Die Aufbahrung der Päpste: Franziskus bricht mit der Tradition
"Mit Würde, wie jeder Christ, aber nicht auf Kissen" – so möchte Papst Franziskus bestattet werden. Der Pontifex ist deshalb dabei, das päpstliche Begräbnisritual zu ändern. Das erklärte Franziskus im Anfang des Monats erschienenen Interviewbuch "El sucesor" ("Der Nachfolger"), in dem er mit dem spanischen Journalisten Javier Martínez-Brocal vor allem über seinen Vorgänger Benedikt XVI. spricht. Mit Blick auf die Beerdigung des an Silvester 2022 verstorbenen Papa emeritus sagt der amtierende Papst in dem Buch: "Es war die letzte Totenwache, bei der der Leichnam des Papstes außerhalb des Sargs auf einem Katafalk aufgebahrt wurde." Die Päpste würden künftig "wie jedes Kind der Kirche" bestattet werden. Die Aufbahrung der Päpste – die bislang fest zu den Begräbnisriten des Kirchenoberhaupts gehörte – ist damit Geschichte.
Im Lauf der jüngeren Historie wurden die überlieferten Rituale nach dem Tod eines Pontifex und für seine Beisetzung immer wieder geändert. "Papst Paul VI. reformierte die päpstlichen Begräbnisrituale im Sinne einer evangeliumsgemäßen Schlichtheit", sagt Ulrich Nersinger über die größten Neuerungen in den vergangenen Jahrzehnten bei den Bestattungszeremonien der Päpste. Der Theologe und Vatikan-Experte verweist auf den eindrücklichen Unterschied zwischen der Beisetzung von Johannes XXIII. im Jahr 1963, der als letzter Papst "cum maxima pompa", also unter voller Prachtentfaltung, aufgebahrt bestattet wurde, und dem im Vergleich damit einfachen Begräbnis seines Nachfolgers Pauls VI. 1978. Die Aufbahrung des Montini-Papstes sei jedoch auch in der schlichteren Form sehr würdig gewesen, so Nersinger.
Nach Ansicht des Augsburger Kirchenhistorikers Jörg Ernesti steht die Abschaffung der Aufbahrung toter Päpste durch Franziskus eindeutig in der Tradition der Reformen Pauls VI. "Bereits 1978 hätte man die öffentliche Darstellung des Leichnams auf einem Katafalk abschaffen können", meint der Theologieprofessor. "Sie ist ein letztes Relikt aus der Zeit der überladenen Papstbegräbnisse." Dass Schlichtheit und Würde zusammengehen können, habe etwa die Beerdigung Pauls VI. in einem einfachen Zypressenholzsarg gezeigt. "Das beeindruckende Bild des Sargs mit dem aufgeschlagenen Evangelienbuch, dessen Blätter sich im Wind bewegten, ist auch für die nachfolgenden Papstbegräbnisse zum Vorbild geworden", so Ernesti.
Zuvor habe es zudem viele Riten nach dem Ableben eines Papstes gegeben: "Um den Tod des Pontifex festzustellen, wurde mit einem Hämmerchen auf dessen Stirn gehauen, er wurde mehrmals bei seinem Taufnamen gerufen und es wurde eine Feder über sein Gesicht gehalten, um zu prüfen, ob er eventuell noch atmet." Diese Bräuche seien im 20. Jahrhundert aufgrund des medizinischen Fortschritts längst überholt gewesen, sagt Ernesti. "Und heute ist nun einmal die öffentliche Aufbahrung generell nicht mehr üblich, sodass sie auch für die Päpste abgeschafft werden kann." Das gilt nicht nur für das Kirchenoberhaupt der katholischen Kirche: Auch nach dem Tod von Königin Elizabeth II. im September 2022 wurde auf die öffentliche Aufbahrung bei geöffnetem Sarg verzichtet.
"Privatisierung des Papsttums"
Allerdings gehören aufgebahrte Leichname bedeutender Verstorbener nicht per se der Vergangenheit an. So wurde der brasilianische Ausnahme-Fußballer Pelé vor seiner Beerdigung Anfang Januar 2023 mit geöffnetem Sarg ausgestellt, damit die zahlreichen Fans der Legende sich von ihrem Idol verabschieden konnten. Jedoch wurden große Teile seines Körpers von weißen Blüten bedeckt und über dem gesamten Sarg lag ein weißer Schleier. Und auch der Bodybuilder, Schauspieler und Politiker Arnold Schwarzenegger kündigte vor einigen Jahren an, sich eine Aufbahrung nach seinem Tod im Wiener Stephansdom zu wünschen. Gerade nach dem Tod Prominenter und bedeutender Persönlichkeiten scheint es einen Wunsch der Öffentlichkeit zu geben, den oder die Verstorbene noch einmal zu sehen. Die Bestatterin Sarah Benz sagte im Zuge der Diskussion um die öffentliche Aufbahrung des Leichnams von Benedikt XVI. im vergangenen Jahr dem WDR, dass solche Rituale den Abschied erleichtern könnten. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für ganz viele Menschen sehr, sehr hilfreich ist", so Benz, die damals beklagte, dass Aufbahrungen in Deutschland nicht mehr üblich seien.
