Über die vatikanische Behörde für den Seelenfrieden
Im Palazzo della Cancelleria in Rom wird ein ganz besonderer Schatz verwahrt: die sogenannten Supplikenregister im Archiv der römischen Pönitentiarie. In ihnen sind die Gesuche verzeichnet, die Menschen aus allen Teilen der Christenheit an den Papst richteten, wenn sie Verstöße gegen Bestimmungen des Kirchenrechts begangen hatten. Das konnte in allen Lebenslagen passieren. Die Historiker Arnold Esch und Ludwig Schmugge konstatieren in ihrem neuen gemeinsamen Buch "Menschen in ihrer Gegenwart": "In keiner mittelalterlichen Quelle kommt man dem Menschen so nahe wie hier."
Sehr zur Freude der Historiker erzählten die Menschen damals ihre Geschichte mit vielen Details. Sie wollten ihre Nöte verdeutlichen, damit sie die Gnade des Papstes erlangen konnten. Warum? Es ging um ihr Seelenheil, erklärt Historiker Tobias Daniels in der Einleitung. "Sie hofften, dass Dinge, die aus der Bahn geraten waren, durch Gnade wieder ins rechte Lot gebracht werden könnten."
Beziehungs- und Eheprobleme in all ihren Formen
Vor allem hört man auch die Stimmen von Frauen, gerade aus den niedrigeren gesellschaftlichen Schichten, die sonst nicht in den Quellen erscheinen. Ihre Geschichten tauchen oft im Zusammenhang mit problematischen Ehen auf. Die Kirche stand auf ihrer Seite, denn ohne das Einverständnis beider Seiten war eine Eheschließung nicht gültig. So sah es also gut aus für das Mädchen aus der Toskana, das den ihr zugedachten Mann einfach nicht leiden konnte. Erschwerend hinzu kam, dass er fiesen Mundgeruch hatte.
In den Registern findet man Beziehungs- und Eheprobleme in all ihren Formen, erklärt Tobias Daniels. Er zählt auf: Eheschließungen ohne Rücksicht auf die kirchenrechtlichen Vorschriften, Inzest, Impotenz, Betrug, Ehebruch, Trennung und gleichgeschlechtliche Beziehungen. Das Besondere sei, dass die Menschen in diesen Bittschriften oft in persönlicher Rede von sich, ihrem Leben, ihren Gefühlen, Sorgen und Nöten sprachen, so der Historiker.
„Sie hofften, dass Dinge, die aus der Bahn geraten waren, durch Gnade wieder ins rechte Lot gebracht werden könnten.“
Das Leben stellte die Menschen schon damals vor heftige Entscheidungen. So wurde während der kriegerischen Auseinandersetzung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Hussitenkriege) ein Böhme in Prag eingekerkert, erzählt Arnold Esch. Eine Frau machte ihm ein Angebot, das er eigentlich nicht ablehnen konnte: Wenn du mich nicht heiratest, wirst du enthauptet. Heiratest du mich, dann befreie ich dich aus der Lebensgefahr. So heiratete der Gefangene in seiner Not die Frau und überlebte.
Warum das ein Fall für die Pönitentiarie, das oberste Buß- und Gnadenamt der Kirche, wurde? Der Mann schloss die Ehe unter Zwang, damit war sie ungültig. Außerdem heiratete er eine Hussitin, also eine Ketzerin in den Augen der katholischen Kirche, und das war verboten.
Wie brachten die Menschen ihre Anliegen nach Rom? Entweder persönlich, was sehr lange dauerte und aufwändig war. Oder sie suchten sich jemanden, der das Bittgesuch aufschrieb und nach Rom an einen Prokurator schickte, der es dann auf den Behördenweg brachte. Der Papst übergab die Bittgesuche an die Pönitentiarie, wo die Fälle registriert und entschieden wurden.
Besonders gut zu tun hatte die Behörde während der Heiligen Jahre. Denn dann pilgerten die Menschen nach Rom und nutzten die Gelegenheit, ihre Bittschreiben (Suppliken) persönlich abzugeben, um all das, was in ihrem Leben vielleicht in Kollision mit dem Kirchenrecht kam, wieder gerade zu rücken und damit ihr Seelenheil zu retten.
Päpstliche Behörde wusste nicht alles
Dabei glaubte die päpstliche Behörde noch lange nicht alles, was ihr vorgetragen wurde. Sie fragte je nachdem medizinische Gutachten an oder verwies mit entsprechenden Bemerkungen das Bittschreiben wieder zurück in die Heimatdiözese zur weiteren Prüfung. Wenn Kleriker in eine gewaltsame Auseinandersetzung verwickelt waren, bei der Blut floss oder jemand zu Tode kam, hatte das schwerwiegende Folgen, sagt Ludwig Schmugge. Einzige Ausnahme: Er konnte nachweisen, dass es Notwehr war, sonst durfte er sein Amt nicht mehr ausüben.
Vor allem beim Spielen konnte viel schief gehen. Arnold Esch erzählt die tragische Geschichte von zwei Brüdern. Der große Bruder wollte den kleinen mit einem Apfel ablenken. Dann fiel der Apfel auf die Straße und der kleine Bruder aus dem Fenster hinterher. Am meisten aber passierte bei Wurf-Spielen, konstatiert der Historiker. Auch das Würfelspiel konnte bei Streit gefährlich werden. In den Bittgesuchen findet sich auch die wohl früheste Erwähnung eines Fußballspieles. 1441 nahm demnach der Priester Johannes Smyth aus der Diözese Glasgow daran teil, bei dem dann schließlich – man ahnt es schon – wieder jemand tot auf dem Boden lag.
Insgesamt existieren 760 Registerbände aus dem Zeitraum 1409 bis 1890. Ludwig Schmugge hat in 22 Jahren in elf Bänden die deutschen Betreffe für den Zeitraum 1431 bis 1523 zugänglich gemacht. Auch die späteren Bände dürften noch eine Fundgrube sein für kuriose Geschichten und spannende Erkenntnisse über die Nöte und das Alltagsleben der Menschen bergen. Eine Herausforderung für die kommende Historikergeneration.