Theologe Gaus: Kirche kann auf Religionspädagogen nicht verzichten
Der Fachkräftemangel hat längst die Kirchen erreicht. Auch im Bereich der Religionspädagogen, die als Gemeindereferenten arbeiten, ist das spürbar. Am Campus Benediktbeuern, der zur Katholischen Stiftungshochschule München gehört, werden seit Langem Religionspädagogen für den kirchlichen Dienst ausgebildet. Dort hat man sich überlegt, wie man das Studium attraktiver gestalten könnte. Ab dem Wintersemester 2024/25 wird dort der Studiengang "Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit dual" angeboten. Das Grundprinzip lautet: Die Studierenden sind während der sieben Semester bei kooperierenden Diözesen angestellt. Sie haben an anderthalb Tagen pro Woche Online-Veranstaltungen und alle drei Monate zwei Lehrveranstaltungen im Block vor Ort in Benediktbeuern. Den Rest der Zeit sind sie in den klassischen Arbeitsfeldern von Religionspädagogen tätig, etwa Pfarrei und Schule. Der Leiter des Studiengangs, der Theologe und Religionspädagoge Ralf Gaus, stellt im Interview die genauen Beweggründe für das neue Angebot dar – und blickt allgemein auf die Lage der Religionspädagogik-Ausbildung in Deutschland.
Frage: Herr Gaus, wenn man an die Universitäten oder theologischen Hochschulen schaut, gehen die Zahlen derer, die ein theologisches Vollstudium absolvieren – und damit potenziell später in der Seelsorge arbeiten – rapide zurück. Wie sieht es in der Religionspädagogik an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) aus?
Gaus: Die Resonanz ist ganz unterschiedlich: Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr als auch von Hochschule zu Hochschule. Es ist eine ständige Bewegung – und es ist natürlich nicht mehr so, dass man mit festen Größen an Studierenden rechnen kann.
Frage: Wer studiert Religionspädagogik?
Gaus: Wir haben ein sehr breites Publikum: Sowohl die Altersspanne als auch die Hintergründe sind ganz unterschiedlich. Es gibt Personen, die schon früh wissen, dass sie Religionspädagogik studieren wollen, Abitur machen – allgemein oder fachgebunden –, und dann zum Studium kommen. Wir haben aber auch viele Personen, die erst später zum Studium kommen und schon mit Beruf, Partnerin bzw. Partner oder Familie Mitten im Leben stehen. Diese haben vorher eine Ausbildung gemacht, eventuell auch den Meisterbrief, und sich erst dann für das Studium der Religionspädagogik bzw. Angewandte Theologie entschieden. Das sind meistens Leute, die schon engagiert in der Kirche mitarbeiten und Feuer gefangen haben und nun ihr kirchliches Engagement zum Beruf machen wollen. Auch gibt es viele, die in ihrem bisherigen Beruf keine Erfüllung oder Sinn gefunden haben und nun den Beruf wechseln wollen.
Frage: Wie ist das im Vergleich zu denen, die Theologie an der Universität studieren?
Gaus: An den Universitäten findet man tatsächlich eher die Personen, die nach dem Abitur zum Studium kommen, und dann auch den Weg suchen, akademischer zu arbeiten; manche davon streben auch explizit eine wissenschaftliche Laufbahn in der Theologie an. Unsere Studierenden dagegen kommen explizit an die Hochschule, weil sie ein praxisnahes und praxisorientiertes Studium wünschen. In unseren Veranstaltungen bringen die Studierenden sehr deutlich den Wunsch ein, Theorie und Praxis zu verbinden. Die spezifische Expertise der HAWs in Deutschland liegt genau darin. Das zeigt sich auch – verglichen mit den Universitäten – an besonderen Berufungsverfahren für die Einstellung von Professorinnen und Professoren. Diese müssen mindestens drei Jahre Berufserfahrung außerhalb der Hochschule besitzen. Deshalb schätze ich auch die Aufteilung zwischen HAWs und Universitäten. Diese Differenzierung hat seit vielen Jahren zu einer Professionalisierung hinsichtlich der verschiedenen Berufsbilder innerhalb der Kirche beigetragen. Sie hat sich sehr bewährt und sollte auch nicht leichtfertig aufgegeben werden.
