Wenn der Pfarrer sein Messgewand selbst schneidert
Otto Glökler ist in der Nähe von Blaubeuren, einer Kleinstadt bei Ulm, aufgewachsen. Schon als Kind prägt der Glaube sein Leben. Mit den Eltern und seinen zwei Geschwistern geht er regelmäßig in die Kirche, später ministriert Glökler bei den Gottesdiensten in der Gemeinde. Als der dortige Küster aus Altersgründen in Rente geht, bittet der Pfarrer ihn, den ehrenamtlichen Dienst zu übernehmen. Im Wechsel mit dem Enkel des früheren Küsters übte Otto Glökler dann den Küsterdienst aus. Mit gerade erst zwölf Jahre und viel Freude, erinnert sich der 69-Jährige. "Der Pfarrer hat es mir halt zugetraut", sagt Glökler und weiß noch, mit wie viel Liebe er Kelch, Wasser und Wein, die Messbücher und Messgewänder für die Gottesdienste vorbereitet hatte. "In der Kirche habe ich mich immer schon wohl gefühlt."
Weil sein Vater Schreinermeister ist, möchte Otto Glökler nach der Schule eine handwerkliche Ausbildung machen. Er beginnt eine Ausbildung als Herrenschneider in Ulm. Er legt dort zusätzlich die Prüfung zum Damenschneider ab. Darauf ist er ein wenig stolz. Nach der Bundeswehr studiert Glökler an der Technischen Akademie in Hohenstein Bekleidungstechnik. Später arbeitet er in einem größeren Textilbetrieb in Zell unter Aichelberg. Dort ist Glökler für die Aufsicht der Näherinnen im Nähsaal und die termingerechte Abwicklung der Produktionsaufträge zuständig. Die Arbeit macht ihm Freude, doch erfüllt hat sie ihn nicht, berichtet Glökler im Rückblick. Seine damaligen Mitarbeiterinnen, die Näherinnen, lobten ihn damals immer wieder wegen seiner seelsorglichen Kompetenzen. Sie meinten, dass "ich gut zuhören könne", weiß Glökler noch. Und dann habe sich das immer stärker herauskristallisiert mit der "Priesterberufung".
Otto Glökler ist 25 Jahre alt, als er sich entscheidet, Priester zu werden. Erst besucht er das Spätberufenenseminar St. Matthias in Waldram bei Wolfratshausen, danach folgt das Priesterseminar in Eichstätt, wo er an der Universität Katholische Theologie zu studieren beginnt. "Meine Mutter hat meine Entscheidung für den Priesterberuf nicht mehr miterlebt", blickt der 69-Jährige zurück. Sein Vater und seine zweite Frau sowie seine Geschwister waren allerdings bei seiner Priesterweihe 1990 in der Basilika Weingarten dabei.
Das Nähen und Schneidern hat Otto Glökler auf dem Weg zu seinem Priesterberuf nicht etwa aufgegeben. Schon als er ins Priesterseminar nach Rottenburg am Neckar zieht, um sich auf seinen kirchlichen Dienst vorzubereiten, beginnt er an seinem Primiz-Messgewand zu arbeiten. Er bestickt das Gewand und gestaltet dazu die passende Stola. Darauf ist ein Christusmonogramm mit Ähren und Trauben abgebildet, Symbole für die Eucharistie, und ein Symbol für die Heiligste Dreifaltigkeit. Seine Kurskollegen in Rottenburg waren begeistert, weiß Glökler noch. "Die haben mir gesagt, dass das Gewand etwas Besonderes ist." Das trägt er dann auch bei seiner ersten Messe als neu geweihter Priester in der Klosterkirche der ehemaligen Benediktinerabtei in Blaubeuren. Er ist stolz, dass er damals der erste Neupriester dort war, nach einer langen Zeit. Denn in der ehemaligen Benediktinerklosterkirche gab es seit der Reformation, also über 500 Jahre, keinen katholischen Neupriester mehr. Weil er in Blaubeuren geboren ist und dort im nahe gelegenen Schmiechen aufgewachsen ist, feierte er seine erste heilige Messe dort. Die Kirchengemeinde hat sich sehr darüber gefreut, weiß Glökler noch. Für seine Heimatprimiz in Schelklingen schneidert Glökler noch ein weiteres Messgewand. Dafür besorgt er roten Samtstoff und lässt es mit ausgesuchten Motiven in einer Paramentenwerkstatt besticken. Dazu fertigt er rot bestickte Samtstäbe an.
Bis heute zieht Otto Glökler diese beiden weißen Messgewänder gerne zu besonderen Anlässen an und erinnert sich so an seine beiden ersten Gottesdienste als Neupriester. Das würdige Feiern der Liturgie ist ihm bis heute ein Anliegen. Dazu trägt auch ein schönes Messgewand bei, meint der Seelsorger, weil es für ihn wie eine zweite Haut ist. Er lebe, was er verkünde, betont der Wallfahrtseelsorger aus Dächingen überzeugt. Daher ist es ihm ein Anliegen, als Priester ordentlich gekleidet zu sein. Ein paar Messgewänder hat er bereits für sich selbst angefertigt und auch bestickt. "Für den privaten Gebrauch", sagt Glökler, der auch von manchen aus der Gemeinde "der Schneiderpfarrer" genannt wird.
