Brauchtum und Wissenswertes rund um das Krippenwiegen an Weihnachten

Das Jesulein in der Wiege – die kleinste Form der Krippe

Veröffentlicht am 26.12.2023 um 12:00 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das Wiegen des Jesuskindes, das sogenannte Kindleinwiegen, ist ein alter kirchlicher Brauch – und es gibt ihn bis heute. So wird im Kloster der Zisterzienserinnen in Lichtenthal bei Baden-Baden jedes Jahr an Weihnachten eine Krippenwiege zur Andacht der Nonnen aufgestellt.

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"Ja, das machen wir bis heute so", berichtet Schwester Hildegard Punge am Telefon. Die 89-Jährige ist Zisterzienserin der Abtei Lichtenthal und für das klostereigene Museum zuständig. Sie kennt sich mit alten Bräuchen und Gewohnheiten im Kloster aus und erzählt, dass die gotische Holzwiegekrippe der Gemeinschaft jedes Jahr an Heiligabend auf der Empore in der Klosterkirche aufgestellt wird. Dort oben auf der sogenannten Schwesternempore versammeln sich die Nonnen zum täglichen Gebet und zum Gottesdienst. Vor dem Altar steht dann die Krippenwiege und bleibt die ganze Weihnachtszeit dort. 

Früher war es üblich, dass die Schwestern an der Schnur, die an der Wiege befestigt ist, gezogen haben, bis diese hin und her schaukelte. So als wäre das Jesuskindlein echt und sollte so in den Schlaf gewiegt werden, erklärt Schwester Hildegard. Aber heute machen die Schwestern das nicht mehr. Die Krippe steht da und wird von den Nonnen betrachtet. "Für uns ist das Aufstellen der Krippe eine schöne Tradition an Weihnachten und ein Ausdruck unserer Liebe zu Jesus", sagt die Ordensfrau. 

Wenn die Weihnachtszeit dann vorbei ist, nimmt die Äbtissin des Klosters Lichtenthal das Jesuskind in einem feierlichen Akt aus der Wiege und trägt es, begleitet von den Mitschwester, in ihr Amtszimmer. Dort wird das Jesuskind mit einer "erbaulichen Rede der Mutter Äbtissin verabschiedet", berichtet Schwester Hildegard. Es gehe in der Rede meist darum, wie die Ordensfrauen heute die Botschaft Jesu fruchtbar in die Welt tragen können, erklärt sie. Nach der Ansprache der Klostervorsteherin wird die hölzerne Jesusfigur in einem Schrank verstaut - bis zum nächsten Jahr.

Bild: ©Klostermuseum Lichtenthal

Aus dem Archiv des Zisterzienserinnenklosters Lichtenthal: Eine Nonne kniet an einer Wiegenkrippe mit einer Jesusfigur darin.

Im Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal leben zurzeit 15 Ordensfrauen. Früher waren es drei Mal so viele, blickt Schwester Hildegard zurück. 1985 ist sie eingetreten. Dass damals die Klosterregeln strenger als heute waren, auch die Klausur, störe sie nicht. "Wir waren die ganze Zeit im Kloster, das brachte so eine Ruhe im Herzen mit sich", meint sie. Noch heute beten die Zisterzienserinnen von Lichtenthal sieben Mal am Tag gemeinsam und singen dabei lateinische Gesänge. Dazu verbringen sie viel Zeit in Stille und Meditation. Zur innigen Betrachtung der Ordensfrauen dient auch die weihnachtliche Wiegenkrippe mit dem Jesulein darin, das sogenannte "Fatschenkindlein", das in der Weihnachtszeit auf der Klosterempore aufgestellt wird.

Die "Fatschen" stehen umgangssprachlich für die Windeln, in denen das Jesukind gewickelt ist. Das Fatschenkindlein oder Wickelkind wird so genannt, weil es sich auf den biblischen Bericht der Geburt Jesu beziehe, erklärt die Leiterin des Rottenburger Diözesanmuseums, Melanie Prange. Im Lukasevangelium wird davon berichtet, dass Maria ihren neugeborenen Sohn in Windeln wickelte und in eine Krippe legte. Schon im Mittelalter entstanden rund um dieses "Fatschen- oder Wickelkind" viele religiöse Bräuche. Vor allem in den Klöstern. Prange verweist auf die große Fatschenkindsammlung des eigenen Diözesanmuseums. Die meisten der Jesuspuppen, die aus Ton, Holz, Wachs oder Porzellan gefertigt sind, stammen aus dem Süden Deutschlands oder aus Österreich und wurden in Klöster gefertigt. Dort wurden sie in den klostereigenen Werkstätten mit prächtigen Gewändern und Schmuck ausgestattet. Manche der Fatschenkinder sind in Glaskästchen oder Holzschränkchen gefasst und daher bis heute gut erhalten, so die Kunsthistorikerin.

