Historiker zum 50. Todestag über "äußerst vielschichtige Persönlichkeit"

Weihbischof Neuhäusler – KZ-Häftling und Kriegsverbrecher-Helfer

Veröffentlicht am 14.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Renzikowski (KNA) – Lesedauer: 

München ‐ Er gilt als NS-Widerstandskämpfer und war einige Jahre im KZ. Wieso setzte sich der frühere Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler dennoch nach 1945 für Kriegsverbrecher ein? Ein Interview mit einem Nachwuchshistoriker, der sich mit ihm befasst.

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Der Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler (1888-1973) ist eine Schlüsselfigur des deutschen Katholizismus in der Nazizeit. Selbst mehrere Jahre im KZ inhaftiert, trat er nach dem Krieg als Kronzeuge für eine verfolgte Kirche auf – und engagierte sich zugleich energisch für Kriegsverbrecher. Der Germeringer Gymnasiallehrer Fabian Flohr (33) schreibt gerade an einer kirchenhistorischen Doktorarbeit über den Prälaten. Ein Werkstattgespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Frage: Herr Flohr, wie kam Johannes Neuhäusler in seine Schlüsselposition?

Flohr: Sein Bischof, der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber, ernannte ihn 1933 zu seinem kirchenpolitischen Referenten. Offiziell hatte Neuhäusler die Aufgabe, mit den NS-Stellen über aufmüpfige Geistliche und staatliche Verstöße gegen das Reichskonkordat zu sprechen. Zugleich sollte er für den Vatikan Informationen sammeln, wie die Nazis die Kirche drangsalieren. Dabei benutzte er geheimdienstliche Methoden, etwa Mittelsmänner. Neuhäusler hatte auch einen Decknamen. Im Briefwechsel von Papst Pius XII. und Faulhaber heißt er Novacasa ...

Frage: ... neues Haus auf Latein. Warum hat Faulhaber ausgerechnet ihn mit dieser Mission betraut?

Flohr: Das ist noch nicht genauer erforscht. Erst im Herbst 1932 rückt Neuhäusler ins Münchner Domkapitel auf, seine Aufgabe erhält er wenige Tage nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler Ende Januar 1933. Neuhäusler selbst sagt, er sei explizit auch damit beauftragt worden, Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu organisieren.

Frage: War der Kirchenmann ein Widerstandskämpfer?

Flohr: Das hängt davon ab, wie weit man den Begriff Widerstand fasst. Er verbreitete kritische Schriften zur NS-Ideologie. Er betrieb die Profilierung der Münchner Kirchenzeitung als Gegengewicht zur gleichgeschalteten Presse. Und er setzte einiges in Bewegung, um die jungen Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum flächendeckend gegen die NS-Ideologie zu immunisieren, aber auch gegen den Kommunismus.

Frage: Wie hat er das gemacht?

Flohr: Durch Exerzitienkurse. Dafür wurden aus den Pfarreien seit 1932 jeweils bis zu 100 Personen in Schloss Fürstenried zusammengezogen, jährlich bis zu 10.000 Menschen. Eine enorme Zahl. Die Teilnehmenden erhielten auch taktische Unterweisungen zum Umgang mit Repressionen.

Fabian Flohr
Bild: ©KNA/Christoph Renzikowski

Fabian Flohr arbeitet aktuell an einer Disseration über Weihbischof Neuhäusler.

Frage: Neuhäusler soll dem später seliggesprochenen NS-Gegner Pater Rupert Mayer das Leben gerettet haben.

Flohr: Das deckt sich mit meinen Forschungen. Der Jesuit war da schon im KZ, und das setzte ihm immer mehr zu. Neuhäusler veranlasste seine Verlegung ins Kloster Ettal. Und er sorgte dafür, dass sich Pater Mayer dort an das ihm von den Nazis auferlegte Predigtverbot hielt.

Frage: Die Gestapo hatte Neuhäusler bald im Visier. Mehrere Jahre saß er im KZ. Warum wurde er nicht beseitigt?

Flohr: Schwer zu sagen. Dass er den Nazis als "gefährlichste Person im Münchner Ordinariat" galt, ist nur als Selbstaussage von ihm überliefert. Offizielle Gerichtsakten sind nicht vorhanden, auch keine Anklage, wofür nach seiner Festnahme 1941 genügend Zeit gewesen wäre. Grund für seine Verhaftung dürfte sein, dass er auch kirchliche Stellen im Ausland informierte. Als die Wehrmacht die Beneluxländer überfällt, tauchen in einem katholischen Büro dort Materialien von Neuhäusler auf.

