Dogmatiker widerspricht Korrekturbedarf in Ratzinger-Autobiografie
Der Kölner Theologe Manuel Schlögl sieht keinen Korrekturbedarf an der Autobiografie von Joseph Ratzinger nach der Veröffentlichung bisher nicht verfügbarer Gutachten zu dessen Habilitation. In einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Zeitschrift "Communio" (Samstag) schreibt Schlögl, der an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie den Lehrstuhl für Dogmatik und ökumenischen Dialog innehat, dass die wesentlichen Kritikpunkte an der Qualifikationsarbeit Ratzingers von diesem selbst im Wesentlichen in seiner Autobiografie benannt wurden. "Wissenschaftlich wie moralisch will man damit den verstorbenen Papst diskreditieren, nicht zum ersten Mal", so Schlögl.
Die Zeitschrift "Publik-Forum" hatte am Donnerstag zwei Gutachten des Münchner Dogmatikers Michael Schmaus zur Habilitationsschrift Ratzingers aus der Mitte der 1950er Jahre veröffentlicht. Ratzinger sei demnach nicht mit der nötigen wissenschaftlichen Offenheit an seine Untersuchung herangegangen. Er habe erst Thesen aufgestellt und dann alles Gelesene passend gemacht oder ignoriert; sein Urteil habe von vornherein festgestanden. Schlögl betont dagegen, dass Ratzinger in seinen Erinnerungen aus dem Jahr 1997 Schmaus in manchen Punkten durchaus Recht gegeben habe. Er schreibe dort "von 'einer für einen Anfänger wohl unangebrachten Schärfe', mit der er damals geurteilt habe, und von der Unzulänglichkeit der äußeren Form". Von einer "Beschönigung" der Memoiren könne also keine Rede sein, "wohl aber vom Verstehen-Wollen des anderen und einer gehörigen Portion Selbstkritik, wie sie auch manchem gut zu Gesicht stände, der nun über ihn urteilt", so der Kölner Dogmatiker weiter.
Restriktiver Zeitgeist der Kirche der 1950er gegenüber der Theologie
Schlögl ordnet die Kontroversen um Ratzingers Habilitation in den Zeitgeist der 1950er Jahre in der Kirche ein. Nach der Veröffentlichung der Enzyklika "Humani generis" (1950) durch Papst Pius XII. (1939–1958) habe eine regelrechte Verfolgung "moderner" Theologen eingesetzt: "Schmaus stand in dieser Diskussion der römischen Linie nahe und wurde später von Henri de Lubac, einem der Verfolgten, als 'römischer Integralist' bezeichnet." Ratzingers Lehrer Gottlieb Söhngen habe dagegen unter dieser geistigen Enge gelitten und seinen Schüler unterstützt, eine an Schrift und Überlieferung orientierte Erneuerung der Theologie zu verfolgen.
Der Kölner Dogmatiker untermauert seine Position mit Verweis auf unveröffentlichte Quellen aus dem Archiv der katholischen Bonner Theologie-Fakultät. Der Fundamentaltheologe Albert Lang habe 1958 dem Dekan der Fakultät von einem Brief von Schmaus berichtet, in dem dieser ausdrücklich davor gewarnt habe, Ratzinger auf den Bonner Lehrstuhl zu berufen. Das stütze auch die Darstellung in der Autobiographie, dass die Animositäten vom Gutachter Schmaus, nicht vom Begutachteten Ratzinger ausgegangen seien. Anders als die von "Publik-Forum" veröffentlichten Texte der Durchschriften der Gutachten sind die Quellen, auf die sich Schlögl stützt, von "Communio" nicht öffentlich verfügbar gemacht worden.
Joseph Ratzinger wurde 1957 mit einer Arbeit unter dem Titel "Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura" habilitiert. Für die Arbeit hatte er den von Schmaus am wenigsten beanstandeten Teil der ursprünglichen Fassung mit dem Titel "Das Offenbarungsverständnis und die Geschichtstheologie Bonaventuras" überarbeitet. Die entfernten Teile wurden erstmals 2009 veröffentlicht. 1958 wurde Ratzinger Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, 1959 wurde er auf den Bonner Fundamentaltheologie-Lehrstuhl berufen. Weitere Stationen seiner wissenschaftlichen Karriere waren Münster, Tübingen und bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising 1977 Regensburg. (fxn)