Rabbiner teilen Kritik an Kardinal Parolin
Der Chefdiplomat des Papstes, Kardinal Pietro Parolin, äußert sich oft und meist medienwirksam am Rande von Veranstaltungen zu aktuellen Themen der internationalen Politik. Am Dienstagabend war es wieder so weit. Nach einem Treffen mit den Spitzen von Staat und Regierung in Rom befragten Journalisten den Kardinalstaatssekretär zum Gaza-Krieg. Das Recht Israels auf Selbstverteidigung müsse verhältnismäßig sein, forderte Parolin vor laufenden Kameras und sagte weiter: "Mit 30.000 Toten ist es das sicher nicht." Im selben Atemzug sprach er von einem "Blutbad".
Israels Reaktion folgte am nächsten Tag. Allein die radikalislamische Hamas sei für Tod und Zerstörung im Gazastreifen verantwortlich, so die Botschaft. Bei Israels Militäroperation würden im Vergleich zu anderen Kriegen der jüngsten Zeit – erinnert wurde etwa an die westlichen Bombardements in Afghanistan und im Irak – weniger Zivilisten getötet.
Seit dem 7. Oktober knirscht es im Verhältnis zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl. Die israelische Seite wünscht sich von Papst Franziskus und hochrangigen Vatikan-Vertretern wie Parolin, dass sie die Hamas als Aggressor klar benennen. Eine deutliche Verurteilung des Terrorangriffs sprach das Kirchenoberhaupt bislang aber nur selten aus. Meist beschränkt sich Franziskus auf eher nebulöse Formulierungen. Zum Beispiel verurteilt er allgemein Terrorismus, oder "das Geschehen am 7. Oktober", ohne dabei die Hamas zu benennen.
Kritik von Dialogpartnern
Möglicherweise will der Vatikan die kleine katholische Minderheit im Gazastreifen vor einer wütenden Reaktion der Hamas-Kämpfer bewahren. In der israelischen Politik verursacht die Kommunikationsstrategie des Papstes und seiner engen Mitarbeiter aber immer wieder Unmut. Und auch von Partnern des jüdisch-katholischen Dialogs gibt es Kritik. So wandten sich rund 400 Rabbiner und jüdische Akademiker im November per Brief an den Papst. Darin baten sie die katholische Kirche, das Massaker der Hamas unmissverständlich zu verurteilen und es von den zivilen Opfern der israelischen Militäroffensive zu unterscheiden – "so tragisch und herzzerreißend sie auch sind".
Die Antwort des Papstes folgte am 2. Februar. In einem öffentlichen Schreiben an "die jüdischen Brüder und Schwestern in Israel" drückte Franziskus seine Erschütterung aus über das, "was im Heiligen Land geschieht". Er verurteilte jede Form von Antijudaismus und Antisemitismus. Sein Herz sei dem Heiligen Land und all seinen Völkern nahe – Israelis und Palästinensern. Franziskus verschweige in dem Brief, wer Angreifer und wer Verteidiger sei, kritisierte daraufhin der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff. Dem Papst warf er mangelnde Solidarität mit Israel vor.
Weniger streng nahmen es offenbar die fünf Erstunterzeichner, die den ursprünglichen Brief an das Kirchenoberhaupt geschrieben hatten. In einem erneuten Schreiben an die Adresse des Papstes zeigten sie sich "bewegt" wegen der Nähe, die Franziskus gegenüber Jüdinnen und Juden zum Ausdruck bringe, und würdigten seine Verurteilung von Antisemitismus. Auszüge des Briefs veröffentlichte die Vatikan-Zeitung "L'Osservatore Romano" am Donnerstagabend unter der Überschrift "Rabbiner und Akademiker danken dem Papst". Nach dem Ärger rund um die Parolin-Äußerungen erweckte der Artikel den Eindruck, als sei zumindest auf der Ebene des interreligiösen Dialogs alles wieder im Lot.
Rabbiner wünschen klare Haltung aus Rom
Was der "Osservatore" allerdings nicht schreibt: Die Verfasser hatten ihren Brief bereits am 12. Februar fertig gestellt, also einen Tag vor den umstrittenen Parolin-Worten. Einer der Unterzeichner – Rabbiner Jehoschua Ahrens aus Bern – betonte gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass die Gruppe "voll und ganz" der Kritik der israelischen Botschaft am Vatikan-Chefdiplomaten zustimme.
"Grundsätzlich danken wir dem Papst für den Brief und auch für sein Solidaritätsbekenntnis", sagte Ahrens. Von dem Artikel des "Osservatore" zeigte er sich jedoch enttäuscht. Dieser erwecke den Eindruck, als gebe es zwei verschiedene jüdische Meinungen. "Die gibt es aber nicht." Die Rabbiner und Akademiker wünschten sich zudem eine klarere Haltung aus Rom: "Was ist jetzt eigentlich die Position des Vatikans?"
Über diese Frage spekulieren auch Vatikan-Beobachter. Von einem hochrangigen Prälaten des Heiligen Stuhls will die italienische Zeitung "La Stampa" erfahren haben, dass der Vatikan bewusst den Druck auf Israel erhöht habe. Parolins Äußerungen markierten einen "Schrittwechsel der Diplomatie" und stünden für die Entschlossenheit des Papstes, das "Massaker" im Gazastreifen zu stoppen. An ein diplomatisches Missgeschick am Rande einer politischen Veranstaltung glaubt die Zeitung nicht.