Standpunkt

Neuevangelisierung und Reformen nicht gegeneinander ausspielen!

Veröffentlicht am 02.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Ricarda Menne – Lesedauer: 

Bonn ‐ Rezepte gegen den Glaubensverlust sehen unterschiedlich aus: Die einen setzen auf Neuevangelisierung, die anderen mahnen Reformen an. Ricarda Menne ist überzeugt: Beides muss ineinandergreifen und darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.

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"Wären nur alle darin mit mir einig, dass die unruhige Geschäftigkeit den Gemeinden nur schadet. Der Glaube geht in die Brüche, wenn er als Deckmantel für die ehrgeizige Rechthaberei der Einzelnen dienen muss." Was sich liest wie ein sprachlich etwas antiquierter Stoßseufzer aus den Reihen derjenigen, die haupt- oder ehrenamtlich das kirchliche Leben in den Gemeinden vor Ort stemmen, hat tatsächlich schon mehr als 1.600 Jahre auf dem Buckel. Das Zitat stammt aus der Feder des kappadokischen Bischofs und Kirchenvaters Gregor von Nazianz an seinen Studienfreund und Amtsbruder Basilius den Großen, derer beider Gedenktag die Kirche heute feiert.

Ob es für uns heute ein Trost ist, dass schon ein altkirchlicher Bischof über "unruhige Geschäftigkeit", "ehrgeizige Rechthaberei" und Glaubensverlust in der Kirche klagte? Das zu beurteilen sei jedem selbst überlassen.

Rezepte gegen den Glaubensverlust sehen unterschiedlich aus: Die einen setzen auf N wie Neuevangelisierung, die anderen mahnen R wie Reformen an. In gut katholischer et-et-Manier – "sowohl ... als auch" – ahnt man: Beides muss ineinandergreifen, darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Auch worin die "unruhige Geschäftigkeit" unserer Zeit besteht, dürfte je nach Standpunkt des Betrachters ganz unterschiedlich ausfallen: Die einen sehen sie in Reformdebatten, wie sie im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) oder beim Synodalen Weg geführt wurden bzw. werden, die anderen erblicken "unruhige Geschäftigkeit" in den Umstrukturierungen der Gemeinden zu immer größeren Seelsorgeeinheiten.

Meine Wünsche für und an die Kirche für das neue Jahr 2024:

Mögen diejenigen, die qua Amt in der Kirche Macht und Einfluss haben etwas zu verändern, mutig aufgreifen, was viele TheologInnen und Gläubige schon lange konstatieren: dass der Glaubensverlust in der westlichen Welt nicht nur auf das Konto von Säkularisierung, Individualisierung und demographischem Wandel geht, sondern auch ein hausgemachtes Problem ist.

Mögen sowohl "unruhige Geschäftigkeit" als auch lähmende Stagnation immer mehr einer Haltung weichen, die Wachstum und Neubeginn ermöglicht, in weltkirchlicher Perspektive die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen aushält und Sterbendes sterben lässt.

Und möge die von Gregor von Nazianz beklagte "ehrgeizige Rechthaberei" immer mehr einem Klima weichen, in dem offen und ehrlich, durchaus auch streitbar, aber nicht verletzend oder intrigierend miteinander gesprochen und gerungen wird. Letzteres kann man angesichts immer stärker zu Tage tretender Brüche und Spannungen auch unserer Gesellschaft und dem Miteinander der Staaten in Europa nur wünschen.

Von Ricarda Menne

Die Autorin

Ricarda Menne ist Lehrerin für Englisch, Geschichte und katholische Religion. Außerdem ist sie in der Hochschulpastoral der Bergischen Universität Wuppertal tätig.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.