Reaktionen zu "Dignitas infinita" – auch kritische Töne

Bischof Bätzing: Vatikan-Erklärung ist Bestärkung für Menschenwürde

Veröffentlicht am 09.04.2024 um 12:09 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat viel Lob für die neue Vatikan-Erklärung "Dignitas infinita". Mit ihr könne an zahlreichen Themen weitergearbeitet werden. Von anderer Seite kommt jedoch auch Kritik.

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Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Limburger Bischof Georg Bätzing, hat die vatikanische Erklärung "Dignitas infinita" zur menschlichen Würde gewürdigt. Gerade in einer Welt "in der die Menschenwürde tagtäglich auf vielfache Weise missachtet, untergraben, ausgehöhlt und relativiert" werde, sei es begrüßenswert, dass der Vatikan "die unverzichtbare, unverletzliche und nicht zu reduzierende Würde des Menschen unterstreicht", so Bätzing in einer Erklärung am Montag. Das Papier sei eine Bestärkung für alle, "die sich für die Achtung der Menschenwürde und die sich daraus ergebenden fundamentalen Menschenrechte einsetzen".

Bätzing würdigt unter anderem, dass der Text auch die Philosophen René Descartes und Immanuel Kant positiv nennt. "Gerade im Hinblick auf die Menschenwürde wird hier eine Offenheit über den katholischen Binnenraum hinaus signalisiert, die im Dialog in einer postsäkularen Gesellschaft weiterhilft." Zudem sei der sehr konsequente Argumentationsstrang hervorzuheben, der sich auf das Grundkonzept der Menschenwürde statt wie in früheren Erklärungen "auf eine auch in ihren detaillierten Normierungen nicht zu hinterfragende natürliche Sittenordnung” beziehe. Das stärke die Anschluss- und Diskursfähigkeit der Argumente.

Bätzing geht zudem auf die "heterogene Themenliste" ein, die im Dokument besprochen werde und zu deren einzelnen Themen es "noch weitaus mehr und weiter Differenzierendes zu sagen" gebe. "Aber der Charakter der Erklärung als überblickartiger Hinweis auf den relevanten Argumentationsfaden lässt es angeraten sein, keine bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Einzelnormen aufzustellen." So könne an den einzelnen Themen weitergearbeitet werden. Bätzing nennt hier ausdrücklich die systemischen Faktoren für sexuellen Missbrauch in der Kirche als Beispiel. Diese Perspektive müsse "in der Kirche noch stärkere Berücksichtigung finden". Deshalb müsse der Einsatz für Menschenrechte in der Kirche auch mit Selbstkritik einhergehen. "Die Erkenntnis, dass die Kirche hinter dem Anspruch, Garantin der Menschenwürde zu sein, in der Vergangenheit immer wieder auch zurückgeblieben ist, kann heute zur besonderen Achtsamkeit in dieser Perspektive beitragen." Bätzing nennt die Erklärung "in mehrfacher Hinsicht verdienstvoll und zugleich perspektivreich" und wünscht ihr eine "lebhafte Aufnahme und Diskussion".

Goertz: Würdebegriff "unterkomplex"

Deutlich kritischere Töne findet der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz. "Von einer Autonomie-Würde im neuzeitlichen Sinne ist keine Rede", schreibt er in seiner Analyse für das Münsteraner Portal "kirche-und-leben.de" am Montag. "Dass die Natur des Menschen aber nicht ohne seine personale Freiheit gedacht werden kann, wird nicht eigens reflektiert." Deshalb sei der genutzte Würdebegriff bei aller guten Differenzierung "unterkomplex". Das Dokument lasse aus, dass die Würde kein genuin biblischer Begriff ist und die Kirche erst durch einen langen und anhaltenden Lernprozess an die Seite der Menschenwürde getreten ist. Dem katholischen Christentum stände deswegen "ein Mehr an Bescheidenheit und Selbstkritik gut an".

