Stuttgarts Stadtdekan warnt vor "Aushöhlung" des Karfreitags
Der Karfreitag ist ein stiller Feiertag, an dem Christen in aller Welt der Kreuzigung Jesu gedenken. In Stuttgart sieht der katholische Stadtdekan Christian Hermes "den Versuch, diesen zentralen christlichen Feiertag systematisch auszuhöhlen". Im Interview begründet Hermes (53), der auch Dompfarrer ist, warum er gegen eine Lockerung des Tanzverbots am Karfreitag ist, die etwa die religionskritische Giordano Bruno Stiftung anstrebt.
Frage: Herr Stadtdekan, Sie setzen sich in Stuttgart vehement für die Beibehaltung des Tanzverbots am Karfreitag ein. Was veranlasst Sie dazu?
Hermes: Wir beobachten seit Jahren, dass die Giordano Bruno Stiftung versucht, diesen zentralen christlichen Feiertag systematisch auszuhöhlen. Hatte sie in den Vorjahren lediglich an einem Ort in Stuttgart eine Tanzveranstaltung angemeldet – eine "Heidenspaß-Party" im Club LKA Longhorn – war der Antrag der Stiftung auf eine Ausnahmegenehmigung durch die Stadt Stuttgart in diesem Jahr viel weitreichender formuliert. Es war der Versuch eine pauschale Ausnahmegenehmigung zu erwirken, um letztlich an beliebigen Orten in der Stadt tanzen zu können. Man wollte also eine allgemeine Befreiung vom Stilleschutz des Karfreitags erhalten.
Frage: Was hätte das bedeutet?
Hermes: Dass der Schutz des Feiertags die Ausnahme wird und das Feiern der Standard. Da haben wir als Kirche in der Anhörung bei der Stadt klar Gegenposition bezogen und gesagt: Das widerspricht dem Sinn und Buchstaben des Feiertagsgesetzes Baden-Württembergs und würde es ad absurdum führen.
Frage: Und dieses Gesetz bleibt offenbar unverändert – anders als zum Beispiel in Hamburg, wo nun es eine Lockerung gab. Das baden-württembergische Innenministerium hat am Dienstag in einer KNA-Umfrage unter den Bundesländern erklärt, das Feiertagsgesetz des Landes nicht ändern zu wollen, weil es nach wie vor zeitgemäß sei.
Hermes: Und die Stadt Stuttgart hat meines Wissens bisher nichts als diese eine Veranstaltung im Club LKA Longhorn genehmigt, weil nach dem Feiertagsgesetz des Landes eine pauschale Ausnahmeregelung für ein ganzes Stadtgebiet einfach ungesetzlich wäre – und auch von uns angefochten würde.
Frage: Insofern haben Sie sich durchgesetzt?
Hermes: Ich würde sagen: Das Gesetz hat sich durchgesetzt. Theoretisch könnten noch Anträge kommen, aber ich halte es eigentlich ab diesem Mittwoch nicht mehr für möglich, eine Anhörung der Kirchen durchzuführen, die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die Stadt eine Genehmigung erteilen würde. Es müsste für jede einzelne Veranstaltung eine Spezifikation der Örtlichkeit und des Programms geben. Die Behörden und wir Kirchen sind ja auch nicht doof. Wenn etwa eine Veranstaltung am Karfreitag darin bestünde, dass man jede Stunde mal eine religionskritische Powerpoint-Präsentation zeigt, während alle Tanzenden und Feiernden das als Toilettenpause nutzen, dann würde das natürlich nicht dadurch zu einer "weltanschaulichen" Veranstaltung.
Frage: Sie beziehen sich darauf, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2016 entschieden hatte, dass das Tanzverbot dann aufgehoben werden kann, wenn die Weltanschauungsfreiheit einer Veranstaltung durch das Verbot beeinträchtigt würde. Darauf beruft sich auch die Giordano Bruno Stiftung.
Hermes: Ich gestehe zwar zu, dass wir eine generelle Diskussion führen können über den Schutz der Feiertage, der grundgesetzlich garantiert ist über den Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung, der Bestandteil des Grundgesetzes ist. Aber natürlich gelten die Feiertagsgesetzes der Länder, und für eine parlamentarische Gesetzesänderung sehe ich in Baden-Württemberg überhaupt keine Mehrheit.
Frage: Der Hamburger Senat hatte in dieser Woche das Tanzverbot am Karfreitag gelockert. Die Zeit der Feiertagsruhe dauert demnach nur noch von 5 Uhr morgens bis 24 Uhr. In Berlin dauert die Karfreitagsruhe von 4 Uhr bis 21 Uhr. In Baden-Württemberg gilt das Tanzverbot hingegen von Gründonnerstag 18 Uhr bis Karsamstag 20 Uhr – ist also relativ weitreichend. Könnten Sie sich zeitliche Einschränkungen vorstellen?
Hermes: Ich kann mir Vieles vorstellen, sogar, in einem Land zu leben, wo es gar keinen geschützten Karfreitag gibt. Dann würden wir trotzdem Karfreitag feiern. Aber ich bin sehr dankbar, dass Baden-Württemberg verfassungsgeschichtlich anders geprägt ist als Berlin.
Frage: Die Hälfte der Menschen in Deutschland befürwortet offenbar eine Lockerung des Tanzverbots an Karfreitag. 23 Prozent sind "eher" dafür, 27 Prozent "voll und ganz". Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Ein Gegenargument?
Hermes: Nicht unbedingt, denn natürlich sind solche Feiertage auch vom traditionellen Herkommen geschützt. Selbst in laizistischen Ländern wie Frankreich ist beispielsweise der Ostermontag ein Feiertag. Und klar ist auch: wenn der Karfreitag als Feiertag abgeschafft würde, würden die Party-People an diesem Tag nicht Party machen, sondern einfach zur Arbeit gehen.
Frage: Hat der Karfreitag in der gegenwärtigen krisenhaften Weltlage eine besondere Bedeutung?
Hermes: Ja, wir sollten an diesen wenigen "stillen Tagen" Karfreitag und auch Totensonntag gerade in Zeiten, in denen die ganze Welt von Krieg und Terror erschüttert wird, Menschen würdigen, die gewaltsam sterben oder ein schweres Kreuz zu tragen haben. Auch Christus wurde gekreuzigt und gefoltert. Er steht stellvertretend für alle Opfer von Gewalt, Folter und Terror. Sagt uns der Karfreitag nicht selbst dann etwas, wenn wir ihn nicht im engeren Sinn als christlichen Feiertag begehen?