Viel Kritik am Werben des Papstes für "Weiße Fahne" der Ukraine
Die jüngsten Äußerungen von Papst Franziskus zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine haben international viel Kritik und wenig Zustimmung ausgelöst. Vor allem in Osteuropa meldeten sich Regierungen zu Wort und wiesen die Worte des Papstes vehement zurück. Der Pontifex hatte in einem Interview der Ukraine den "Mut zur Weißen Fahne" und zu Verhandlungen unter internationaler Vermittlung nahegelegt.
Dazu schrieb der lettische Präsident Edgars Rinkevics auf der Online-Plattform X: "Man darf vor dem Bösen nicht kapitulieren, man muss es bekämpfen und besiegen, damit das Böse die weiße Fahne hisst und kapituliert." Auf derselben Plattform schlug der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski mit sarkastischem Unterton vor: "Wie wäre es, zum Ausgleich Putin zu ermutigen, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine zurückzuziehen? Dann wäre sofort Frieden, Verhandlungen bräuchte man nicht."
Außenminister: Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb ebenfalls am Sonntag auf X, der Stärkste sei derjenige, "der im Kampf zwischen Gut und Böse auf der Seite des Guten steht, anstatt zu versuchen, sie auf eine Stufe zu stellen und es 'Verhandlungen' zu nennen". Kuleba erinnerte summarisch an das Verhalten des Vatikans gegenüber dem Dritten Reich und schrieb: "Ich dränge darauf, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und die Ukraine und ihr Volk in ihrem gerechten Kampf um ihr Leben zu unterstützen."
Mit Blick auf die Zukunft schrieb Wolodymyr Selenskyjs Außenminister: "Wir hoffen weiterhin, dass der Papst nach zwei Jahren verheerenden Krieges im Herzen Europas die Gelegenheit finden wird, der Ukraine einen apostolischen Besuch abzustatten, um über eine Million Katholiken, über fünf Millionen griechisch-katholische Christen, alle Christen und alle Ukrainer zu unterstützen."
Ähnlich wie Kuleba hatte zuvor der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, mit einem historischen Vergleich argumentiert. Er fragte auf X, ob im Zweiten Weltkrieg jemand mit Hitler ernsthaft über Frieden gesprochen und die weiße Fahne geschwenkt habe, um ihn zu befrieden. Mit Blick auf Moskau und Putin fügte er hinzu, die Lektion aus der Geschichte sei: "Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten!"
In Rom distanzierte sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, klar vom Vorschlag des Papstes und twitterte: "Russland ist der Aggressor und bricht internationales Recht! Deshalb fordert Deutschland Moskau auf, den Krieg zu stoppen, und nicht Kyjiw (Kiew)!"
Lob aus Moskau
Aus New York, wo er dort lebende ukrainische Gemeinden besuchte, meldete sich Kiews griechisch-katholischer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk zu Wort. Er erklärte in einer Ansprache, die Ukraine sei verwundet, aber unbesiegt. Sie werde wieder aufstehen. Wenn Russland die Ukraine weiter erobere, vergrößere sich die Todeszone. Der Geistliche erinnerte an das Massaker an ukrainischen Zivilisten in Butscha bei Kiew 2022.
Einer der wenigen zustimmenden Kommentare kam aus Moskau. Dort erklärte die Sprecherin des Russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Franziskus habe eigentlich nicht Kiew, sondern dem Westen geraten, Verhandlungen zu beginnen. Leider habe der Westen das ukrainische Volk und den Weltfrieden geopfert, um seine Ziele zu erreichen. Nun bitte der Papst "den Westen, seine Ambitionen aufzugeben und einen Fehler zuzugeben", sagte Sacharowa laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass; sie fügte hinzu, Russland habe nie Verhandlungen blockiert.
In dem am Vortag in Auszügen bekannt gewordenen Interview des Papstes mit dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI hatte das Kirchenoberhaupt unter anderem gesagt: "Ich glaube, derjenige ist stärker, der die Lage erkennt, der ans Volk denkt und den Mut zur weißen Flagge hat, zum Verhandeln." Verhandlungen seien niemals eine Kapitulation. Die Regierung in Kiew forderte er auf, ihr "Land nicht in den Selbstmord zu führen". Vatikansprecher Matteo Bruni erklärte später, der Papst habe "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen. Das zum Heiligen Stuhl gehörende Online-Portal "Vatican News" verbreitete am Sonntag in mehreren Sprachen, darunter auch Ukrainisch, einen Bericht über eine entsprechende Erklärung Brunis. Die Deutsche Bischofskonferenz sagte dem "Tagesspiegel", der Erklärung Brunis sei "nichts hinzuzufügen". (mal/KNA)