"Viele reaktionäre Christen pflegen ähnliche Feindbilder wie die AfD"
Seit der vor allem als Distanzierung gegenüber der AfD verstandenden Erklärung "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) wird in der katholischen Kirche neu über den richtigen Umgang mit der Partei und mit rechtspopulistischen Strömungen in den eigenen Reihen diskutiert. Im Interview mit katholisch.de äußert sich Katja Voges, Leiterin des Teams Menschenrechte und Religionsfreiheit beim katholischen Hilfswerk missio Aachen, zur Relevanz der DBK-Erklärung und zur Frage, was nun konkret darauf folgen muss. Außerdem erklärt sie, warum Rechtspopulisten in den vergangenen Jahren verstärkt Bezug auf das Christentum genommen haben und was Christen und Kirchen dagegen tun können.
Frage: Frau Voges, die deutschen Bischöfe haben bei ihrer Vollversammlung in Augsburg in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung konstatiert, dass völkischer Nationalismus mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar ist. Wie bewerten Sie diese Erklärung?
Voges: Als ein total wichtiges Signal. Die Bischöfe haben sich damit in einer zentralen gesellschaftlichen und politischen Frage klar positioniert. Das ist sehr viel wert und stärkt all jenen den Rücken, die sich vor Ort – etwa in ihren Gemeinden – gegen extremistische Umtriebe engagieren. Hinzu kommt, dass die Erklärung wirklich gut formuliert ist. Sie benennt sehr deutlich die Gefahren, die aus völkischem Nationalismus und Rechtsextremismus erwachsen – macht zugleich aber auch ein Gesprächsangebot an jene Menschen, die für diese Ideologien empfänglich, aber dennoch gesprächswillig sind.
Frage: Die Erklärung wurde medial vor allem als Distanzierung der Bischöfe von der AfD gewertet, dabei wird die Partei nur in zwei Sätzen direkt erwähnt. Ist die Berichterstattung in den Medien dem Inhalt der Erklärung gerecht geworden oder hätten Sie sich eine breitere inhaltliche Rezeption gewünscht?
Voges: Dass die Erklärung öffentlich so stark als Positionierung gegen die AfD gewertet wurde, liegt natürlich daran, dass die Partei in vielen Umfragen und auch bei einigen Wahlen zuletzt hohe Zustimmungswerte erreicht hat. Zudem stehen wir in diesem Jahr vor drei wichtigen Landtagswahlen, bei denen die reale Gefahr besteht, dass die AfD jeweils stärkste Kraft wird. Außerdem sind bereits drei Landesverbände als "gesichert rechtsextrem" eingestuft worden. Insofern kann ich die öffentliche Fokussierung auf die Aussagen der Bischöfe über die Partei nachvollziehen. Dennoch denke ich in der Tat, dass eine breitere Rezeption der Erklärung wichtig wäre. Denn völkischen Nationalismus gibt es ja nicht nur in der AfD, sondern auch jenseits der Partei – etwa auch unter reaktionären Christen. Auch darüber muss man reden.
Frage: Die Bischofskonferenz veröffentlicht immer wieder Erklärungen, die von Fachleuten zwar oft gelobt werden, öffentlich und auch innerkirchlich aber kaum Beachtung finden. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit das mit der Erklärung "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" nicht passiert, sondern sie konkrete Wirkung entfaltet?
Voges: Ich denke, dass jetzt vor allem zwei Dinge passieren müssen. Zum einen braucht es bald konkrete Vorgaben, wie mit der Erklärung in der Praxis umzugehen ist. Schließlich ist das Papier bislang strenggenommen ja nicht mehr als eine politisches Erklärung. Das ist – wie gesagt – viel wert, dabei darf es aber nicht bleiben. Damit die Kirche gegen nationalistische und extremistische Umtriebe auch in den eigenen Reihen vorgehen kann, braucht es klare rechtliche Regelungen, um etwa haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter, die entsprechend auffällig werden, sanktionieren zu können. Der Trierer Generalvikar hat gerade gezeigt, dass es – nach intensiven Beratungen – möglich ist, AfD-Abgeordnete von der kirchlichen Gremienarbeit auszuschließen. Zum anderen sind auch alle Katholiken vor Ort gefragt. Sie sind gefordert, sich Nationalismus und Extremismus in den eigenen Reihen – in der Pfarrgemeinde, im kirchlichen Verband, in der Schule – laut und kraftvoll entgegenzustellen und dagegen vorzugehen.