Frage: Bei Ihnen in Benediktbeuern kann man Religionspädagogik bald dual studieren. Studierende sind dann schon beim Studienbeginn bei einer Diözese angestellt. Was wollen Sie mit diesem Angebot erreichen?
Gaus: Zum einen wollen wir die Verknüpfung von Theorie und Praxis noch stärker intensivieren. Bisher absolviert man innerhalb des Studiums drei verschiedene Praktika, und erst im Anschluss an das Studium steigt man voll in die Praxis ein. Mit diesem dualen Studiengang wird dreieinhalb Mal mehr Praxis implementiert. So können wir auch innerhalb der Lehre eine noch höhere Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis erreichen. Dadurch erhoffen wir uns auch, dass die Studierenden die Theorie mit der Praxis viel konkreter in Verbindung bringen können und die Praxis die Theorie Angewandter Theologie wiederum beeinflusst.
Der zweite Aspekt ist eher pragmatischer Art: Wir haben Studierende aus dem mittleren Lebensabschnitt, die in irgendeiner Form schon gearbeitet haben und meist Verantwortung für eine Familie tragen. Es gibt Studierende, die bei uns in Benediktbeuern studieren wollen, aber örtlich und finanziell gebunden sind. Sie können ihr Studium nicht einfach so finanzieren, geschweige denn umziehen. Viele von unseren Studierenden sind zudem über das Alter hinaus, um eine Studienfinanzierung zu erhalten. Wenn ein Studium an finanziellen oder örtlichen Gründen scheitert, ist das sehr bedauerlich. Deshalb werden sie zu Beginn des Studiums bei einem Bistum angestellt, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Und weil viele eben örtlich oder familiär gebunden sind, wird es viele Lehrveranstaltungen online geben. Wir freuen uns sehr, dass wir hier mit mehreren Diözesen kooperieren. Mit dem Angebot werden also Menschen angesprochen, für die die bisherige Form des Studiums nicht möglich war.
Frage: Und ein weiterer Gedanke der Bistümer ist vermutlich, dass sie so relativ schnell Mitarbeiter bekommen. Fachkräftemangel wird ja gerade in der Kirche ein immer virulenteres Thema.
Gaus: Das ist für die Diözesen natürlich auch ein Gesichtspunkt. Die Studierenden sind ab dem ersten Tag ihres Studiums mit 20 Stunden pro Woche vor Ort; sie arbeiten halbtags und sind damit verlässliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir gehen davon aus, dass unsere Studierenden von Semester zu Semester durch die kontinuierliche Praxistätigkeit zu einer immer größeren Unterstützung in den Gemeinden und Schulen werden. Mit dieser frühen diözesanen Anbindung besteht die Hoffnung, dass die Studierenden Lust bekommen, nach dem Studium noch die Ausbildung zur Gemeindeassistenz oder zum kirchlichen Referendariat zu absolvieren. Man könnte sagen, unser duales Studium stellt einen Beitrag zur Berufungspastoral dar.
Frage: Ist dieser duale Studiengang auch eine Reaktion auf den zunehmenden Eindruck, dass man in der Ausbildung von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Praxisbezug allgemein stärken sollte?
Gaus: Wir hatten die Idee, weil Studierende sagten, dass sie sieben Semester lang in Lehrveranstaltungen sind und Praktika absolvieren, aber gerne viel früher Theorie und Praxis in Verbindung bringen wollen. Vielen entspricht diese Praxisnähe auch in ihrem Lernzugang. Sie wollen gerne ganz konkret in der Praxis die Theorie "anwenden" bzw. ihre Praxiserfahrung in der Veranstaltung mit der Theorie reflektieren. Mit dem dualen Studiengang wollen wir auch diesem Anliegen und den neuen Entwicklungen Rechnung tragen.
Frage: Würden sie sich also auch wünschen, dass Leute, die an der Uni studieren und später als Priester oder Pastoralreferenten arbeiten, schon im Studium mehr Praxis lernen?
Gaus: Ich war früher selbst an der Universität und dann fünf Jahre Religionslehrer an einem Gymnasium: Von Religionslehrkräften hört man oft ähnliches. Viele ehemalige Studierende an der Universität beschreiben mir, dass das, was in der Praxis auf sie zukam, ein komplett neues Feld war und dass sie sich an vielen Stellen nicht darauf vorbereitet fühlten. Wir wollen mit unserem dualen Studiengang mit Blick auf die HAWs diese Lücke schließen.