Im Mittelalter war es üblich, solche "Fatschenkindlein" den Nonnen zur persönlichen Andacht mit in die Klosterzelle zu geben, weiß Prange. Die Figuren wurden deshalb als "Trösterlein" bezeichnet, vielleicht weil sie den Nonnen darüber hinweghalfen, dass sie keine eigenen Kinder haben. Auch das Wiegen dieser Jesusfiguren in einer Krippe ist ein sehr alter liturgischer Weihnachtsbrauch. Schon im 14. Jahrhundert finden sich Zeugnisse für Kinderwiegenfeiern in bayerischen und österreichischen Klosterkirchen. Dort haben Mönche und Nonnen die Krippe mit dem Christuskind gewiegt, dazu Lieder gesungen und das Stundengebet verrichtet. Im 15. Jahrhundert wurde das Brauchtum auch in Kirchengemeinden übernommen und das Christuskind nicht nur in der Krippe geschaukelt, sondern von den Gottesdienstbesuchern herumgereicht, geküsst und geherzt. Kritik gab es damals an diesem Brauch von Seiten der Geistlichen, weiß die Leiterin der Diözesanmuseum, aus Gründen der Ehrfurcht vor dem Heiligen.

Bild: ©Diözesanmuseum Rottenburg

Eine Wachsfigur mit Perlen und echtem Haar aus dem Rottenburger Diözesanmuseum. Es trägt den Namen: Christkind im Paradiesgarten und stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Doch das innige Nacherleben der weihnachtlichen Freude entsprach dem damaligen Empfinden der Menschen. Mit der Zeit verdrängte die Krippe als "nachmittelalterliches gegenreformatorisches Schaugerät" die Wiege. Aus dem "religiösem Spiel des Kindleinwiegens" entstanden später die weihnachtlichen Krippenspiele, die es bis heute gibt, erklärt Prange. Doch noch ist heute der Brauch des Kindelwiegens nicht ganz vergessen, nicht nur im Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal. So hat etwa die österreichische Gemeinde Sankt Gertrud des Augustinerchorherrenstifts Klosterneuburg den Brauch des Kindleinwiegens seit 2012 wieder eingeführt. An Weihnachten schaukeln nun jedes Jahr zwei Ministrantinnen das "Christkind" in einer Wiege, während gleichzeitig von Gemeindemitgliedern ein historischer Schreittanz aufgeführt wird. Wer möchte, darf das Jesulein auch aus der Krippe nehmen, es wiegen und weiterreichen. Dazu werde das Lied "Josef, lieber Josef mein", gesungen, ein Wiegenlied des mittelalterlichen Dichters Mönch von Salzburg. Eine sehr innige Form der weihnachtlichen Andacht, meint Prange.

Die Rottenburger Kunsthistorikerin erzählt auch, dass es früher in Familien üblich war, Fatschenkinder im sogenannten Herrgottswinkel der Küche in der Weihnachtszeit aufzustellen. Das weihnachtliche Geschehen wurde dadurch konkret und unmittelbar vergegenwärtigt. "Gott wird Mensch und damit zum Anfassen." Das Fatschenkind ist die kleinste Form der Weihnachtskrippe, sagt die Leiterin des Diözesanmuseum in Rottenburg am Neckar. Dass ein Fatschenkind der religiösen Versenkung dient, findet auch Schwester Hildegard aus dem Kloster Lichtenthal. "Ich kann mit Jesus reden, egal in welcher Form", sagt die Zisterzienserin. Bevor sie mit Anfang 20 ins Kloster eingetreten ist, hat sie auf einer Reise eine bildliche Darstellung von Jesus in einer Zeitschrift entdeckt, das Bild ausgeschnitten und es bis heute aufgehoben. Jeden Tag schaue sie es an, bei ihrer täglichen Andacht, berichtet sie. "Ich rede dann mit Jesus und sage ihm: Du, heute bin ich schon etwas müde, den Rest machst du jetzt für mich." Jesus sei für sie immer da, und sie ganz bei ihm, betont Schwester Hildegard. Deshalb sei sie schließlich Nonne geworden. Und hat es bis heute keinen Tag bereut, lacht die fast 90-Jährige.

Von Madeleine Spendier