Akademiechef: Kann schlecht recherchierte Polemik nicht ernst nehmen
Am Montag veröffentlichte die katholische Zeitschrift "Communio" auf ihrer zum Jahreswechsel runderneuerten Online-Präsenz einen Text des langjährigen Feuilletonchefs der Wochenzeitung "Die Zeit", Ulrich Greiner. Darin polemisiert der 78-Jährige, der neuerdings zum Kolumnistenkreis von "Communio" gehört, gegen die Katholischen Akademien in Deutschland. Unter anderem wirft er ihnen vor, in ihren Programm "das Christliche" weitgehend zu ignorieren und auch sonst eher irrelevant zu sein. Die Akademien wollten keinen Anstoß erregen, sondern mitschwingen im allgemeinen Diskurs. "Sie schwingen so lange mit, bis keiner mehr hinguckt", so Greiner am Schluss seines Textes. Der Direktor des Caritas-Pirckheimer-Hauses, der katholischen Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens in Nürnberg, Siegfried Grillmeyer, antwortet Greiner auf katholisch.de:
Manchmal reibt man sich nur verwundert die Augen bei der Lektüre eines Textes und ist versucht, ihn einfach zur Seite zu legen oder wegzuklicken und dahin zu befördern, wo sowieso vieles landet, nämlich in den Papierkorb. So erging es mir beim Lesen des Artikels "Bis keiner mehr hinguckt" von Ulrich Greiner, der am Montag bei "Communio" erschien und bei dem sich der Untertitel sehr schnell als rein rhetorische Frage entpuppt: "Was haben katholische Akademien eigentlich noch zu bieten?" Denn die Antwort ist für den Autor recht eindeutig: Wenig bis tendenziell überhaupt nichts!
In seinem Text greift Greiner zwei kleine Fundstellen – die Festschrift einer katholischen Akademie und das Halbjahresprogramm einer anderen – auf, um sie völlig aus dem weiteren Kontext der dortigen Akademiearbeit zu reißen und dann auch noch Schlussfolgerungen zu ziehen, die gleich allen Akademien ihre Relevanz und Berechtigung absprechen. Der kleine dazwischen geschobene Satz "Es könnte immerhin sein, dass die übrigen 22 Akademien genau das Programm machen, das mir fehlt", macht es nicht besser, sondern belegt eher die aufmerksamkeitserheischende Absicht von Greiners Zeilen.
Soll man auf eine derart schlecht recherchierte Polemik reagieren?
Soll man nun als Direktor einer derartigen Einrichtung darauf reagieren, wenn ein profunder Kenner bildungstheoretischer Diskurse und auch der katholischen Welt bei der mit großem Aufwand unter dem Dach des Herder Verlags runderneuerten katholischen Zeitschrift "Communio" offenbar einzelne, nicht repräsentative Fundstücke herausgreift, um auf der Grundlage eines nicht spezifischen Bildungsbegriffs und eines verkürzenden Verständnisses des "Katholischen" ein Urteil vorzulegen? Und bedeutet auf einen solchen Artikel zu reagieren üblicherweise nicht bereits, ihn ernst zu nehmen – was ich bei einer derart schlecht recherchierten Polemik nun wirklich nicht tun kann?
„Ein – selbst nur kursorischer Blick – auf die Angebote und Projekte der von Greiner pauschal abgeurteilten Akademien in Deutschland würde ein differenzierteres und breit gefächertes Bild ergeben.“
Unter Polemik – so findet man es flugs bei Wikipedia – bezeichnet man "einen meist scharfen Meinungsstreit. (…) Ziel ist, die eigene Meinung auch dann durchzusetzen, wenn sie sachlich nicht oder nur teilweise mit der Realität übereinstimmt. Der Begriff hat historisch einen Wandel erfahren; die ursprüngliche Bedeutung von Polemik war Streitkunst, ein literarischer oder wissenschaftlicher Streit, eine gelehrte Fehde."