Frage: "Zeugnis abzulegen" von dem, was man glaubt, ist für Kirchenmitarbeitende unerlässlich. Besteht durch diese Verstärkung der Praxis eventuell die Gefahr, die Theorie schleifen zu lassen?
Gaus: Diese Frage höre ich immer wieder. Allerdings sehen wir diese Gefahr nicht – ganz im Gegenteil. Von den Lehrveranstaltungen in allen Fächern bleibt der Studiengang identisch mit denen, die es in Deutschland gibt. Es gibt die gleichen Anteile an Dogmatik, Exegese und so weiter. Wir sind aber überzeugt, dass durch diesen Theorie-Praxis-Zirkel der Lerngewinn unserer Studierenden deutlich steigt. In den Lehrveranstaltungen erhalten unsere Studierenden Transferaufgaben und müssen das, was sie etwa in der Lehrveranstaltung zum Religionsunterricht lernen, gleich in der Praxis, sprich in der Schule umsetzen: Wenn sie vor der Schulklasse stehen und etwa von Schülern gefragt werden, was Auferstehung und Erlösung bedeuten, und sie darauf reagieren müssen, werden sie diese Frage nie wieder vergessen und merken, dass man mit theologischen Floskeln hier nicht weiterkommt.
Frage: Gehen Sie mit diesem Studiengangauch bewusst in die Konkurrenzsituation mit den anderen Hochschulen in Deutschland, die Religionspädagogen ausbilden?
Gaus: Wir werden unseren "klassischen" Studiengang weiterhin anbieten. Ihn und unser Doppelstudium Soziale Arbeit und Religionspädagogik werden wir nicht aufgeben. Wir sind mit den anderen Hochschulen im ständigen und engen Austausch, was wir anbieten, und setzen hier auf Transparenz. Die anderen Hochschulen suchen ebenfalls nach innovativen Formen, um Studierenden ein attraktives Studium anzubieten – und auch Menschen für die kirchlichen Berufe zu gewinnen. Da gibt es ganz unterschiedliche Wege, die sich auch je nach Diözese und Hochschulort unterscheiden. Und wenn etwas funktioniert, dann können dies andere Hochschulen ja auch übernehmen. Das Doppelstudium, mit dem wir 2014 gestartet sind, findet sich heute an den meisten Hochschulen.
„Viele ehemalige Studierende an der Universität beschreiben mir, dass das, was in der Praxis auf sie zukam, ein komplett neues Feld war und dass sie sich an vielen Stellen nicht darauf vorbereitet fühlten“
Frage: Ein paar Diözesen haben ihre Kooperation schon zugesagt. Wie wollen sie andere noch überzeugen?
Gaus: Angesprochen haben wir alle Diözesen in Deutschland. Manche überlegen noch, manche haben schon gesagt, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt dazustoßen. Andere überlegen, ob es in ihrer Diözese überhaupt umsetzbar ist. Je nach Größe oder Lage ist es nicht immer möglich für Studieninteressierte, eine passende Gemeinde in der Nähe zu finden. Das duale Studium ist für alle Beteiligten auf unterschiedliche Weise eine Herausforderung und vor allem eine große Chance. Auf das Konzept an sich habe ich ausschließlich positive Rückmeldungen erhalten.
Frage: Wenn wir jetzt nochmal auf das Fach Religionspädagogik allgemein schauen: Welche Zukunft hat es im Fächerkanon – und im Bereich der Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter?
Gaus: Religionspädagogik oder Angewandte Theologie hat eine bleibende Bedeutung: Sowohl der Beruf der Religionslehrerin oder Religionslehrer als auch der Beruf der Gemeindereferentin oder des Gemeindereferenten sind im Umbruch; gerade die Anforderungen, mit denen wir heute in den Gemeinden zu tun haben, verändern sich ebenfalls massiv. Daher wird sich das Berufsfeld der Gemeindereferentin oder des Gemeindereferenten ändern und – davon bin ich überzeugt – auch attraktiver werden für Personen, die jetzt diesen Studiengang absolvieren. Wenn die Kirche bei uns ihrem Auftrag kompetent und professionell nachkommen möchte, kann sie auf die Religionspädagogik nicht verzichten.