Standpunkt

Franz Beckenbauer – Zwischen "Hosianna" und "Kreuzige"

Veröffentlicht am 12.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Tilmann Kleinjung – Lesedauer: 

München ‐ Franz Beckenbauer war Mensch und Lichtgestalt, kommentiert Tilmann Kleinjung. Von vielen verehrt, kam er nach der erfolgreichen WM-Bewerbung 2006 massiv in die Kritik. Das zeigt: Unsere Hoffnungsträger dürfen Schattenseiten haben.

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In dunklen Wintertagen sehnen wir uns nach Licht. Und Lichtgestalten. Die große Trauer um Franz Beckenbauer und der gleich nach der Todesnachricht wieder belebte Kaiserkult sprechen Bände. Die Verklärung fand schon zu Lebzeiten dieses begnadeten Fußballers statt, nach seinem Tod kommt noch eine Portion Nostalgie dazu, die Sehnsucht nach den vermeintlich guten alten Zeiten. Die bunten 70er Jahre, Kindheitserinnerungen. Wie leichtfüßig der Kaiser den Fußball behandelt hat, wie elegant er auch abseits des Platzes in Erscheinung trat. Eine echte Stil-Ikone dieser Mann. Beckenbauer verstand die Gesetze des rasant wachsenden Fußballmarktes und nutzte sie geschickt für sich. Geschenkt, gegönnt. Seine Rolle bei der erfolgreichen WM-Bewerbung 2006, bei der Millionenzahlungen flossen: vergessen, verziehen.

Das ist das Überraschende an den Franz-Festspielen dieser Tage: Unsere Lichtgestalten dürfen Schattenseiten haben. Franz Beckenbauer ist bei allem Erfolg Mensch geblieben, hat nie vergessen, wo er herkommt: aus einfachen Verhältnissen in München-Giesing. Als Trainer soll er immer ewig gebraucht haben, um nach Spielende vom Platz zurück in die Kabine zu kommen. Weil er so vielen Menschen begegnet ist, ein Handschlag hier, ein Schwätzchen dort. Ein Held darf auch scheitern. Beim "Jahrhundertspiel" 1970 in Mexiko renkt sich Beckenbauer die Schulter aus. Und spielt weiter und verliert das WM-Halbfinale gegen Italien. Auch dieses Bild wir zur Ikone: der bis zum Umfallen kämpfende Kaiser, dessen Arm mit Bandagen am Körper fixiert wird. So erobern Verlierer Herzen.

In einer ARD-Dokumentation über Franz Beckenbauer beklagt Ex-Außenminister Joschka Fischer ein angeblich typisch deutsches Phänomen: die kurze Wegstrecke zwischen "Hosianna" und "Kreuzige". Franz Beckenbauer wurde als Fußballer und Trainer hochverehrt (zumindest von den eigenen Fans). Als publik wurde, auf welche Weise die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland gekommen war, wurde er heftig kritisiert. Auch das müssen Lichtgestalten aushalten. Und es tut, wie man an Franz Beckenbauer sieht, ihrer Verehrung keinen Abbruch.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.