„Religion – und seien die Bezüge noch so diffus – dient Rechtspopulisten als abgrenzender Identitätsmarker gegen alles Fremde, als zentrales Element im Kampf 'Wir gegen die anderen'.“
Frage: Was ist Ihnen persönlich mit Blick auf den Inhalt der Erklärung besonders wichtig? Was würden Sie öffentlich gerne noch stärker akzentuieren?
Voges: Ich würde gerne noch konkreter darüber sprechen, welche Ansichten und Positionen mit dem christlichen Menschenbild und christlichen Werten vereinbar sind und welche nicht. Wir erleben gerade im politischen Raum viele Akteure, die sich auf christliche Werte berufen – wir hinterfragen aber noch zu wenig, wie und warum die das tun. Dieses Hinterfragen ist aber wichtig, um den Missbrauch christlicher Werte in der Politik entlarven und die entsprechenden Akteure stellen zu können. Die AfD etwa reklamiert zwar gerne für sich, christliche Werte zu vertreten. So wie sie diese Werte für ihre politischen Zwecke umdeutet – und zwar menschenfeindlich –, hat das aber nichts mehr mit deren wahrer Bedeutung zu tun.
Frage: Sie deuten es an: In den vergangenen Jahren haben rechtspopulistische Parteien und Politiker nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Ländern verstärkt öffentlich Bezug auf das Christentum genommen und etwa proklamiert, das christliche Abendland retten zu wollen. Können Sie erklären, was die Strategie dahinter ist?
Voges: In der Tat findet man solche Bezüge auf das Christentum bei Rechtspopulisten in vielen Ländern. Ein besonders krasses Beispiel ist sicher Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Grundsätzlich kann man sagen, dass Rechtspopulisten, wenn sie vom christlichen Abendland oder christlichen Werten sprechen, versuchen, mit Hilfe der Religion eine exklusive nationale Identität zu definieren, die im Umkehrschluss ganze Bevölkerungsgruppen wie Migranten, Muslime oder auch Juden ausschließt, weil sie eben keine Christen sind. Religion – und seien die Bezüge noch so diffus – dient Rechtspopulisten als abgrenzender Identitätsmarker gegen alles Fremde, als zentrales Element im Kampf "Wir gegen die anderen".
Frage: Weil das Abendland nach dieser Erzählung immer schon christlich war und historisch, kulturell und politisch durch das Christentum geprägt wurde, gehören andere Religionen und Traditionen nach Auffassung von Rechtspopulisten hier also nicht her?
Voges: Genau. Sehr offensiv wird diese These zum Beispiel von der rechtsextremen Identitären Bewegung vertreten. Sie geht davon aus, dass Europa von einer geschlossenen, ethnisch homogenen – christlichen – Kultur geprägt worden sei, deren Identität heute von feindlichen äußeren Einflüssen – vor allem von einer angeblichen Islamisierung – bedroht ist. Das Christentum wird hier missbraucht, um eine Begründung für die Ablehnung ganzer Bevölkerungsgruppen zu haben. Das ist brandgefährlich, weil es den Werten des Christentums natürlich diametral widerspricht.
Frage: Das Schlagwort von der "Rettung des christlichen Abendlandes" und die damit einhergehende Abgrenzung vom Feindbild Islam ist ein bekanntes Motiv rechtspopulistischer Parteien und Politiker. Welche weiteren Schlagworte mit christlichem Bezug machen sich Rechtspopulisten zunutze?
Voges: Häufig von diesem Milieu behauptet wird etwa eine angebliche Bedrohung der traditionellen christlichen Ehe und Familie – Stichwort Regenbogen- oder Gender-Ideologie. Rechtspopulisten instrumentalisieren diesen christlichen Wert und legen ihn menschenfeindlich aus. Sie lehnen geschlechtliche Vielfalt strikt ab und fordern innerhalb der Gesamtgesellschaft diskriminierende Maßnahmen – und berufen sich dabei eben immer wieder auch auf das von der Kirche favorisierte Ideal einer traditionellen Familie aus Vater, Mutter und Kindern. Und auch die Religionsfreiheit wird gerne von Rechten für ihre Zwecke missbraucht.
Frage: Inwieweit?
Voges: Indem sie dieses Menschenrecht rein klientelistisch auslegen und zu einem Recht machen, das vor allem für Christen gelten soll. Wenn man genau hinhört, merkt man schnell, dass es rechten politischen Kräften, die von Religionsfreiheit sprechen, eben nicht um ein universelles Menschenrecht geht, sondern darum, sich als einzig aufrechte Verteidiger der Christenheit und vermeintlich christlicher Werte zu inszenieren. Im Subtext geht es dabei auch wieder darum, Ängste vor dem Islam und einer angeblichen Islamisierung zu schüren. Das ist auch insofern ein Problem, als diese Umdeutung der Religionsfreiheit den Einsatz für dieses Menschenrecht generell in Misskredit zu ziehen droht – mit der Folge, dass sich Akteure der demokratischen Mite aus diesem Themenfeld zurückziehen könnten, weil sie nicht in Verdacht geraten wollen, gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten zu machen.