Auch für Päpste hält Vatikan-Experte Nersinger eine Aufbahrung weiterhin für angebracht. "Der Papst ist eben nicht wie jeder andere Gläubige", sagt der Theologe. Die Gläubigen hätten das Bedürfnis, den verstorbenen Papst anzusehen und sich von ihm zu verabschieden, was künftig nicht mehr möglich sei. "Ich frage mich, ob es Franziskus an diesem Punkt nicht an Empathie mit den Katholiken fehlt, die das gerne tun würden", so Nersinger. Außerdem sieht er in der langen Tradition der Aufbahrung der Päpste einen weiteren Grund für die Beibehaltung dieses Brauchs. Bereits in der Antike nutzten die Römer den Katafalk, also ein besonderes Gestell, zur Aufbahrung ihrer Toten. Später wurden Adelige und kirchliche Würdenträger nach ihrem Ableben bis zur Bestattung dort zur Schau gestellt. In der Neuzeit übernahm auch das Bürgertum diese Sitte. Nach Ansicht von Nersinger steht bei der Aufbahrung von Päpsten nicht die jeweilige Privatperson im Fokus der Trauer, sondern der Verstorbene als Papst. "Dadurch wird der Respekt für das Amt verdeutlicht." Der Theologe sieht unter Bezugnahme auf das Urteil eines italienischen Vatikanisten in der Abschaffung der Aufbahrung des päpstlichen Leichnams deshalb eine "Privatisierung des Papsttums". Franziskus betone zu sehr seine eigenen Vorlieben und schaue zu wenig auf die Tradition.
Ohne die Aufbahrung auf einem Katafalk wird außerdem ein weiterer Aspekt des Abschieds von den Päpsten der Vergangenheit angehören: die Zuschaustellung der Vergänglichkeit. "Man hat bei der Aufbahrung von Benedikt XVI. gesehen, dass sein Körper nicht mehr in einem Idealzustand existiert", sagt Nersinger. Den Verfall des menschlichen Körpers zu zeigen, sei ein Verweis auf die Endlichkeit des menschlichen Lebens. Die Kunsthistorikerin Katharina Sykora sagte dem Monopol-Magazin im vergangenen Jahr, dass der Ratzinger-Papst bei seiner Aufbahrung zunächst in seiner Funktion als Papst und nicht in erster Linie als Mensch gezeigt werde. "Unter dem Ornat sind ebenfalls nur das Gesicht und die Hände sichtbar, die durch die Präparierungen wächsern überformt sind", so die Braunschweiger Professorin. "Er kommt so der Skulptur nahe, was auch dazu dient, ihn zu verewigen, wie es auf den Marmorsarkophagen von Päpsten lange Tradition war."
Dass die Überhöhung seiner Person als Papst nicht im Sinne von Franziskus wäre und er wohl deshalb die Aufbahrung abgeschafft hat, zeigt sich auch im Interviewbuch "El sucesor". Dort erläutert Franziskus, dass in der Kirche Santa Maria Maggiore bereits alles für seine Grabstätte vorbereitet sei. Er wolle sich in der größten Marienkirche Roms bestatten lassen, weil er schon seit der Zeit vor seinem Pontifikat eine große Verehrung für das Bild der Gottesmutter in diesem Gotteshaus pflegt. "Genau hinter der Skulptur der Königin des Friedens gibt es einen kleinen Bereich, eine Tür, die zu einem Raum führt, der zur Aufbewahrung der Leuchter benutzt wurde", so der Papst. "Ich habe ihn gesehen und dachte: 'Das ist der Ort'." Ein Papstgrab im ehemaligen Abstellraum.
Angesichts dieser Demut und Schlichtheit, die Franziskus mit Blick auf seine eigene Beerdigung wünscht, stellt sich allerdings die Frage, wie die Kirche künftig mit der Aufbahrung von Bischöfen umgehen wird. Denn auch in Deutschland ist die öffentliche Zurschaustellung des Leichnams von verstorbenen kirchlichen Würdenträgern bis heute üblich. 2017 wurde etwa der Kölner Kardinal Joachim Meisner nach seinem Tod mehrere Tage in der Kirche Sankt Gereon aufgebahrt. Ein Jahr später konnten sich die Gläubigen eine Woche lang in der Mainzer Seminarkirche von Kardinal Karl Lehmann verabschieden, der ebenfalls einbalsamiert und aufgebahrt wurde. Damals erwiesen viele Tausende Menschen den Kardinälen die letzte Ehre und wollten zum Abschied einen Blick auf ihre Leichname erhaschen. Bei den Päpsten wird dieses Bedürfnis künftig anders befriedigt werden müssen. Werden sich auch die Bischöfe ein Beispiel daran nehmen?