Transgender: Dignitas infinita stellt die Menschenwürde auf den Kopf
Transidentität ist mit dem katholischen Menschenbild unvereinbar. Dies bestätigt einmal mehr die kürzlich vom Dikasterium für die Glaubenslehre veröffentlichte Erklärung "Dignitas infinita" über die menschliche Würde. Der sogenannten "Geschlechtsumwandlung" erteilt das Papier eine klare Absage. Als Begründung wird angeführt, "dass jeder geschlechtsverändernde Eingriff in der Regel die Gefahr birgt, die einzigartige Würde zu bedrohen, die ein Mensch vom Moment der Empfängnis an besitzt" (60). Transidente Menschen, ihre Familien und Freunde, queere Initiativen und Verbände reagierten entsetzt, enttäuscht und verärgert.
Aus lehramtlicher Sicht ist klar: Wenn die menschliche Würde auf der Ebenbildlichkeit Gottes beruht und wenn diese Ebenbildlichkeit im Akt der Zeugung an das Kind weitergegeben wird – so wie es seinerzeit Papst Johannes Paul II. in seiner Evangelium vitae erklärt hat (43) – wenn also der Mensch seine Würde der natürlichen Zeugung durch einen Mann und eine Frau verdankt, dann ist konsequenterweise alles zu vermeiden und zu verhindern, was diesen Zeugungsakt be- oder verhindert. Die einzige Ausnahme von der Regel, die das Papier zulässt, bezieht sich auf intergeschlechtliche Menschen, aber gerade nicht auf transgeschlechtliche Personen.
Laut Vatikan selbst Körperhaarentfernung zu unterlassen
Konkret bedeutet das, Hormonbehandlungen und geschlechtsangleichende Operationen, aber auch Körperhaarentfernung und Logotherapie, selbst Beratungsleistungen und Psychotherapie: Sie alle sind zu unterlassen, denn sie greifen mehr oder weniger direkt in die biologische Geschlechtlichkeit ein. Sie wirken sich, insofern sie eine Transition vorbereiten oder begleiten, nachhaltig auf die männliche oder weibliche Fruchtbarkeit aus.
Die Positionierung ist nicht neu. Schon 2004 hat sich das Kompendium der Katholischen Soziallehre unter Berufung auf den Katechismus der Katholischen Kirche festgelegt: "Gegenüber denjenigen Theorien, die die Geschlechteridentität lediglich als ein kulturelles und soziales Produkt der Interaktion zwischen Gemeinschaft und Individuum betrachten, ohne die personale sexuelle Identität zu berücksichtigen oder die wahre Bedeutung der Sexualität in irgendeiner Weise in Betracht zu ziehen, wird die Kirche es nicht müde, ihre eigene Lehre immer wieder deutlich zu formulieren: 'Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen. Die leibliche, moralische und geistige Verschiedenheit und gegenseitige Ergänzung sind auf die Güter der Ehe und auf die Entfaltung des Familienlebens hingeordnet. Die Harmonie des Paares und der Gesellschaft hängt zum Teil davon ab, wie Gegenseitigkeit, Bedürftigkeit und wechselseitige Hilfe von Mann und Frau gelebt werden.' [KKK 2333] Aus dieser Sichtweise ergibt sich die Verpflichtung, das positive Recht dem Naturgesetz anzugleichen, dem zufolge die sexuelle Identität als objektive Voraussetzung dafür, in der Ehe ein Paar zu bilden, nicht beliebig ist (224)."
Die Erklärung "Dignitas infinita" lehnt sich nicht nur in ihrem Titel an Papst Johannes Paul II. an, sie entspricht an dieser Stelle auch in ihrem inhaltlichen Duktus seiner "Theologie des Leibes" mit ihrer spirituellen Überhöhung der menschlichen Sexualität und Fertilität, die nur eine strikte Trennung von Mann und Frau kennt und der sich die Frage nach geschlechtlicher Identität erst gar nicht stellt.
