Wie Egbert Schlotmann mit der Gemeinde Gottesdienste feiert

Inselpfarrer: Bin kein Alleinunterhalter

Veröffentlicht am 20.01.2024 um 11:30 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Wangerooge ‐ Pfarrer Egbert Schlotmann lebt als Seelsorger auf der ostfriesischen Insel Wangerooge. Seine Gottesdienste sind einladend. Denn Menschen werden viel zu oft von der Kirche ausgeschlossen, meint der Geistliche. Er möchte es anders machen.

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Egbert Schlotmann trägt Turnschuhe zur weißen Albe. Mit einem Kreuzzeichen beginnt der Pfarrer den Abendgottesdienst in St. Willehad auf Wangerooge, seiner Gemeinde. Und dann fragt er auf einmal in Richtung der Menschen, die vor ihm in den Kirchenbänken sitzen. "Fühlen Sie sich eigentlich willkommen in Ihrer Kirche?" Weil keiner etwas sagt, gibt er selbst eine Antwort. "Ich denke, wir schließen viel zu viele Menschen aus." 

Und dann ermuntert der Seelsorger die Gottesdienstbesucher dazu, die Türen und Fenster in der Kirche zu öffnen. "Wir brauchen frischen Wind in der Kirche", sagt Schlotmann und wie auf ein Zeichen hin gehen zwei Männer nach hinten und öffnen die drei dortigen Flügeltüren. Eine frische Brise zieht durch den Raum, es fröstelt ein wenig. Manche applaudieren. Dann sagt Schlotmann: "Egal, ob Sie wiederverheiratet geschieden sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, hier sind Sie herzlich willkommen. Gott schließt niemanden aus. Wir auch nicht." Jetzt applaudieren einige laut. Der Pfarrer drückt auf ein kleines Gerät, das er in seiner Hand hält und schaltet den Beamer ein, der vor dem Ambo steht. Ein Liedtext erscheint auf der Wand oberhalb vom Altar. Die Gemeinde fängt zu singen an. Die offene, herzliche Stimmung durchzieht den gesamten Gottesdienst. 

Pfarrer Schlotmann sitzt auf einem Hocker neben dem Ambo, neben ihm zwei Messdienerinnen. Die beiden Mädchen sind mit ihren Eltern hier auf der Insel im Urlaub und ministrieren die Woche über in Sankt Willehad. Auch der Pastoralreferent, der die Lieder auf dem Klavier begleitet, macht für eine Woche auf der Insel Ferien. Dass sich alle eingeladen fühlen zum Gottesdienst, das ist Egbert Schlotmann wichtig, wie er später im Gespräch sagt. Denn Gott lade alle ein, schiebt er hinterher. 

"Das spricht sich halt herum"

Den gesamten Gottesdienst über kann man die Texte, die der Pfarrer auf die Wand beamt, mitlesen. Die Gebete, Liedtexte und Impulse hat der Seelsorger selbst geschrieben. Aber weil er sich nicht als Alleinunterhalter versteht, lädt er die Kirchenbesucher ein, die Texte laut den anderen vorzulesen. So hört man Erwachsene und Kinder sprechen. Der Gottesdienst wird zu einem Erlebnis in Gemeinschaft. Schlottmanns Art Liturgie zu feiern, kommt bei den Gottesdienstbesuchern gut an. Nicht nur bei denen, die hier auf der Insel Urlaub machen, sondern auch bei den Bewohnern von Wangerooge. "Das spricht sich halt bei den Insulanern herum", berichtet die ehrenamtliche Küsterin der Gemeinde. Etwa 200 Katholiken gehören zu der kleinen Inselpfarrei. Daneben gibt es noch eine etwas größere evangelische Kirchengemeinde auf Wangerooge. Diese Insel ist die östlichste der ostfriesischen Inseln und gehört zum Bistum Münster.

Bild: ©St. Willehad

Mit Stola und Gummistiefeln feiert Inselpfarrer Egbert Schlotmann mit seiner Gemeinde auch Gottesdienste im Watt direkt am Meer.

Seit acht Jahren ist Schlotmann der katholische Inselpfarrer auf Wangerooge. Davor war er als Kaplan in verschiedenen Gemeinden im westfälischen sowie niedersächsischen Teil des Bistums Münster tätig gewesen und als Pfarrer zuletzt im Kreis Recklinghausen in Dorsten-Barkenberg. Auf Wangerooge sei es etwas Besonderes, Pfarrer zu sein, freut er sich. Die Gottesdienste finden fast täglich statt und sind jedes Mal gut besucht, meint der Seelsorger. Manche Pfarrer würden ihn sogar darum beneiden. 

Die Gemeinde auf der Insel wechselt täglich und kommt aus ganz Deutschland. Manche wollen hier einfach nur die Seele baumeln lassen. Andere tragen schwere Rucksäcke mit sich herum, weiß der Seelsorger. "Hier auf der Insel können sie ihn ablegen." Schlotmann ist nicht nur ausgebildeter Wattführer, sondern auch Familientherapeut. Daher bietet er Interessierten geistliche Einzelbegleitung an, aber auch Exerzitien für Gruppen.

