Spagat zwischen Verheutigung und widerstreitenden Interessen

Redenschreiber: Weihnachtspredigt ist mehr als nur Bibel nacherzählen

Veröffentlicht am 22.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Bei einer Weihnachtspredigt gilt es, sowohl die Bibel wie auch die Gemeinde im Blick zu haben, sagt Kommunikationsberater und Redenschreiber Claudius Kroker im katholisch.de-Interview. Er setzt auf klare und knappe Worte.

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Es werden zwar auch an Weihnachten deutlich weniger, dennoch gehen zum Fest eklatant mehr Menschen in die Kirche als sonst. Das bedeutet eine besondere Herausforderung für die Predigt. Denn es gibt die große Bühne, aber auch große Erwartungen. Im Interview spricht der Kommunikationsberater und Redenschreiber Claudius Kroker, der auch Kurse für Predigende gibt, über Potenziale und Stolperfallen.

Frage: Herr Kroker, es heißt oft, die Weihnachtspredigt sei die schwierigste Predigt des Jahres. Würden Sie das auch so sehen?

Kroker: Sie ist zumindest anspruchsvoll, denn es ist eine Predigt zu einem sich wiederholenden Anlass. Die Story aus dem Lukas-Evangelium ist ja immer die gleiche. Da ist es eine Herausforderung, sich jedes Jahr zum gleichen Anlass einen neuen Aufhänger einfallen zu lassen, eine Idee, eine Botschaft. Zudem muss man sich die Rahmenbedingungen anschauen: Welche anderen Texte sieht die Leseordnung vor, welchen Aspekt der Geschichte kann ich aufgreifen. An Facetten mangelt es der Weihnachtsgeschichte nicht: Kein Platz in der Herberge, junge Familie in Not, Gott offenbart sich durch Jesus Christus oder die Botschaft Frieden auf Erden. Letzteres hat gerade in diesem Jahr eine besondere Relevanz. Es gibt also viele mögliche Aufhänger, von denen man sich einen aussuchen muss.

Frage: Die Weihnachtsgeschichte ist eine der wenigen Stellen in der Bibel, vielleicht sogar die Einzige, die immer noch in der breiten Gesellschaft verankert ist, die jeder irgendwie meint zu kennen.

Kroker: Dadurch entsteht eine Anforderung an die Weihnachtspredigt, die aber auch gegenüber jeder anderen Predigt besteht: Nicht nur den Evangeliumstext nachzuerzählen. Das passiert immer wieder. Dabei ist die Predigt eine Form von Katechese und Exegese, sie erläutert und übersetzt die Bibel. Zudem ist sie – nimmt man den griechischen Begriff Homilie – ein Dialog, in dem etwas dargelegt und ausgelegt wird, also der Frage nachgeht: Was bedeutet dieser biblische Inhalt für uns heute? Dieser Anspruch besteht immer – aber an eine Predigt an Weihnachten umso mehr, weil die Story besonders bekannt ist.

Bild: ©picture alliance/dpa/Jens Büttner

An Weihnachten gehen immer noch deutlich mehr Menschen in die Kirche als an anderen Tagen.

Frage: Der Kirchbesuch auch an den Weihnachtstagen geht rapide zurück, ist aber immer noch deutlich größer als an jedem anderen Sonntag. Das kann dazu verleiten, in die Weihnachtspredigt alles hineinzupacken.

Kroker: Für gesprochene Vorträge jeder Art gilt der Grundsatz: Mehr als drei Botschaften kann der Empfänger nicht mitnehmen. Es bringt überhaupt nichts, die große Bühne zu nutzen und sich alles von der Seele zu reden, was man das ganze Jahr über loswerden wollte. Das ist nicht zielführend. Wer dafür werben möchte, dass diejenigen, die nur zu Weihnachten kommen, vielleicht auch an einem anderen Sonntag in den Gottesdienst kommen, wird das nicht schaffen, indem er die Gemeinde in Grund und Boden redet. Das schafft man dadurch, dass diese Liturgie einen Wert hat – als Ganzes. Dass sie uns aus der Alltagswelt herauslöst und eine spirituelle Option im Leben eröffnet. Dazu gehört die Predigt, aber etwa auch die Liedauswahl. Das alles spielt da zusammen. Es geht nicht darum, ein Schauspiel zu bieten, sondern durch Liturgie eine Beziehung von Mensch und Gott möglich zu machen.

