Alte Lehre und neue Möglichkeiten: Die Segenserklärung des Vatikan
Die Sprengkraft von dem, was er da schrieb, muss Glaubenspräfekt Víctor Manuel Fernández bewusst gewesen sein, denn direkt am Anfang seiner "Erklärung" "Fiducia supplicans" macht er einige wesentliche Punkte klar: Dass das ganze vom Papst approbiert ist, dass man "fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe" bleiben wolle, aber dennoch das "klassische Verständnis von Segnungen zu erweitern und zu bereichern" gewillt ist. Was nun folgt, sind einige Winkelzüge des Vatikan, um das eigene Handeln nicht als Bruch, sondern als Weiterentwicklung der bisherigen Stellungnahmen hinzustellen.
Da ist zuerst einmal eine Ausgangssituation. 2021 hatte die damalige Glaubenskongregation unter Fernández' Vorgänger Luis Ladaria auf die Frage "Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?" noch recht einsilbig geantwortet: "Nein." Begründung: Gott segne zwar "jedes seiner Kinder", aber "er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen". Denn laut Katechismus ist zwar gleichgeschlechtlich liebenden Menschen "mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen" (2358), homosexuelle Handlungen, also das auch körperliche Ausleben einer Beziehung, sei aber "in sich nicht in Ordnung" (2357). Sünde ist nach Meinung des Lehramts jede Form von Sexualität, die nicht innerhalb einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau stattfindet. Das Papier sorgte damals in der westlichen Bild für reichlich Protest und bildete den Ausgangspunkt für zahlreiche Segensfeiern, die unter der Überschrift "Liebe gewinnt" bundesweit gefeiert wurden.
Etwas anders zeigte sich der lehramtliche Tonfall dann im Oktober dieses Jahres, als Papst Franziskus auf die Anfrage von fünf Kardinälen im Zusammenhang mit der Weltsynode zumindest zwischen den Zeilen durchblicken ließ, dass er wohl nicht völlig gegen Segen für gleichgeschlechtliche Paare sei: "Daher muss die pastorale Klugheit angemessen unterscheiden, ob es Formen des Segens gibt, die von einer oder mehreren Personen erbeten werden und die keine falsche Vorstellung von der Ehe vermitteln."
Ein Thema erneut aufgegriffen
Diese beiden Anknüpfungspunkte macht sich Fernández' Erklärung nun zum Ausgangspunkt. Nicht zuletzt die "zahlreichen und unterschiedlichen Reaktionen" auf das Responsum ließen es angebracht erscheinen, "das Thema erneut aufzugreifen".
Nachdem die lehramtliche Auffassung über Form und Bedeutung der Ehe (Fiducia supplicans, Nr. 4) nun noch einmal ausführlich beschrieben und betont wird, dass es da nicht zu "Verwirrung" kommen darf, wendet sich der Text verschiedenen Formen des Segens zu. Da ist, so schreibt Fernández, zum einen der liturgische Segen, also etwa im Rahmen von Gottesdiensten. Dieser Segen erfordere es, "dass das, was gesegnet wird, dem Willen Gottes entspricht, wie dies in der Lehre der Kirche zum Ausdruck kommt" (9). Deshalb erinnere das Responsum schlüssig daran, dass aus diesem Grund ein liturgischer Segen für gleichgeschlechtliche Paare nicht möglich sei, da dies ja "einer Verbindung, die sich als Ehe oder außereheliche sexuelle Praxis ausgibt, eine Form der sittlichen Legitimität verleihen könnte" (11). Hier findet also eine Schwerpunktverschiebung statt: Fernández stellt die zweieinhalb Jahre alte Stellungnahme seiner eigenen Behörde nun nicht mehr so da, wie sie zum Veröffentlichungszeitpunkt verstanden wurde, nämlich als generelles "Nein", sondern als ein "Nein" gegenüber einem liturgischen Segen. Das ist eine durchaus weite Auslegung des Responsums, denn eine solche Unterscheidung wird dort nirgends erwähnt.
