Standpunkt

Verlieren die demokratischen Kräfte, verlieren wir Europa

Veröffentlicht am 07.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Strack – Lesedauer: 

Bonn ‐ Vor 79 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. In Deutschland gedenkt man dieses Tages kaum – anders als in Frankreich. Für Christoph Strack ist dieser Tag ein Mahnzeichen für Europa, das vor den Europawahlen wichtiger denn je ist.

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In Deutschland ist der 8. Mai ein Werktag. Wie üblich. Ja, in Berlin gibt es dann einige kleinere Demos – das ist man gewohnt. Die große Rede, der wichtige Impuls zu diesem Tag bleibt gewiss aus. Wie üblich. Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 bedeutete das Ende des Zweiten Weltkrieges mit all seinen Gräueln, dem Rassenwahn, den Zigmillionen Toten.

Diesen Standpunkt schreibe ich in Cluny im ostfranzösischen Burgund. Der geschichtsreiche Ort mit seinen gastfreundlichen Menschen – ein wunderbarer Flecken Erde zwischen den geistlichen Stätten Taize und Mazille.

Cluny bereitet seinen 8. Mai engagierter vor als deutsche Orte dieser Größe. Schon wurde das zentrale Mahnmal "Cluny und die Region ihren Toten des Krieges 1939-1945" herausgeputzt. In diesem Städtchen folterten, töteten, bombardierten, deportierten die Deutschen. Daran erinnern Tafeln an Wohnhäusern, seit 2016 auch fünf Stolpersteine. Cluny hat gelitten. An diesem Mittwoch trifft man sich an den Soldatengräbern auf dem Friedhof, später am Mahnmal. Kränze, Reden, Schweigen, Trauer. Einige Geschäfte im Ort bleiben ganztägig geschlossen, andere öffnen halbtags.

Mit all dem steht Cluny für viele tausend Orte in Frankreich und vielen anderen Ländern Europas. Für Deutschland bleibt es ein Werktag. Heute, 79 Jahre danach, sieht man in Cluny Europa-Fahnen. Selbstverständlich. Aus dem Kampf gegen den Faschismus wurde der Traum der Freiheit im gemeinsamen Europa. Vermitteln wir das den jungen Leuten heute ausreichend, wir alle? Werben wir noch unter Erstwählerinnen und -wählern im Familien- und Bekanntenkreis für die Europawahl Anfang Juni? Ein Freund aus Brüssel berichtete dieser Tage sorgenvoll vom Zweifel, ob die jüngeren Wähler für die Idee von Europa noch zu begeistern sei.

Die Erklärung der katholischen deutschen Bischöfe "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" vom Februar nimmt dankenswerterweise immer wieder Bezug auf Europa, das gemeinsame Europa. Der verbandlich gewiss wichtige Text des BDKJ zur Demokratie und gegen Rechtsextremismus vor wenigen Tagen hätte die europäische Perspektive ruhig kräftiger ansprechen können. Verlieren die demokratischen Kräfte diese Wahlen, dann verlieren wir Europa.

Von Christoph Strack

Der Autor

Christoph Strack ist Leiter des Bereichs Religionen der Deutschen Welle.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.