Frage: Da gibt es ein Spannungsverhältnis: Eine Zeit mit mindestens zwei großen Kriegen ruft geradezu nach einer Verheutigung des Bibelgeschehens, andererseits wollen viele Menschen auch nicht zu sehr in ihrer weihnachtlichen Glückseligkeit gestört werden.

Kroker: Es geht nicht darum, den Leuten die Stimmung kaputt zu machen und nur über Krieg und Frieden zu predigen. Es geht um die Beziehung zur Weihnachtsgeschichte, die darf nicht untergehen. Und es geht um einen Bezug zu den Menschen, die da vor dem Predigenden sitzen. Ich kann mich an eine Predigt in einer Christmette erinnern, die begann mit dem Satz "Weihnachten ist ein zutiefst unchristliches Fest" – einfach weil es enorme Herausforderungen stellt, weil es für viele vor allem Stress bedeutet. Da sind dann am Ende die Knödel zu weich oder die Ente nicht gar. Dann ist ganz schnell schlechte Stimmung. Das fand ich einen ganz netten Dreh, der die Menschen in ihrem Alltag abgeholt hat. Dann ging es um die Weihnachtsgeschichte und was die eigentlich sagen möchte. Und sie will nicht sagen: Ihr sollt wegen Krieg und Gewalt kein Weihnachten feiern. Sie kann uns etwas Positives mitgeben, ein Zeichen der Hoffnung oder eine Aufforderung zum Handeln.

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Kommunikationsberater und Redenschreiber Claudius Kroker hat das Portal besserpredigen.de aufgesetzt.

Frage: Manchmal gibt es um eine Weihnachtspredigt auch Ärger. Wie etwa vergangenes Jahr um einen mittlerweile verstorbenen Geistlichen, der sich in seiner Weihnachtspredigt homofeindliche Ausfälle leistete. Wie viel Kirchenlehre gehört denn in so eine Predigt?

Kroker: Eine Predigt ist zunächst einmal immer etwas Subjektives: Es ist der Prediger, der da vorne steht, nicht die Kirche. Er gibt seine eigene Sicht auf die Dinge wieder. Aber es gehört auch dazu, auf die Gemeinde vor Ort einzugehen und die Situation, in der man etwas sagt. Da heißt es, in Themenauswahl und Vokabular klug abzuwägen. Was aber natürlich keine Garantie gegen Gegenwind ist. Man darf immer unterschiedlicher Meinung sein. Vor allem angesichts der Lage, in der sich die Kirche momentan befindet, sollten ihre Vertreter ihre Worte gut wählen.

Frage: Wie innovativ kann man denn dann eigentlich in einer Weihnachtspredigt sein?

Kroker: Genauso innovativ und kreativ wie bei jeder anderen Predigt auch. Ich gebe Workshops für Priesteramtskandidaten, in denen sich jeder Teilnehmer zum gleichen Bibeltext etwas überlegen soll. Am Ende stehen dann sehr viele sehr unterschiedliche Ansätze. Das ist ein Potenzial, dass sich auch an Weihnachten nutzen lässt: Herkunft und Heimat, Armut, Unterkunft, Elternrollen, das sind nur einige Themen, die jedem Menschen etwas anderes sagen – das kann man alles vermitteln. Dann der Blick auf uns heute, wie wir Weihnachten feiern: vom Familienzoff bis zum Veganer vor dem Weihnachtsbraten. Das ist ein riesiges Reservoir! Das alles vor dem Hintergrund einer Familie in einer der längsten und kältesten Nächte des Jahres. Das lässt viele unserer Probleme heute anders aussehen. Dabei nicht die Moralkeule herauszuholen, sondern eine Botschaft zu vermitteln, die etwas mit den Menschen macht, ist eine Herausforderung. Aber sie kann auch sehr fruchtbar sein.

Von Christoph Paul Hartmann