Die "Lehre" vom leeren Papststuhl: Die Welt des Sedisvakantismus
Glaubt man traditionalistischen Blogs, hat die Bewegung der Papst-Leugner vor nicht langer Zeit prominenten Zuwachs erhalten: Erzbischof Carlo Maria Viganò, früherer US-Nuntius und in den vergangenen Jahren einer der lautstärksten radikal-konservativen Kritikern von Papst Franziskus und dessen Amtsführung, soll sich den sogenannten Sedisvakantisten angeschlossen haben. Der aus der Piusbruderschaft ausgeschlossene Richard Williamson habe ihn "sub conditione", unter Bedingung, erneut zum Bischof geweiht. Wenn das stimmt, geht Viganò offenbar davon aus, dass seine von Papst Johannes Paul II. gespendete Bischofsweihe 1992 ungültig gewesen sein könnte. Warum ungültig? Einerseits, weil sie von einem Papst der "Konzilskirche" gespendet wurde, der gar kein richtiger Papst sei. Und andererseits, weil der Weiheritus seit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gar nicht gültig sei.
Diese zwei Argumentationslinien liefern die zentralen Thesen von ultratraditionalistischen Gruppierungen, die die Anschauung vertreten, der Stuhl (lat. sedes) Petri sei vakant – daher der Begriff "Sedisvakantismus". Eine Zeit der Sedisvakanz ist in der Kirche nichts Ungewöhnliches: Sie tritt ein nach dem Tod oder Rücktritt eines Papstes oder Bischofs. Im Falle des Papstes wählen die wahlberechtigten Kardinäle innerhalb einer bestimmten Frist einen neuen Pontifex. Wenn dieser die Wahl annimmt, ist die Zeit der Sedisvakanz vorbei. Sedisvakantismus meint hingegen, der Stuhl des Papstes sei leer, obwohl jemand darauf sitzt. Bei demjenigen auf dem Stuhl handele es sich nicht nur um einen nicht rechtmäßigen Papst, sondern einen "Scheinpapst".
Gegen Liturgiereform und Religionsfreiheit
Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Papstes gab es in der Kirchengeschichte immer wieder. Der Sedisvakantismus als Theorie oder Anschauung entwickelte sich aber erst im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils. Seine Vertreter arbeiten sich wie andere traditionalistische Gruppierungen an dessen Reformen ab: Liturgiereform und gesellschaftspolitische Neupositionierungen der katholischen Kirche wie die Akzeptanz der Menschenrechte, Versöhnung mit der Demokratie, Ökumene, interreligiöser Dialog und Religionsfreiheit.
Bei der reinen Kritik bleibt es aber nicht: In den Augen der Sedisvakantisten haben sich das Papsttum in Rom und seine Anhänger mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vom wahren katholischen Glauben entfernt. Die "Konzilskirche" oder gar "Novus-Ordo-Sekte" (nach dem lateinischen Namen der reformierten Messliturgie, Novus Ordo Missae) lehnen sie ab, da sie unvereinbar mit der Lehre der Päpste vor dem Konzil sei. Infolgedessen seien die Päpste, die die Lehren des Konzils verteidigen beziehungsweise nicht zurückweisen, Häretiker. Und ein häretischer Papst höre automatisch auf, Papst zu sein: Hierbei berufen sie sich auf die frühneuzeitliche Theorie des "papa haereticus" des Theologen und Kardinals Robert Bellarmin (1542-1621). Und da es keine gültigen Bischofsweihen mehr gebe, könnten auch keine Priester mehr gültig geweiht werden – und somit auch keine gültigen Sakramente mehr gespendet.
Bei den Vertretern des Sesidvakantismus von einer richtigen Bewegung zu sprechen, ist allerdings eine Übertreibung. Es handelt sich meist um kleineste Splittergruppen und Einzelpersonen. Auch von einer inhaltlich homogenen Gruppierung sind sie weit entfernt. Das fängt schon bei der Beurteilung an, wer denn der letzte legitime Papst gewesen sei. Für die meisten ist es Pius XII. (1958-1963): Mit seinem Tod habe die Sedisvakanz begonnen; sein Nachfolger, Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963), habe sein Papstamt verwirkt. Manche nennen das Jahr 1965 als Beginn der Sedisvakanz, da das Konzil damals die Erklärung "Dignitatis humanae" über die Religionsfreiheit verabschiedete. Die vermutlich bekannteste traditionalistische Vereinigung, die Piusbruderschaft, ist hingegen nicht sedisvakantistisch. Sie lehnt zwar zentrale Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils ab – für sie sind die Päpste seither allerdings rechtmäßige Päpste.
Wie mit dem angenommenen Zustand umgehen?
