Dokumente zeigen Korrekturbedarf bei Ratzingers Autobiographie
Dokumente aus dem Habilitationsverfahren von Joseph Ratzinger zeigen, dass der spätere Papst Benedikt XVI. die Vorgänge aus der fast gescheiterten wissenschaftlichen Qualifikation geschönt und zum Nachteil seines Betreuers dargestellt hat. Das geht aus dem vom Münchener Professor Michael Schmaus verfassten Zweitgutachten hervor, das die Zeitschrift "Publik-Forum" am Donnerstag veröffentlicht hat. Ratzinger hatte in seiner 1997 erschienenen Autobiographie Schmaus als missgünstigen Gegner dargestellt, der enttäuscht gewesen sei, dass er ihn nicht als Erstgutachter für die Qualifikationsschrift über den Franziskaner-Theologen Bonaventura ausgewählt hatte. Die von "Publik-Forum" veröffentlichten Zweitgutachten zeichnen aber ein anderes Bild.
Darin lobt Schmaus den damals 29-jährigen Ratzinger zwar als "Denker von ursprünglicher Kraft", der "über eine suggestive Sprachkraft und über eine glänzende Formulierungsfähigkeit verfügt", kritisiert aber wissenschaftliche Defizite der Arbeit. Ratzinger sei nicht mit der nötigen wissenschaftlichen Offenheit an seine Untersuchung herangegangen. Er habe erst Thesen aufgestellt und dann alles Gelesene passend gemacht oder ignoriert; sein Urteil habe von vornherein festgestanden. Auch habe Ratzinger mehrere gerade erschienene Werke zum Thema nicht berücksichtigt. So komme er zu voreiligen und teils falschen Urteilen. Ratzinger hatte 1997 dagegen behauptet, dass Schmaus "fast ganz auf dem Stand der Vorkriegszeit stehen geblieben sei" und deshalb seinen Ausführungen nicht gefolgt sei.
Deutliche Kritik, aber Habilitation sollte gerettet werden
Schmaus kritisiert mehrfach, dass der junge Ratzinger "in schulmeisterlichem Ton" die Positionen andere Wissenschaftler abgewertet habe. Er erwecke den Eindruck, "die wissenschaftliche Welt hebe erst mit ihm an". Der Dogmatiker stellt fest: "Unwillkürlich fühlt man sich zu dem Ausruf gedrängt: 'Ecce, praeceptor theologiae!' [(Siehe, der Lehrmeister der Theologie!)]" Schmaus sei es aber dennoch darum gegangen, Ratzingers Habilitation und damit die Voraussetzung für seine wissenschaftliche Karriere zu retten.
Die Durchschriften der beiden Zweitgutachten zur ersten und schließlich angenommenen zweiten Fassung der Habilitation wurden "Publik-Forum" durch den Münchener Professor für christliche Philosophie Richard Heinzmann, einen Schüler von Schmaus, übergeben. Die Originale seien im Archiv der Münchener Universität unter Verschluss. Heinzmann verteidigt Schmaus gegen die Vorwürfe: Dieser habe sich für einen schnellen Abschluss des Verfahrens eingesetzt, "trotz berechtigter Kritik wegen gravierender wissenschaftlicher Mängel" der Arbeit. Er habe aber "dem Kandidaten, dessen außerordentliche wissenschaftliche Begabung für ihn außer Frage stand", nicht schaden wollen, so Heinzmann gegenüber "Publik-Forum". Nachdem der 1993 verstorbene Schmaus selbst nicht mehr der Darstellung der 1997 veröffentlichten Autobiographie "Aus meinem Leben" widersprechen konnte, sieht Heinzmann nun Wissenschaft und Biografen in der Pflicht, die Selbstdarstellung Ratzingers in dieser Hinsicht kritisch zu hinterfragen und zu korrigieren.
Joseph Ratzinger wurde 1957 mit einer Arbeit unter dem Titel "Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura" habilitiert. Für die Arbeit hatte er den von Schmaus am wenigsten beanstandeten Teil der ursprünglichen Fassung mit dem Titel "Das Offenbarungsverständnis und die Geschichtstheologie Bonaventuras" überarbeitet. Die entfernten Teile wurden erstmals 2009 veröffentlicht. 1958 wurde Ratzinger Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising an, 1959 wurde er auf den Bonner Fundamentaltheologie-Lehrstuhl berufen. Weitere Stationen seiner wissenschaftlichen Karriere waren Münster, Tübingen und bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising 1977 Regensburg. (fxn)