Fernández fährt dann jedoch sogleich damit fort, zu betonen, dass es daneben noch einen einfachen Segen gebe, für den nicht "dieselben moralischen Bedingungen" verlangt werden könnten, "wie sie für den Empfang der Sakramente gefordert werden" (12). Denn dann würde "die bedingungslose Kraft der Liebe Gottes" in den Schatten gestellt, "auf der jedoch die Geste des Segens beruht". Mit dieser Unterscheidung wird schon an dieser Stelle insinuiert: Das Segensverbot gilt für liturgischen Segen, nicht für den einfachen. Damit schafft sich die Erklärung ihren eigenen Korridor, um eine Segensoption aufzumachen.
Zwei Arten von Segen
Unterstrichen wird das im nun folgenden Teil zum Segen in der Bibel. Dort gebe es einen "priesterlichen Segen" mit "absteigendem Charakter (der also von Gott auf den Menschen herabkommt") und eine "zweite Art von Segen", die zu Gott aufsteige, also als eine Variation des Lobes und Dankes an Gott (15). Diese zweite Art von Segen – dem geneigten Lesenden ist natürlich schon klar, dass diese Form für die weitere Argumentation von entscheidender Bedeutung sein wird – könne auch vom Menschen ausgehen und sich auf seine Mitmenschen erstrecken (17). Jesus habe beide Formen praktiziert und etwa auch Kinder und seine Jünger gesegnet, bevor er zum Himmel aufgestiegen sei (18). Diese Segensvollmacht habe er der Kirche gegeben. "Der Segen, den Gott den Menschen gewährt und der von ihnen an ihre Nächsten weitergegeben wird, verwandelt sich in Integration, Solidarität und Stiftung von Frieden." Die Kirche lade die Gläubigen ein, "ihren Brüdern und Schwestern gegenüber die gleichen Herzenshaltung wie Gott zu haben". Dazu komme: Wer einen Segen erbitte, zeige damit sein Bedürfnis nach der heilbringenden Gegenwart Gottes und erkenne die Kirche als ein Sakrament dieses Heils an (20).
Damit kommt das Papier zu einer relevanten Conclusio. Denn im Rahmen dieses Erbittens von Segen für das Heil kommt Fernández zu den Formen des Segens, die außerhalb der Liturgie angesetzt sind, denn: "Werden diese Ausdrucksformen des Glaubens außerhalb eines liturgischen Rahmens betrachtet, findet man sich in einem Bereich größerer Spontaneität und Freiheit wieder" (23). Diese Form von Segen wird als Teil der Volksfrömmigkeit gesehen – und ausdrücklich als "pastorale Ressource". Es gehe um einen eigenen Stil, der zur Bewahrung seiner Eigenarten nicht in liturgische Feiern hineingetragen werden soll. Für diese Segnungen als Form der Frömmigkeit soll es keine "umfassende moralische Analyse" als Vorbedingung geben. Als Beispiele wird genannt, dass Menschen bei Wallfahrten oder wenn sie einen Priester treffen, spontan um einen Segen bitten (28). Der Segen sei dabei eine Art des Dankes an Gott – und, jetzt wird es spannend: "Niemand kann an dieser Danksagung gehindert werden, und jeder Mensch, auch wenn er in Situationen lebt, die nicht dem Plan des Schöpfers entsprechen, besitzt positive Elemente, für die er den Herrn loben kann."
Mit diesem sehr umfangreichen Umweg schwenkt die Erklärung auf Segnungen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (aber etwa auch von wiederverheirateten Geschiedenen): Als Form des "aufsteigenden Segens" könne jeder seinen "Lobpreis und seine Dankbarkeit zu Gott erheben" (29). Sehr klar scheint hier das Bekenntnis von Franziskus durch, der sich beim Weltjugendtag eine Kirche für "alle, alle, alle" gewünscht hatte.