Die Aussagen zur "Gender-Theorie" bezeichnet er als "echtes Ärgernis". Der Vatikan scheine sich kulturkämpferisch entschieden zu haben: "Hinsichtlich der eigenen Geschlechtlichkeit haben sich die Menschen in das Korsett der sogenannten traditionellen Werte schnüren zu lassen, das heißt menschenrechtliche Ansprüche sexueller Minderheiten werden mit keiner Silbe der Würdigung für wert erachtet." Immerhin werde die Kriminalisierung und Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung angeprangert. Dagegen ignoriere der Abschnitt zu geschlechtsangleichenden Operationen "das Leiden und die berechtigten Interessen von Transmenschen". "Zu erklären ist diese Negierung menschlicher Erfahrungen nur durch das Beharren auf einer Anthropologie, die übersieht, dass der Mensch von Natur aus seine eigene Natur kulturell und sittlich zu gestalten hat." Zudem vermisst Goertz eine stärkere Würdigung demokratischer, rechtsstaatlicher politischer Ordnungen. "Oder gelingt dies nicht, weil man sich bewusst ist, dass gemessen an demokratischen Standards die eigene Kirchenstruktur unter erheblichen Rechtfertigungsdruck gerät?"

Bild: ©Sabrina Weniger, Montage: katholisch.de (Archivbild)

Der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz.

Ebenso kritisch blick die Bochumer Dogmatikerin Gunda Werner auf den Text. Das Dokument spreche zwar "wichtige und drängende Themen an", sagte sie im katholisch.de-Interview am Montag. "Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier eine Organisation auf die Menschenrechte beruft, die die Menschenrechte selbst bis heute nicht für sich ratifiziert hat. In vielen Punkten ist damit die Erklärung einfach nicht ehrlich." Sie hätte sich zudem "eine Selbstreflexion auf den eigenen Würdebegriff" der Kirche gewünscht, denn da gebe es eine "Schuldgeschichte". Dazu gehöre die fehlende Gleichheit von Frauen in der Kirche.

In Sachen Gender sieht sie zwar eine sprachliche Weiterentwicklung, in der Sache jedoch nicht, "man bezieht sich weiterhin auf die gleichen eigenen Aussagen aus der Vergangenheit". Zudem stünden dem Plädoyer gegen Gewalt gegen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung einschlägig negative Aussagen des Katechismus gegenüber. "Die Menschenrechte macht die Erklärung nicht wirklich stark, wenn sie sie nur nach außen einfordert, aber nicht nach innen."

"Lackmustest" für Menschenbild

Lob kommt dagegen von der Initiative "Neuer Anfang". Mit "großer Freude und Zustimmung" habe man die Erklärung aufgenommen, heißt es in einer Mitteilung am Dienstag. Sie sei "angesichts der Debatten in unseren Gesellschaften, nicht allein in den USA über Frankreich bis nach Deutschland, sondern weltweit von größter Bedeutung". Herausgehoben werden die Aussagen zur Würde des Menschen "vom Embryo bis zum Sterbenden", die Betonung der menschlichen Würde unabhängig von der Leistungsfähigkeit eines Menschen, die Ablehnung eines "Menschenrechts auf Abtreibung" sowie die Themenfülle. "Für die kirchliche Diskussion in Deutschland um den Synodalen Weg besonders wichtig ist dabei die sehr skeptische Sicht der Gendertheorie und ihres Umfelds." Die Erklärung sei deshalb ein "Lackmustest für das christliche Bild vom Menschen". "Wer hier ablehnend ist, hat die Anthropologie des historischen Christentums und damit die verbindliche christliche Tradition verlassen."

Ablehnung kommt dagegen von der Vereinigung "New Ways Ministry" aus den USA, die sich für LGBTQI+ in der Kirche einsetzt. Das Dokument "versagt auf erschreckende Weise", indem es Transgender und nichtbinären Menschen keine unendliche, sondern eine begrenzte Menschenwürde zuspreche, heißt es in einer Mitteilung am Montag. Bemängelt wird eine "überholte Theologie des Gender-Essenzialismus" und Ignoranz der Autoren anthropologischen Tatsachen gegenüber. Das Bündnis wirft dem Vatikan in dem Text eine "ideologische Geschlechtertheorie und Kolonialisierung" vor. Betont wird, dass es im Gegensatz zu der Erklärung unter Katholiken bereits Menschen gebe, die Menschen "mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten kennen, akzeptieren und lieben gelernt" hätten.

Der Vatikan veröffentlichte die Erklärung "Dignitas infinita" zur menschlichen Würde am Montag. Darin werden unter anderem Leihmutterschaft und geschlechtsangleichende Operationen, aber auch Schwangerschaftsabbrüche und Sterbehilfe abgelehnt. Es geht in dem Papier aber auch um Missstände wie Ausbeutung, Menschenhandel, sexuellen Missbrauch oder Gewalt gegen Frauen. (cph)