Warum Instagram für die Kirche so wichtig ist
Evangelikale Influencer sind oft deutlich präsenter in den sozialen Medien als ihre katholischen oder evangelischen Kollegen – und das trotz teilweise homofeindlicher und rückwärtsgewandter Inhalte. Aber auch die verfassten Kirchen haben das Potential, auf Instagram viele Menschen zu erreichen, wenn sie es richtig angehen. Viera Pirker ist Professorin für Religionspädagogik und Mediendidaktik und hat einen Sammelband zum Thema Religion auf Instagram herausgegeben. Im Interview sagt sie, dass Persönlichkeit zu zeigen auf Instagram das A und O ist. Das sei aber gar nicht so leicht...
Frage: Frau Pirker, in Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit Instagram. Welche Chancen hat diese Plattform für die Kirche?
Pirker: Instagram hat eine hohe Reichweite unter Jugendlichen und vor allem jungen Erwachsenen in Zielgruppen, in denen die Kirchen viel zu wenig unterwegs sind und viel zu wenig Angebote machen. Inhaltlich geht es unter der Hochglanz-Oberfläche häufig um Sinnsuche oder den Einsatz für gesellschaftspolitische Themen. Gerade die zwanzig- bis fünfunddreißigjährigen befinden sich an Wendepunkten im Leben. So kommen Sinnfragen ganz automatisch auf die Plattform. Instagram ist nicht nur oberflächlich. Es begleitet viele Menschen und ihr Leben, meist jahrelang.
Frage: Warum ist da Instagram besser als TikTok? Wird sich in Zukunft der Schwerpunkt eher auf TikTok verschieben?
Pirker: Auf TikTok ist man vielleicht witziger, politischer und oft nochmal extremer. Wohin sich das im religiösen Feld entwickelt, kann man im Moment noch nicht sagen. TikTok ist eine junge Plattform mit noch jüngeren Nutzern. Radikalisierungsforscher schauen dort ganz genau hin, auch im Feld des Religiösen. Es kann sein, dass sich die Kommunikation etwas verändert, aber tatsächlich sind die etwas älteren Zielgruppen immer noch auf Instagram unterwegs. Viele kommunikative Tools hat Instagram auch von TikTok übernommen.
Frage: Was muss die Kirche tun, um das Thema Glaube auf Instagram glaubhaft zu vermitteln?
Pirker: Vermitteln ist das falsche Wort. Sie sollte sich nicht so sehr institutionell, sondern in Personen zeigen – als Lebensgemeinschaft und Realität.
Frage: Warum ist das so?
Pirker: Die meisten Nutzer verstehen Instagram als personenbezogene Plattform und schätzen gerade die persönliche Kommunikation dort. Auch der Algorithmus bevorzugt persönlich geführte Accounts mit Gesichtern als Ankerpunkt. Erstaunlich erfolgreich ist da zum Beispiel der Account von Anselm Grün. Er macht zwar immer dieselben Bilder in derselben Optik, aber es funktioniert: Man braucht das persönliche Gesicht.
Frage: Sie schreiben ja auch in dem Buch, dass evangelikale Kanäle oft erfolgreicher sind als evangelische und katholische. Ist das nicht verwunderlich, da diese Kanäle doch oft rückwärtsgewandte Inhalte und teilweise eine Ablehnung gegenüber Vielfalt verbreiten?
Pirker: Sie sind zumindest erfolgreicher, was die Zahl der Follower angeht. Das darf natürlich nicht die einzige Kategorie von Erfolg sein. Aber sie sind auf jeden Fall sehr präsent und erzeugen Reichweite für ihre Themen. Und da es aus diesem Bereich sehr viele Kanäle gibt, sind sie auch zahlenmäßig überrepräsentiert. Im Grunde liegt das wohl an der Art und Weise, wie Evangelikale, aber auch charismatisch orientierte Gruppierungen, ihr Evangelium leben. Sie haben eine Eindeutigkeit in ihren Aussagen und tendieren zu klarer Kommunikation, zur vollen Einheit von Glauben und Leben. Viele sind sehr missionarisch aufgestellt und haben keine Angst vor Medien und veränderten Formaten. Das ist etwas, was sie von den vielleicht noch etwas behäbigeren landeskirchlichen und katholischen Zugängen unterschiedet. Zu beobachten ist bei diesen Kanälen auch eine hohe persönliche Identifikation mit dem Glaubensthema. Sie verbreiten Ich-Botschaften, haben das Soziale, das Gemeinschaftliche weniger im Blick.
Frage: In Ihrem Buch beklagen Sie einen Bias in der Forschung hin zu evangelikalen, aber auch evangelischen Kanälen. Aber auch bei Ihnen sind die meisten Artikel diesen Feldern zugeordnet.
Pirker: Das ist richtig und das Buch repräsentiert die Fragestellungen, vor denen die Forschung heute besonders steht. Bei einem Sammelband ist man natürlich auch darauf angewiesen, was von den einzelnen Forschenden als spannend erachtet wird. Aber das Fragefeld verändert und erweitert sich. Wir beginnen gerade ein neues Forschungsprojekt, bei dem es genau um das Verschwimmen von Konfessionsgrenzen auf Social Media geht. Da schauen wir zuerst auf YouTube, das noch überhaupt nicht beforscht wird, und davon ausgehend auch auf andere Kanäle, denn die meisten Creator auf YouTube sind auch auf Instagram aktiv. In etwa zwei Jahren erwarten wir hier erste Ergebnisse.