Frage: Was kann man dagegen tun?
Voges: Man muss immer wieder klar widersprechen, wenn das Menschenrecht der Religionsfreiheit in der beschriebenen Weise verengt und mit menschenfeindlichen Ideologien vermengt wird. Wir brauchen insgesamt breite politische und zivilgesellschaftliche Bündnisse, um die Religionsfreiheit zu stärken und ihrer Vereinnahmung entgegenzuwirken. Bei einigen politischen Akteuren ist die Sensibilität dafür – Gott sei Dank – in den vergangenen Jahren gewachsen; der Religionsfreiheitsbeauftragte der Bundesregierung zum Beispiel äußert sich diesbezüglich immer wieder sehr klar.
„Entscheidend ist, klar und deutlich Position gegen rechtspopulistische und extremistische Aussagen und Haltungen zu beziehen. Das braucht sicher Mut – den kann man sich aber durchaus antrainieren.“
Frage: Sie haben es schon angedeutet: Völkischer Nationalismus und der Missbrauch christlicher Werte für diese Ideologie kommen nicht nur in der Politik vor, sondern auch unter reaktionären Christen. Was für Menschen oder Gruppierungen haben Sie da im Blick? Und wie groß sind hier die Verbindungen zu rechtspopulistischen Parteien?
Voges: Wenn ich reaktionäre Christen sage, dann muss ich zunächst klarstellen, dass konservatives Gedankengut nicht per se als rechtspopulistisch oder -extremistisch zu bezeichnen ist. Viele reaktionäre Christen pflegen allerdings ähnliche Feindbilder wie die AfD. Es sind Menschen, die insbesondere Homosexualität, einen vermeintlichen Genderwahn und den Islam ablehnen. Entsprechende politische Positionen machen die AfD für diese Christen attraktiv. Und die AfD selbst trägt ihre diskriminierenden Positionen bewusst ins christliche Milieu. Selbst wenn Experten sagen, dass diese rechtspopulistisch und -extremistisch orientierten Christen vor allem aus dem evangelikalen Milieu kommen, müssen wir sehen, dass es diese Tendenzen und Haltungen auch in der katholischen Kirche gibt.
Frage: Wenn man sich mit dem Themenkomplex Christentum und Rechtspopulismus beschäftigt, begegnet einem gleichwohl immer wieder das Bild vom sogenannten "religiösen Impfeffekt". Demnach sollen Christen aufgrund ihrer Wertvorstellungen mehrheitlich gegen rechtspopulistische Ansichten und Positionen immun sein. Was halten Sie von dieser These?
Voges: Ich denke schon, dass an dieser These etwas dran ist. Den Effekt scheint es jedenfalls tatsächlich zu geben, wenn man sich etwa die eher unterdurchschnittlichen Wahlergebnisse der AfD in einigen noch stärker katholisch geprägten Regionen anschaut. Das dürfte vor allem daran liegen, dass für Menschen, die wirklich im Christentum verwurzelt sind, extreme politische Positionen unvereinbar mit ihren Wertüberzeugungen sind. Dennoch darf man sich natürlich nicht in absoluter Sicherheit wiegen, denn klar ist: Auch unter Christen gibt es eine relevante Zahl an Menschen, die rechtspopulistischen Vorstellungen positiv gegenüberstehen.
Frage: Was können einzelne Christen oder auch ganze Pfarrgemeinden vor Ort tun, wenn sie mit rechtspopulistischen Ansichten in den eigenen Reihen – etwa bei einem Gemeindemitglied oder einem kirchlichen Mitarbeiter – konfrontiert werden?
Voges: Entscheidend ist, klar und deutlich Position gegen rechtspopulistische und extremistische Aussagen und Haltungen zu beziehen. Das braucht sicher Mut – den kann man sich aber durchaus antrainieren. Es gibt inzwischen viele Einrichtungen, die Trainings anbieten, bei denen man Strategien lernen kann, wie man gut und souverän auf rechte Parolen reagieren kann. Voraussetzung dafür ist aber natürlich, überhaupt erstmal zu erkennen, dass man etwa in der Gemeinde oder im Verband diesbezüglich ein Problem hat. Da würde ich mir vielerorts noch mehr Sensibilität wünschen.