Hergeleitete Einschränkungen
Von dieser nun eingeführten Form des Segens für gleichgeschlechtliche Paare werden nun einige Einschränkungen hergeleitet: Sie dürften von kirchlichen Autoritäten nicht rituell festgelegt werden (31) und nicht Teil eines Ritus sein (33) – beides sei eine "schwerwiegende Verarmung", denn eine solche Ritualisierung "würde eine Geste von großem Wert für die Volksfrömmigkeit einer übermäßigen Kontrolle unterwerfen und die Seelsorger der Freiheit und Spontaneität in ihrer seelsorgerischen Begleitung des Lebens der Menschen berauben" (36). Es wird festgehalten, dass diese Segensformen ein Teil des Lebens der Kirche seien, der "neben dem normativen fließt" (37) und nicht rechtlich abgedeckt werden soll. Insofern sei ein kurzes Gebet vor dem Segen durchaus möglich (38), zum Beispiel beim Gebet in einer Gruppe bei einer Pilgerreise (40). Dagegen nicht zulässig: Das Gebet etwa mit einer standesamtlichen Hochzeit zu verbinden oder etwa in entsprechender Kleidung dazu zu erscheinen – um "jedwede Form von Verwirrung oder Skandal zu vermeiden".
Den Segen, den homosexuelle Paare erhalten sollen dürfen, könnte man also etwas zynisch als "Segen zweiter Klasse" bezeichnen oder als eine informelle Form des Segens, denn jeder Segen bleibt auch in diesem Dokument gleich viel Wert. Erst diese etwas bemüht definierte Unterform des Segens macht es dem Dikasterium möglich, die eigene, noch keine drei Jahre alte Stellungnahme nicht widerrufen zu müssen, während der Inhalt des Dokuments ja genau das Gegenteil vertritt: Aus einem uneingeschränkten "Nein" wurde ein etwas eingeschränktes "Ja". Dass die gewählten Beispiele für einen solchen Segen (Priester spontan auf der Straße treffen, Pilgergruppe im Heiligtum) denkbar fromm sind, ist ebenso kein Zufall. Sie betten die angedachten Segensformen zumindest rhetorisch in einen traditionellen Kontext, wohl um allzu scharfem Progressivismusvorwürfen entgegenzusteuern. Fernández weiß, wie zerstritten die Kirche weltweit in der Segensfrage ist – und sucht deshalb nach einer Lösung, die den Befürwortern den Segen ermöglicht, den Gegnern die althergebrachte Lehre lässt und dabei gleichzeitig einigermaßen die (wenn auch notdürftige) Kontinuität vatikanischer Dokumente wahrt. All das gelingt der Erklärung, wenn auch der deduktive Weg dorthin zum Teil einigermaßen abenteuerlich ist.
Was bleibt, ist am Ende aber auch: Die zahlreichen Winkelzüge stehen alle unter der Prämisse der "pastoralen Vision" von Papst Franziskus, dass Dinge gezielt ungeregelt gelassen werden, anstatt die Lehre anzugehen. Das sorgt besonders angesichts der im Dokument erwähnten Beispiele für einige Freiräume, die vor Ort sicher im jeweiligen Zusammenhang anders interpretiert werden dürften. Dabei bleibt die Kirchenlehre zur Sexualität im ganzen Dokument ausdrücklich unangetastet und wird noch unterstrichen. Das zeigt sich nicht zuletzt in für betreffende Paare sehr schmerzhaften Abstrichen wie jene, der einen Segen im Zusammenhang mit einer zivilen Eheschließung unterbindet. Doch die Angst des Vatikan vor seinen konservativen Kritikern schien groß gewesen zu sein – so groß, dass lieber noch ein weiterer Zaun um den Segen gezogen wurde. Nichts desto weniger steht die Erklärung trotz anderslautender Selbstbezeichnung für eine Neuausrichtung der Kirche, wenn auch pastoral und nicht lehramtlich. Die Approbation des Papstes verleiht dem Papier Autorität, die segnenden Priestern nicht zuletzt Sicherheit bietet.