Er sei sowieso immer rund um das Haus Ansgar anzutreffen, sagt Schlotmann. Das Gemeindehaus ist gleich neben der Kirche. Auch sein Büro ist dort. In dem Exerzitienhaus können Gäste übernachten und an Kursen teilnehmen. "Mein zweites Zuhause", lacht der Priester. Schlotmann selbst wohnt in der Nähe. Dass er als Seelsorger gut mit Menschen umgehen kann, merkt man auch an seiner Art, wie er Gottesdienste feiert. Herzlich und spontan begrüßt er während der Liturgie einzelne Besucher wie etwa eine Frauengruppe aus Münster, die im Haus Ansgar an einer Tagung teilnimmt und ein Ehepaar, dem er zum Hochzeitsjubiläum gratuliert. Auch über den Besuch einer jungen Urlauberseelsorgerin mit ihrem Neugeborenen freut sich der Pfarrer. Er winkt ihr während des Gottesdienstes über die Kirchenbänke hinweg zu. Seine Art zu predigen ist freundlich, offen. Zwar bereite er sich akribisch darauf vor, doch vieles sei spontan, erklärt Schlotmann. Einmal erzählte er in einer Predigt, dass er früher für eine kurze Zeit sogar in einem Kloster gelebt habe. Vor seiner Abreise dahin habe er Freunde und Bekannte angerufen und sie darum gebeten, zu ihm zu kommen und etwas, was sie brauchen könnten, aus seiner Wohnung mitzunehmen. "Das war eine große Befreiung für mich", weiß der Seelsorger noch. Nur das Allernötigste behielt er damals und seine Bibel

Bild: ©katholisch.de/ msp

Pfarrer Egbert Schlotmann verneigt sich am Schluss des Gottesdienstes vor seiner Gemeinde in der ostfriesischen Kirche Sankt Willehad.

Aufgewachsen ist Schlotmann mit sieben Geschwistern in Münster. Erst während seines Zivildienstes hat er sich dazu entschieden, Priester zu werden. "Ich bin ein Kind des Zweiten Vatikanums", sagt er. Diese Freiheit im Denken der Kirche damals wolle er in die heutige Gemeinde hineintragen, erklärt er. Daher war diese Idee zu Beginn des Gottesdienstes, die Türen und Fenster aufzumachen, genau in diesem Sinne des damaligen Konzils, sagt der Priester.

Die Freiheit im Christentum sei ihm einfach wichtig, "auch den Frauen gegenüber", sagt der Inselpfarrer nachdenklich. So könne Schlotmann nicht verstehen, warum ihnen bis heute die Weihe verwehrt wird und Fauen noch immer nicht Diakonin oder Priesterin sein dürfen. Immer wenn Frauen von ihrer Berufung erzählen, freue er sich. Auch Frauen tragen eine Berufung zum Priestertum in sich, ist der Seelsorger überzeugt. Schlotmann findet auch, dass sich Priester aussuchen könnten sollten, ob sie zölibatär leben wollen oder nicht. Für ihn passe diese Lebensform, denn seine Familie ist im gewissen Sinne die Kirchengemeinde hier auf der Insel. Zeit für die Menschen zu haben, ist ihm wichtig. Daher stehen in seinem Terminkalender viele Gesprächstermine.

"Jeder ist eingeladen"

Bei der Wandlung im Gottesdienst hält Pfarrer Schlotmann die Hostie hoch. So hoch, dass sie auch die, die ganz hinten sitzen, sehen können. Dann dreht er sich mit der Hostie in der Hand im Halbkreis herum. "Jeder ist eingeladen", sagt er laut. Der Pfarrer erklärt den Gottesdienstbesuchern noch, dass im Kelch Wein ist und wer mag, die Hostie darin eintauchen kann. "Kommunizieren, also die Hostie in sich aufzunehmen, bedeutet, die Liebe Gottes weiterzutragen", sagt Schlotmann.

Auf Wangerooge zu leben, ist für Schlotmann ein Geschenk. Weil er das teilen möchte, lädt er in den Sommermonaten Menschen aus ganz Deutschland ein, die ihre je eigenen Talente einsetzen, um mit ihm und ohne ihn die Gottesdienste in St. Willehad vorzubereiten und zu gestalten. Das sei ein Angebot, das sehr gut angenommen werde, freut er sich.

Nach dem Gottesdienst, kurz vor dem Schlusslied, eilt Pfarrer Egbert Schlotmann in der Kirche nach hinten zu den geöffneten Türen. Dort wartet er auf die Gottesdienstbesuchern, die hinausgehen und verabschiedet sich von ihnen. Manchen schütterl er lange die Hand. Das Ehejubelpaar bedankt sich für den schönen Gottesdienst. Die junge Mutter fragt, wo sie noch schnell ihr Kind stillen könne. Eine andere Frau sagt ihm, dass es ihr gutgetan habe, im Gottesdienst gewesen zu sein. Schlotmann bleibt bei den Leuten, läuft nicht weg. Seine Stola schwebt im Wind. Die Türen der Kirche Sankt Willehad stehen noch lange offen.

Von Madeleine Spendier