinälen, wenn auch die Zahl der gerne kolportierten gemeinsamen Waldspaziergänge mit dem damaligen Bischofskonferenzvorsitzenden Karl Lehmann häufig übertrieben wird. Der damalige Leiter des Katholischen Büros, Paul Bocklet, saß bei Auslandsreisen nicht selten im Regierungsflieger. Das gegenseitige Interesse war so stark, dass Joseph Ratzinger, nachdem er Papst war und Deutschland einen offiziellen Besuch abstattete, in Freiburg Kohl in Privataudienz traf.
Überzeugter Verfechter der Ökumene
Trotz aller persönlichen Überzeugung - Kohls Verhältnis zu den Kirchen war nicht nur selbstlos. Der bislang letzte katholische Kanzler wusste, welche Klientel ihn ins Kanzleramt gewählt hatte. In seinem Regierungshandeln vermied es Kohl indes, "seine" Kirche zu bevorzugen. Manche im katholischen Lager äußerten sich deshalb hinter vorgehaltener Hand enttäuscht. Innerkirchlich kann Kohl als fortschrittlich beschrieben werden. So ist der regelmäßige Kirchgänger, vielleicht nicht zuletzt durch seine Ehe mit der Protestantin Hannelore Kohl, ein überzeugter Verfechter der Ökumene.
Wenn ihm etwas nicht passte, bezog er nicht nur in seiner Partei oder vor Journalisten, sondern auch innerkatholisch Position. Es war bekannt, dass zwischen ihm und dem Kölner Kardinal Joachim Meisner Welten lagen. Und als 1995 der Vatikan den von Kohl geschätzten damaligen Nuntius Lajos Kada abberief, ging der Kanzler entgegen dem Protokoll persönlich zu dessen Verabschiedung und mokierte sich in einer Stehgreifansprache über die römische Personalpolitik. Auch bei der katholischen Kirche wusste Kohl immer, was für sie gut war. Er vertrat die Anliegen der Kirche - wie er sie verstand.
Engagement für religiöse Projekte
Unbestritten ist Kohls Engagement für Religiöses glaubhaft. Er setzte sich, von Medien und Öffentlichkeit fast unbeachtet, für die Berliner Guardini-Professur für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung ein, trug mit seinen Empfängen im Kanzleramt wesentlich dazu bei, dass die Sternsingeraktion heute ein großes Hilfswerk ist, und er engagierte sich stark für den Neubau der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Ab einem gewissen Spendenbetrag bedankte sich Kohl postalisch bei jedem einzelnen.
Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest 2014 und kurze Zeit nach einem wochenlangen Klinikaufenthalt besuchte er gemeinsam mit seiner Frau Maike Kohl-Richter die Kathdrale. Den Besuch der Mitternachtsmette wollte er sich wegen des angeschlagenen Gesundheitszustandes nicht zumuten. Politisch war der Speyerer Dom für Kohl ein Symbol für die Einheit Europas. Kohls liebstes Ehrenamt ist aber sicher das des Chefs der "Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer". Schon als Kanzler hatte der Pfälzer Jacques Chirac, Margaret Thatcher, Michail Gorbatschow, George Bush, Vaclav Havel, Boris Jelzin, John Major, König Juan Carlos und viele andere durch das romanische Gotteshaus geführt. Und so sammelte er einen hochkarätigen Kreis von Unterstützern, die sich mit ihm seit Jahren für den Kaiserdom stark machen.
In den letzten Jahren sorgten vor allem familiäre Streitereien für Schlagzeilen. Die öffentlichen Äußerungen der Söhne Walter und Peter Kohl ließen den Schluss zu, dass die sommerlichen Inszenierungen einer Ferienidylle am Wolfgangsee nicht ganz zur Wirklichkeit gepasst hatten. 2008 verletzte sich Kohl schwer. Danach war der Altkanzler auf einen Rollstuhl und die Hilfe seiner zweiten Ehefrau Maike Richter-Kohl angewiesen. In den Geschichtsbüchern wird all das keine Rolle spielen.