Was aus katholischer Sicht streng logisch und konsequent erscheint, ist von außen gesehen keineswegs zwingend. Der Begriff von Menschenwürde, den "Dignitas infinita" entfaltet, ist kein universaler, sondern ein ganz spezifisch katholischer. Mit dem Schutz der Menschenwürde von queeren Menschen, der seit den neunziger Jahren von der UNO verfolgt wird und der in ihrer SOGIESC-Strategie[1] explizit zum Ausdruck kommt, identifiziert sich die Kirche definitiv nicht, im Gegenteil. Es ist schon bemerkenswert, wie die katholische Kirche mit ihrer aktuellen Erklärung einerseits das 75-jährige Bestehen der UN-Menschenrechts-Charta von 1948 würdigt und andererseits in die offene Konfrontation mit der UNO und ihrer Haltung zu sexueller Selbstbestimmung geht. Aus menschenrechtlicher Sicht stellt sich die Frage nach der Menschenwürde von trans Menschen nämlich ganz anders, geradezu konträr dar.
Nicht geschlechtsangleichende Maßnahmen widersprechen der Menschenwürde, sondern der Zwang, in einem Körper zu leben, in dem ein Mensch nun einmal nicht leben kann. Anders gesagt, es widerspricht der Menschenwürde, einem Menschen das Recht vorzuenthalten, sich zu seinem biologischen Geschlecht zu verhalten, ganz gleich ob zustimmend oder ablehnend. Die Menschenwürde ist in Gefahr, wenn man Menschen verweigert, über ihre geschlechtliche Identität selbst zu entscheiden. Dieser Akt der Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, über das sich die katholische Kirche einmal mehr hinwegsetzt. In diesem Sinne stellt "Dignitas infinita" die Menschenwürde auf den Kopf.
„Was ist in ihm vorgegangen, als er die Ziffer 60 in "Dignitas infinita" freigab? War ihm nicht klar, dass trans Menschen eine gesellschaftliche Gruppe bilden, die am meisten von Ausgrenzung und Diskriminierung, von Hass und Gewalt betroffen ist?“
Einzuräumen ist, dass es durchaus Behandlungsmethoden gibt, die ethisch gesehen als sehr problematisch zu bewerten sind, beispielsweise pubertätsblockierende Medikamente für Kinder und Jugendliche. Diese aber erfordern eine fachlich differenzierte und vor allem individuelle Betrachtung und lassen sich nicht mit dem pauschalen Hinweis auf eine Bedrohung der Menschenwürde abhandeln. Wer so mit der Menschenwürde argumentiert, kann letztlich jedes x-beliebige Verhalten bestätigen oder verwerfen. Auf diese Weise wird die Menschenwürde selbst letztlich entwertet. Als konsensstiftender Kompass taugt sie dann nicht mehr.
Dabei sah es zwischenzeitlich so aus, als würde sich Papst Franziskus insbesondere transgeschlechtlicher Menschen in besonderer Weise annehmen. Im letzten Jahr hat der Vatikan beispielsweise offiziell mitgeteilt, dass sie selbstverständlich eine Taufpatenschaft übernehmen können. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ist der Papst zudem auf die Not speziell von trans Menschen aufmerksam geworden. Seit dieser Zeit hat er mehrfach einzelne von ihnen zusammen mit ihren Angehörigen und Freunden in Audienzen empfangen. Vatikan News hat darüber regelmäßig berichtet. Er selbst sprach darüber bei seinen Pressekonferenzen.
Was hat der Papst sich dabei gedacht?
Heute muss man sich fragen, was er aus diesen Begegnungen wirklich mitgenommen hat. Was ist in ihm vorgegangen, als er die Ziffer 60 in "Dignitas infinita" freigab? War ihm nicht klar, dass trans Menschen eine gesellschaftliche Gruppe bilden, die am meisten von Ausgrenzung und Diskriminierung, von Hass und Gewalt betroffen ist? Dass sie häufig von ihren Familien und Freunden verstoßen werden, überproportional unter Depressionen leiden und mehr als andere suizidgefährdet sind? Und dass eine Transition für viele von ihnen die einzige Überlebensstrategie ist? Ist es vor diesem Hintergrund moralisch zu verantworten, ihnen die notwendigen Behandlungsmethoden vorzuenthalten?