Aus diesem Grund schreibe ich diese Zeilen, denn es geht mir nicht um eine Apologie der wichtigen Bildungsarbeit, die an Akademien geleistet wird: Ein – selbst nur kursorischer Blick – auf die Angebote und Projekte der von Greiner pauschal abgeurteilten Akademien in Deutschland würde ein differenzierteres und breit gefächertes Bild ergeben. Und ich werde zum Beispiel auch nicht ausführen, wie intensiv biblische Angebote, akademische Exegese im weitesten Sinne, an unseren Häusern vermittelt werden, und damit eben auch die Durchdringung und Erschließung der Grundvollzüge des Katholischen, auch die im Artikel angemahnte Auseinandersetzung mit der Liturgie. Und auch nicht, wie sehr katholische Akademien Orte sind, an denen man gerne katholisch ist und wo Gott immer wieder ins Wort gesetzt wird.
Entstanden aus der Erfahrung des Unrechtssystems der Nationalsozialisten
Es geht mir vielmehr darum, dass man im oben zitierten Wortsinne darüber streitet, wie wichtig besondere Orte sind und wie man sie immer wieder aufs Neue gestaltet.
Die katholischen Akademien in Deutschland sind entstanden aus der Erfahrung des Unrechtssystems der Nationalsozialisten und der Notwendigkeit, auch als Kirchen einen Beitrag zu (politischer) Bildung, Auseinandersetzung und Diskussion zu leisten. Eine zweite Gründungswelle wurde durch das Zweite Vatikanum initiiert, wodurch der begonnene Dialog zwischen Kirche und Welt im wahrsten Sinne des Wortes "verortet" werden sollte. Und eine dritte Gründungswelle folgte ab 1989 im Osten der Republik.
Seitdem ist viel geschehen, aber dieser Gründungsauftrag ist heute noch genauso aktuell wie damals. Zum einen, Menschen zu befähigen und politisch wie existenziell sprachfähig zu machen. Und dies immer auch im interreligiösen – und für die religiös Unmusikalischen auch interethischen – Dialog. Neben dieser gesellschaftspolitischen Aufgabe war es immer wichtig, im übertragenen Sinne "den Himmel offenzuhalten". Auch gerade das anzubieten, was dezidierte religiöse Bildung ausmacht. Übrigens: Als Wesensmerkmal des "Katholischen" sehe ich dabei, dass seit Meister Eckhart über die kirchlichen Reformbewegungen im 13. und 16. Jahrhundert bis hin zur christlich mitgeprägten Reformpädagogik Bildung stets ganzheitlich verstanden und religiöse Bildung immer in Bezug gesetzt wurde zur Grundbildung, kultureller und politischer, aber auch musischer und praktischer Bildungssegmente".
Zum anderen wurden die Akademien zunehmend auch Orte der religiös Unbehausten und konnten damit die nötigen Schnittstellen und Übergänge gestalten, die zwischen den früher klarer abzugrenzenden Bereichen wie Kirche und Welt, Gesellschaft und Politik, Religion und Wissenschaft liegen.
Die Katholischen Akademien als "dritten Orte"
Hier sehe ich die große Bedeutung von Akademien, als jene berühmten "dritten Orte" nach Ray Oldenburg, wo Menschen zusammen Gemeinschaft und Gesellschaft gestalten und der nach Max Weber wichtigen Funktion von Religionsgemeinschaften nachkommen, aus religiöser Überzeugung sinnstiftend und ordnungsstiftend zu wirken.
Wo wir diesen Grundbezügen des kirchlichen Auftrages am besten nachkommen, welche Rolle dabei – mit immer wieder neuen Formaten und aktuellen Themen im Angesicht der alten Fragen nach der Conditio humana und der imago dei – die katholischen Akademien spielen: Das ist es wert, darüber zu streiten. Wenn man es denn überhaupt will ...
Der Autor
Dr. Siegfried Grillmeyer (*1969) ist seit 2008 Direktor des Caritas-Pirckheimer-Hauses, der katholischen Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels und Mitbegründer des "Kompetenzzentrums für Demokratie und Menschenwürde" der katholischen Kirche in Bayern.