Transparenz und argumentative Klarheit in Debatten nötig
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Am 7. März begehen wir den 750. Todestag des Thomas von Aquin. Seine Summen sind Kathedralen des Denkens, seine Kommentare zu Aristoteles Meisterstücke begrifflicher Präzision, seine eucharistischen Hymnen – allen voran das Adoro te devote – von poetischem Glanz. In der Theologie der Gegenwart gibt es gleichwohl eine Tendenz, mit einem Quäntchen Geringschätzung auf vormoderne Traditionen zu schauen. Gewiss, das scholastische Denken lässt sich nicht eins zu eins in die Gegenwart übertragen, das wäre unhistorisch und steril. Aber die Art, wie Thomas von Aquin mit den Herausforderungen seiner Zeit gerungen hat, kann doch Modell sein, wie Theologie auf heutige Herausforderungen antworten könnte.
Werfen wir nur einen Blick auf die Transparenz des scholastischen Disputationsstils: Wenn Thomas ein Problem behandelt, listet er zunächst die ihm bekannten Einwände auf. Der Gegner wird also nicht ignoriert oder polemisch als nicht satisfaktionsfähig in die Ecke gestellt. Er wird ernst genommen. Erst vor dem Hintergrund der aufgelisteten Einwände setzt Thomas einen Kontrapunkt, indem er im "Sed contra" eine biblische Referenzstelle zitiert oder eine Autorität der Kirchenväter anführt, die den Einwänden entgegensteht. So entsteht die spannende Frage, wie das Problem denn jetzt gelöst werden kann. Erst jetzt macht Thomas als theologischer Magister von seiner Lehrkompetenz Gebrauch und spricht in der ersten Person Singular: "Respondeo – ich antworte." Die Antwort wägt meist unterschiedliche Möglichkeiten ab, führt Differenzierungen ein, mündet aber schließlich ein in eine klare Position. Um diese Position argumentativ zu bewähren, endet Thomas damit, die eingangs erwähnten Einwände im Lichte seiner Antwort zu entkräften.
Selbstverständlich hat das scholastische Disputationsverfahren auch Grenzen, da Aussagen aus dem Kontext gerissen und zur bloßen Illustration von Positionen angeführt werden. Aber das Bemühen um Transparenz und argumentative Klarheit ist für die heutige Debattenkultur ein Anstoß. Blasenbildungen engen die Reichweite der Vernunft ein, rein kirchenpolitische Positionsmarkierungen bleiben die argumentative Auseinandersetzung schuldig. Das nüchterne Abwägen von Problemen vor dem großen Traditionshintergrund mag trocken und aufwändig sein, aber es ist ein Heilmittel gegen affektiv aufgeladene Polarisierungen, von denen auch der binnenkirchliche Diskurs oft nicht frei ist. Punktsetzungen aber sind erwünscht – sie müssen nur durch die Rückfragen der anderen hindurchgegangen und argumentativ abgestützt sein.
Der Autor
Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.