Offenbar ist man sich im zuständigen Dikasterium der eigenen Argumentation selbst nicht ganz sicher. Warum sonst hat der leitende Präfekt für die Glaubenslehre, Kardinal Víctor Manuel Fernandez, bei der Präsentation der Erklärung gegenüber Presse betont, dass trans Menschen in der Kirche willkommen seien? Im Text der Erklärung selbst sucht man diese Aussage vergeblich. Wie aber sollen sich trans Menschen in der katholischen Kirche akzeptiert fühlen, wenn diese dringend notwendige Behandlungsmethoden als Verstoß gegen die Menschenwürde brandmarkt?
Aber nicht nur die trans Menschen allein, sondern alle, die sich künftig in der katholischen Kirche für trans Menschen einsetzen, kommen ebenfalls unter Druck. Sie setzen sich dem Vorwurf aus, mit ihrem Handeln die Menschenwürde in Gefahr zu bringen und damit gegen das eigene berufliche und christliche Ethos zu verstoßen. Wer kann sich unter diesem Vorzeichen in kirchlichen Krankenhäusern, Beratungsstellen, Kitas, Schulen und in der Pastoral noch engagieren? Werden katholische Ärzte künftig noch Hormonbehandlungen durchführen? Werden katholische Krankenhäuser geschlechtsangleichende Operationen vornehmen? Wird es parallel dazu Krankenhausseelsorge für trans Menschen geben? Wird es in katholischen Kitas trans Kinder geben? Wird man sie in den Jugendhilfe-Einrichtungen der Caritas antreffen? In Berufsbildungswerken? In Jugendverbänden? Werden Familien Beratungsangebote der Caritas vorfinden? Werden Beraterinnen und Berater weiterhin ergebnisoffen beraten? Werden Seelsorgerinnen und Seelsorger in ihrer Begleitung eine uneingeschränkte Akzeptanz aufbringen, auch wenn der Katechismus etwas anderes verlangt? Sind trans Menschen im kirchlichen Dienst denkbar? Als Religionslehrerinnen und –lehrer? Oder wird man – wie heute schon in den USA – irgendwann überall den kirchlichen Einrichtungen die medizinische Behandlung von trans Menschen verbieten? Kirchliche Beratungsstellen schließen? Trans Kinder von der katholischen Schule verweisen?
Festzuhalten bleibt, nach "Dignitas infinita" haben auch trans Menschen eine transzendente, unveräußerliche Menschenwürde, diese aber selbstbestimmt, in Freiheit und Verantwortung vor Gott und den Menschen zu leben, ist für sie nicht möglich. Mit ihrem Anspruch, die Menschenwürde zu schützen, entzieht das Lehramt trans Menschen gerade die medizinische, soziale und pastorale Infrastruktur, die sie zum Leben und Überleben brauchen.
Die Diskussion der Themen, die in "Dignitas infinita" angesprochen werden, ist nach Aussage von Kardinal Fernandez nicht abgeschlossen. Das Papier soll Denkanstöße bieten, die weiterverfolgt werden müssen. Im Hinblick auf das Thema Transidentität ist dieses Weiterdenken in der Zentrale der römisch-katholischen Kirche dringend notwendig. Man kann nur hoffen, dass das Dikasterium seine Haltung zu trans Menschen in absehbarer Zukunft revidieren wird.
[1] Sexual Orientation, Gender Identity and Expression, and Sex Characteristics (SOGIESC)
Zur Person
Ursula Wollasch ist katholische Theologin und promovierte Sozialethikerin. Sie war mehr als zwanzig Jahre auf verschiedenen sozialen Feldern der verbandlichen Caritas tätig und arbeitet seit 2020 als freiberufliche Autorin und Publizistin. Von 12/2022 bis 11/2023 war sie "Unabhängige Ansprechpartnerin" für transgeschlechtliche Menschen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. In dieser Zeit ist ein Buch entstanden, das im Februar dieses Jahres erschienen ist.
Buchtipp: Ursula Wollasch, trans und katholisch. Für eine Kirche in der trans Menschen dazugehören, Patmos Verlag, Ostfildern 2024.