Uneinigkeit herrscht in dem Spektrum auch darüber, wie man mit dem Zustand der angenommenen Sedisvakanz umgehen muss. Während sich einige offenbar damit abfinden, haben manche einen Papst gewählt – sie sind sogenannte "Konklavisten". Die bekannteste Gruppierung ist die vor allem in Spanien bekannte palmarianisch-katholische Kirche, die auf angebliche Marienerscheinungen und Visionen des Spaniers Clemente Domínguez y Gómez zurückgeht, der sich nach dem Tod Papst Pauls VI. nach einer solchen Vision als "Gregor XVII." zum Papst krönen ließ. Anderer "Päpste" erklärten, von den Engeln gekrönt oder vom Himmel ernannt worden zu sein.
Eine andere Richtung der Sedisvakantisten vertritt hingegen einen sogenannten Sedisprivationismus, frei übersetzt "Stuhlberaubung". Das ist die Auffassung, der Heilige Stuhl sei lediglich formal besetzt, de facto aber unbesetzt. Die gültig gewählten Inhaber sind in dieser Denkweise so etwas wie "potenzielle" Päpste, die aufgrund ihrer Häresien das Amt formal verloren hätten und nicht ausüben könnten. Sobald sie aber wieder rechtgläubig würden, wären sie automatisch wieder "richtige" Päpste.
Mit eigenem Papst und Vatikan: Die palmarianisch-katholische Kirche
Im Süden Spaniens lebt eine kleine traditionalistische Splittergruppe, die einen eigenen Papst und Vatikan hat. An der palmarianisch-katholischen Kirche lassen sich einerseits bizarre Ausformungen des Traditionalismus ablesen – aber auch die großen Fragen der Kirche.
Sedisvakantisten beanspruchen zwar für sich, die wahren Katholiken zu sein, sind aus Sicht der Kirche jedoch im Schisma, da sie dem Papst den Gehorsam verweigern. Ihre theologische und kirchenrechtliche Argumentation wirft zudem eine ganze Reihe von Fragen auf. Zum Beispiel: Wie können die Päpste nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil häretisch geworden sein, obwohl sie kein kirchliches Dogma geleugnet haben und gar nicht den Anspruch hatten, etwas zum Dogma zu erheben? So skurril die Auffassungen und Gruppierungen auch erscheinen – manchmal scheinen sedisvakantistische Thesen selbst bei Gläubigen zu verfangen, die mit solchen Strömungen nichts zu tun haben wollen. So entwickelte sich um den Amtsverzicht von Benedikts XVI. im Jahr 2013 der Mythos, dieser habe das "munus", das petrinische Amt, behalten und nur das "ministerium", die aktive Ausübung des Pontifikats, aufgegeben. In der Logik dieser These wäre Papst Franziskus kein rechtmäßiger Papst. Somit hat sich gewissermaßen eine neue Spielart des Sedisvakantismus ausgebildet.
Manche Kritiker des Öffnungskurses von Franziskus spielen immer wieder auf dieses Narrativ an. Es gibt sogar Priester, die den amtierenden Pontifex als "antipäpstlichen Usurpator" bezeichneten, der das Amt Benedikts XVI. unrechtmäßig an sich gerissen habe, da dieser aus dem Amt gedrängt worden sei. Vatikan-Mediendirektor Andrea Tornielli kritisierte solche Theorien Anfang dieses Jahres scharf. Solche "abwegigen und lächerlichen Theorien über den Verzicht/Nichtverzicht" und ob Benedikt XVI. zum Amtsverzicht gezwungen worden sei, seien ein Angriff "auf die Person und die Intelligenz eines großen Theologen, Bischofs, Kardinals und Papstes wie Joseph Ratzinger". Ein Pontifikat sei nur "eine reine Jurisdiktion, in die man vom Konklave gewählt wird". Und weiter: "Wenn der Bischof von Rom zurücktritt, geht diese Jurisdiktion auf seinen Nachfolger über, der kanonisch mit mindestens zwei Dritteln der Stimmen der Kardinäle des Konklaves gewählt wird, und das ist seit März 2013 Franziskus."
Wie ernst muss man sedisvakantistische Strömungen nehmen? Auch wenn sie zahlenmäßig sehr klein und ihren Positionen bei vielen Katholiken höchstens ein müdes Lächeln hervorrufen, können ihre Thesen in Zeiten grassierender Verschwörungstheorien in der Gesellschaft zumindest bei manchen Gläubigen anschlussfähig sein – gerade auch in einer Phase, in der die Kirche heftig um ihren Kurs in die Zukunft ringt. Für Papst Franziskus jedenfalls sind Sedisvakantisten "Pilze" in der Kirche. Diese Gruppe und weitere Kritiker aus dem traditionalistischen Umfeld würden seine Äußerungen bewusst falsch interpretieren, sagte der Pontifex kürzlich im Gespräch mit spanischen Journalisten. "Sie tragen Traurigkeit im Herzen, ich habe Mitleid mit ihnen".