Die Debatte um den Katholikentag lehrt etwas über Ostdeutschland
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Seit Dirk Oschmanns Schmähschrift "Der Osten: eine westdeutsche Erfahrung" streitet die Republik wieder in den Feuilletons, wie viele "Chancen auf Teilhabe, Repräsentativität, Einstieg oder gar Aufstieg in gesellschaftlich relevante Teilsysteme, von Macht, Geld und Einfluss" die Ostdeutschen haben. Der Klappentext des Buches des aus Thüringen stammenden Literaturprofessors, das unterm Weihnachtsbaum schon in 14. Auflage liegt, liefert für manche vorauseilend die Begründung für die befürchteten Wahlergebnisse der drei Landtagswahlen im kommenden Jahr.
Auch die katholische Kirche hat seit wenigen Wochen ihren 'Oschmann'. Mit Blick auf den Katholikentag Anfang Juni 2024 kritisierte der ehemalige Oberbürgermeister der ausrichtenden Stadt und zugleich Vorsitzender des Trägervereins für das Glaubens- und Debattenfest, Manfred Otto Ruge, man sitze als Ostdeutscher am Katzentisch und dürfe die eigene Geschichte nicht erzählen. Zu wenig kämen ostdeutsche Themen und Protagonist*innen vor.
Dies auch außerhalb der internen Planungskreise zum jetzigen Zeitpunkt gerecht beurteilen zu können, ist zu früh. Denn die Programmplanungen sind noch nicht öffentlich und sicher nicht vollständig abgeschlossen. Ungeachtet dessen könnte Ruges Kritik dafür sensibilisieren, dass zahlreiche in den Neuen Bundesländern lebende Katholik*innen nicht nur gesellschaftlich, sondern auch kirchlich das Gefühl haben, ihre Lebens- und Glaubensrealität einer multiplen Diaspora findet zu wenig Resonanz in dem von der Rheinschiene geprägten politischen Katholizismus. Und zu viele Katholiken in Deutschland eine Vorstellung vom Osten der Republik haben, die mit der Lebenswirklichkeit nur schwer übereinstimmt.
Ruges Kritik eröffnet aber noch eine ganz andere Frage: Was sind – fast 35 Jahre nach dem Mauerfall – die spezifisch ostdeutsch-katholischen Themen? Immerhin gibt es das Leben in multipler Glaubensminderheit inzwischen auch in erster bis zweiter Generation zunehmend auch in anderen Teilen Deutschlands. Der politische Druck jedoch ist seit 35 Jahren liberaler Freiheit gewichen. Das Glaubensbekenntnis hat keine Konsequenzen der Ausgrenzung mehr.
Und wer darf sich heute als ostdeutsch definieren und wer nicht? Sind es jene Leipziger und Schweriner, die seit Anfang der 1990er in Köln, München und Erlangen leben? Oder sind es jene Hamburger, Stuttgarter und Hannoveraner, deren Kinder in Dresden, Erfurt und Potsdam geboren sind?
Tatsächlich gibt es bis heute verschiedene Narrative in Ost und West, teils sogar gläserne Decken. Die mit der Deutschen Einheit gewonnene Freiheit erlaubt das Jammern darüber. Aber sie ermöglicht eben auch, selbst die Freiheit zu nutzen und Brücken zum jeweils anderen zu bauen, um den eigenen Erfahrungen einen Wert für die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft zu geben.
Der Autor
Thomas Arnold ist Leiter der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und Mitglied in der Grundwerte-Kommission zur Erstellung des CDU-Grundsatzprogramms.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.