Franziskus sollte den Ukraine-Krieg mit seiner Theologie verknüpfen
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Das Papst-Interview zum Ukraine-Krieg schlägt weiter Wellen. Nun wundert mich nicht, dass Franziskus auf Frieden drängt. Von einem Papst erwarte ich nichts anderes. Auch verstehe ich, dass er sich manchmal aus diplomatischen Gründen zurückhalten muss.
Mich wundert aber, dass er den Ukraine-Krieg nicht mit seiner Theologie verknüpft. Der Ukraine-Krieg ist der perfekte Beleg für eine Wirtschaftsweise, die tötet (QA 14). Die russische Elite finanziert ihre Villen und Jachten mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen, insbesondere von Erdöl und -gas. Die Rohstoffe werden vielfach in Gebieten abgebaut, in denen indigene Völker wohnen. Diese verlieren dabei ihre Lebensgrundlage.
Um von ihrem unrechtmäßigen Reichtum abzulenken, bricht die Elite einen Krieg vom Zaun, in dem die indigene Bevölkerung überproportional häufig ums Leben kommt. In Deutschland drängen Wirtschaftsführer erst auf die Nord-Stream-Pipelines, um billiges Gas zu erhalten und den Gewinn zu steigern, und waschen dann ihre Hände in Unschuld. Immer wieder decken Investigativrecherchen auf, dass trotz Sanktionen weiter wichtige Komponenten für die Aufrüstung nach Russland gelangen. Weil Umsätze wichtiger sind als Menschenleben. Dieselbe Haltung also, die Papst Franziskus in "Querida Amazonia" in Bezug auf Amazonien verurteilt (QA 9–14), ermöglicht auch Russlands Krieg gegen die Ukraine. Warum wird da Franziskus nicht zornig wie Mose, wie Jesus, wie Gott (QA 15)?
Zum anderen irritiert mich, dass Franziskus nicht einmal zwischen den Zeilen einen Unterschied macht zwischen einer Diktatur und einer Demokratie. Er, der die argentinische Militärdiktatur am eigenen Leib miterlebt hat, weiß doch, dass solche Systeme Krieg brauchen, um von den eigenen Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Er war dabei, als Menschen "verschwanden". Er kennt die Methode, Eltern zu töten und deren Kinder in systemtreue Familien zu geben, wo sie ihre Herkunft vergessen sollen. All die Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten der Ukraine und in Russland kennt Franziskus aus der argentinischen Geschichte! Er muss doch wissen, dass es deswegen nicht egal ist, wo die Grenze verläuft und wie der Krieg ausgeht. Warum erkenne ich diesen Unterschied dann nicht in seinen Worten?
Die Autorin
Dr. Juliane Eckstein ist Theologin und Alttestamentlerin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.