Für das Nähen nutzt Glökler eine schwarze Nähmaschine, die im Pfarrhaus in Dächingen steht. Es ist eine "echte Pfaff-Maschine von meiner Mutter", schwärmt der Pfarrer. Die sei zwar schon etwas älter, aber immer wieder in Betrieb. Etwa, wenn neue Gewänder für die Ministranten, also Röcke in liturgischen Farben oder weiße Chorhemden angefertigt werden sollen. Dann macht das Pfarrer Glökler eigenhändig. Er besorgt mit Zustimmung der Gemeinde entsprechende Stoffe, die er zurechtschneidert und zusammennäht. Die Ministrantinnen und Ministranten der Gemeinde seien stolz auf ihre maßgeschneiderten Gewänder, weiß Glökler. In den fünf Kirchengemeinden, die zur Seelsorgeeinheit gehören, komme da schon einiges für die Näharbeit zusammen, meint der Seesorger. Auch wenn die Zahl der Ministranten in den Gemeinden rückläufig sind, gebe es immer wieder Jugendliche, die den Dienst am Altar über einen längeren Zeitraum hin ausführen und neue sogenannte "mitwachsende Gewänder brauchen", erklärt der Pfarrer. Außerdem spare die Gemeinde so Kosten, wenn er das Nähen selbst übernehme, freut sich Glökler.
Und der Wallfahrtspfarrer plaudert noch ein wenig aus dem Nähkästchen. Schon einem früheren Studienkollegen hatte er für dessen Primiz ein eigenes weißes Messgewand mit Überstola angefertigt und geschenkt. Für seinen ehemaligen Heimatpfarrer, der ihn damals als 12-Jährigen zum Küster befördert hat und der ihm später zu einem wichtigen Wegbegleiter wurde, hat er auch ein Gewand genäht. Und Glökler erinnert sich noch an einen schon etwas länger zurückliegenden Besuch von zwei Bischöfen aus Argentinien. Diese kamen nach Dächingen, um dort eine große Wallfahrtsmesse zu feiern. Doch sie hatten keine Mitra dabei, wei Glökler noch. "Das ging gar nicht". Damals habe er den beiden dann kurzerhand zwei Mitren aus seinem Pfarrhausfundus ausgeliehen. Die Mitren habe er einmal anfertigen lassen, als er noch als Nikolausdarsteller unterwegs war, erklärt Glökler. Die beiden Mitren passten den Bischöfe aus Argentinien wie "angegossen". So konnte das Pontifikalamt "würdig gefeiert werden", erzählt der Wallfahrtsseelsorger.
In Ehingen-Dächingen, wo Glökler als Seelsorger tätig ist, ist die Verehrung der Schmerzhaften Muttergottes den Menschen besonders wichtig. Den sogenannten Festornat bestehend aus sechs Messgewändern für Priester hat er selbst angefertigt, erzählt der Schneiderpfarrer stolz. Sein Hobby, das Schneidern, sei keine Eitelkeit, sondern diene allein dem Feiern einer würdigen Liturgie, stellt er fest. Schließlich feiere ein Priester den Gottesdienst "in persona Christi", also in Vertretung Jesu Christi, daher "trage er solch besondere Gewänder", ist Glökler überzeugt. "Als Priester nehme er sich zurück, zugunsten dessen, der größer ist. Das ist Jesus Christus", erklärt der Geistliche. Ein Vorbild für seine Schneiderkunst habe er auch. Schon immer verehre er den Patron aller katholischer Pfarrer, den heiligen Pfarrer von Ars, Jean-Baptiste Marie Vianney. Dieser Pfarrer von Ars lebte im 19. Jahrhundert in Frankreich und war ein bescheidener Mensch, einfach und fromm, berichtet Glökler, der selbst Mitglied der Gebetsgemeinschaft Pfarrer von Ars ist. "Gleichzeitig war der Pfarrer von Ars ein großer Verehrer der Liturgie und ließ schöne Messgewänder für die Feier der Eucharistie anfertigen", weiß Glökler. In dem Wallfahrtsort Ars könne man noch heute diese prächtigen Messgewänder in Vitrinen bewundern. Er habe sie selbst schon mehrfach dort gesehen.
Zweifel an seiner priesterlichen Berufung hat der Wallfahrtseelsorger bis heute keine. "Wenn der Herr ruft, dann muss man sich damit auseinandersetzen", ist Glökler überzeugt. Die Sehnsucht Priester zu werden war bei ihm einfach größer als der Wunsch nach einer Karriere als Bekleidungstechniker. Heute kann er beides sein, Priester und Schneider.