Frage: Sie haben ja gesagt, dass die evangelikalen Kanäle oft von klaren Aussagen leben. Was machen die katholischen Kanäle falsch?
Pirker: Also mir fällt bei der Betrachtung des Feldes auf, dass die katholische Kommunikation im deutschsprachigen Raum oft sehr auf institutionelle und kirchenpolitische Fragestellungen bezogen ist. Die Lebensrealität von Menschen, aber auch Liturgie und ein sakramentales Grundverständnis kommen da mitunter zu kurz. Glauben, Sinn, innere Ausrichtung, Orientierung werden im deutschsprachigen Raum auch eher wenig thematisiert.
Frage: Warum betonen Sie hier den deutschsprachigen Raum?
Pirker: Also ich sehe das nur im deutschsprachigen Raum. Im englischsprachigen oder spanischsprachigen Raum lassen sich natürlich viel mehr Menschen erreichen, und dort sieht das Katholische auch anders aus, oft natürlich recht klerikal. Die Deutschen sind in Glaubensfragen oft sehr nüchtern und politisch. Die Instagram-Megathemen Familie, Lebensgestaltung, Kindererziehung sind "katholisch" quasi gar nicht präsent. Viel zu oft geht es kontroverse Momente, die konservativ und liberal verhandelt werden müssen, wie Genderfragen oder aktuell wieder den "Marsch für das Leben". Solche Positionierungen sind zweifelsohne wichtig. Manche Creator enthalten sich hier auch sehr bewusst. Aber ich halte es für fahrlässig, die kommunikativen Möglichkeiten der Plattform und die darin sich öffnenden Räume institutionell nur wenig zu beachten. Es fehlt der lebensfrohe katholische Content. Und guter Content setzt sich durch, sagt jedenfalls Tobias Sauer vom Netzwerk ruach.jetzt. Wie gut dies gelingen kann, zeigen uns die Gemeindereferentin und der Pfarrer von Sankt Dionysius Krefeld, die mit @diokirche_krefeld einen absolut unterhaltsamen, beziehungsorientierten und zugleich spirituellen Kanal kreiert haben, auf dem sie innerhalb von wenigen Monaten fünfstellige Followerzahlen erreichen.
„Ich halte es für fahrlässig, die kommunikativen Möglichkeiten der Plattform und die darin sich öffnenden Räume institutionell nur wenig zu beachten.“
Frage: Instagram wird ja mehr und mehr auch zu seiner Marketingplattform. Verschwimmt da Produkt und Verkündigung?
Pirker: Glaubensinfluencer haben oft auch Produkte am Markt, mit denen sie ihre Bekanntheit monetarisieren. Das würde ich aber eher unkritisch betrachten. Marketing und Monetarisierung gehört zu dieser Art der Kommunikation dazu. Es ist für die Nutzer auch normal. Und wenn Pfarrerinnen Stellenanteile für Social Media haben, lässt sich auch das als eine Form der Monetarisierung ihrer Reichweiten sehen. Verkündigung ist übrigens bei weitem nicht das Einzige, was auf Instagram religiös passiert. Lebensbegleitung, Seelsorge, Begegnung, Interaktion, auch Andacht und Gebet sind dort erfahrbar.
Frage: Sollte die Kirche Instagram eher auf Bistumsebene betreiben, oder auf die Pfarreiebene gehen? Oder sollte es einen übergeordneten Instagramkanal geben?
Pirker: Ich glaube, dass es gar nicht so viele Creator gibt, die überhaupt für solche Kanäle in Frage kommen oder sich selbst dazu in der Lage sehen, in dieser Art und Weise online zu kommunizieren. Die Kommunikation endet nicht an irgendwelchen Bistumsgrenzen, sondern richtet sich auf den deutschsprachigen Raum. Grundsätzlich würde ich eher sagen, es ist viel Luft nach oben, auch darin, wie einzelne Figuren oder Personen noch unterstützt werden könnten.
Frage: Brauchen wir in der Zukunft eigentlich noch reale Kirchorte? Oder kann es auch ein Insta-Bistum geben?
Pirker: Um beim Beispiel zu bleiben: Anselm Grün spricht selbstverständlich seine "Instagramgemeinde" an – natürlich formieren sich hier neue Gruppen, Gemeinschaften, und auch seelsorgliche Beziehungen – im Buch reflektieren dies mehrere Beiträge. Das katholische Leben lässt sich nicht ganz auf Instagram verlagern. Schließlich kann man dort keine Sakramente feiern, die setzen persönliche Interaktion voraus. Meine Devise wäre: Das eine tun und das andere nicht lassen. Instagram ersetzt nicht die realen Gemeinden. Aber man kann Instagram als erweiterten Sprachraum nutzen und sollte diesen auch bedienen. Das Territoriale und das Digitale dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Am 24. Mai findet in Frankfurt und online die Tagung "Religion auf Instagram" statt. Anmelden kann man sich bei hausamdom@bistumlimburg.de, für die Onlineteilnahme ist dies nicht nötig. Hier finden Sie das Programm.