Frage: Kurz nach dem Krieg legte der Prälat mehrere Veröffentlichungen vor. Sie sollten eine geschlossen ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem gottlosen Nationalsozialismus und letztlich ihren moralischen Sieg untermauern. Halten diese Publikationen einer kritischen historischen Prüfung Stand?

Flohr: Ein klares Nein. Sein bereits 1946 erschienenes Hauptwerk "Kreuz und Hakenkreuz" ist extrem schwarz-weiß gezeichnet, so als hätten sich alle Akteure der katholischen Kirche als explizite NS-Gegner positioniert. Alle Grautöne, die dieses Bild beeinträchtigt hätten, störten dabei. Vermutlich hat er deshalb einige Hirtenbriefe und andere Dokumente in diesem Sinn gekürzt wiedergegeben.

Frage: Was bewog ihn dazu?

Flohr: Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich wollte Neuhäusler die katholische Kirche als moralisch intakten, wichtigen Faktor beim Wiederaufbau Deutschlands positionieren. Dabei spielte sicher auch sein starker Antikommunismus eine Rolle.

Frage: Ein junger katholischer Historiker hielt ihm schon zu Beginn der 1960er Jahre einen selektiven Umgang mit Quellen vor. Wie hat Neuhäusler reagiert?

Flohr: In einem privaten Brief räumte er die Auslassungen ein. Der Aufforderung zu einer öffentlichen Korrektur ist er aber nicht nachgekommen, auch nicht in einer autobiografischen Schrift drei Jahre später.

„Sein bereits 1946 erschienenes Hauptwerk "Kreuz und Hakenkreuz" ist extrem schwarz-weiß gezeichnet, so als hätten sich alle Akteure der katholischen Kirche als explizite NS-Gegner positioniert. Alle Grautöne, die dieses Bild beeinträchtigt hätten, störten dabei.“

—  Zitat: Fabian Flohr über Neuhäuslers Veröffentlichungen nach Kriegsende

Frage: Aus heutiger Sicht irritiert wohl am stärksten Neuhäuslers beharrlicher Einsatz für verurteilte NS-Kriegsverbrecher. Was trieb ihn an?

Flohr: Ob sich das je herausfinden lässt? Sein Nachlass wird vollständig erst 2034 zugänglich. Aber auch dann ist damit zu rechnen, dass sich dazu kaum etwas findet. Seine konspirative Arbeitsweise hat er auch nach dem Krieg beibehalten. Dazu gehörte, klare Aussagen zu vermeiden und vieles gar nicht schriftlich festzuhalten.

Frage: Wie ging Neuhäusler vor?

Flohr: Er setzte sich bei höchsten Stellen der US-Militärverwaltung dafür ein, dass Todesurteile oder lebenslange Haftstrafen generell abgemildert werden. Davon profitierte unter anderen Ilse Koch, Ehefrau eines KZ-Lagerkommandanten, die als "Hexe von Buchenwald" in die Geschichte eingegangen ist.

Frage: Was wissen Sie von Deals mit sogenannten Persilscheinen?

Flohr: Ein Münchner Weihbischof stand im Verdacht, der Gestapo als Spitzel gedient zu haben. Neuhäusler hat einen Belastungszeugen für dessen eigenen Gerichtsprozess bei der Entnazifizierung entlastet. Der zog dann seine Aussage gegen den Weihbischof zurück. Für einen Deal spricht nur der zeitliche Zusammenhang, auf Papier gibt es dazu nichts. Genutzt hat der Persilschein dem vormaligen Belastungszeugen aber nicht viel. Er wurde in der britischen Besatzungszone in Hamburg trotzdem verurteilt und hingerichtet.

Frage: Noch mal zu Neuhäuslers Motiven. Was kommt in Betracht – er war doch kein verkappter Nazi?

Flohr: Sicher nicht. Als katholischer Priester hat er nicht über zweifellos vorhandene Schuld hinweggesehen. Es ging ihm um das Strafmaß.

Frage: Spielte für sein Engagement eine Rolle, dass die Täter Reue zeigten?

Flohr: Es gab aufsehenerregende vermeintliche oder tatsächliche Bekehrungen von Verurteilten im Gefängnis. Neuhäusler war auch selbst überzeugt, dass es ihm möglich war, Täter dazu zu bringen, dass sie zu ihrer Schuld stehen. Aber er verwendete sich in seinem allgemeinen Eintreten für Kriegsverbrecher bei den US-Stellen auch indirekt für Massenmörder wie den SS-Einsatzgruppenleiter Otto Ohlendorf. Der rechtfertigte seine Taten bis zuletzt mit dem Hinweis auf Befehle. Da stellt sich schon die Frage, warum ein Priester so etwas macht. Vielleicht finde ich noch etwas dazu.

Von Christoph Renzikowski (KNA)