Papst ruft zu Versöhnung der Volksgruppen auf
Zugleich würdigte Franziskus "Fortschritte" seit dem Ende des Bosnien-Kriegs (1992-1995) vor 20 Jahren. Die EU und die internationale Gemeinschaft forderte er zur Unterstützung des Versöhnungsprozesses auf. Bosnien-Herzegowina sei ein "integraler Bestandteil Europas". Als "Kreuzungspunkt von Kulturen, Nationen und Religionen sei es "von besonderer Bedeutung" für Europa und die ganze Welt, erklärte Franziskus.
"Friede und Eintracht" zwischen den Volksgruppen sowie die "herzlichen und brüderlichen Beziehungen" zwischen Muslimen, Juden und Christen in Bosnien-Herzegowina bezeugten der ganzen Welt, "dass die Zusammenarbeit von verschiedenen Volksgruppen und Religionen mit Blick auf das Gemeinwohl möglich ist", sagte der Papst in seiner Ansprache am Sitz des Staatspräsidiums weiter.
Weitere Schritte zum Vertrauen nötig
Das Beispiel Bosnien-Herzegowinas zeige, dass ein Pluralismus von Kulturen und Traditionen "echte und wirksame Lösungen" hervorbringen könne, so Franziskus. Es beweise, dass auch "die tiefsten Wunden durch einen Prozess geheilt werden könnten, der das Gedächtnis reinigt und Hoffnung für die Zukunft gibt".
Kleine Minderheit mit großer Zukunftsangst
Die katholische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas hat sich seit Beginn des Balkankriegs halbiert. Die leidvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts ist noch ohne Versöhnung - und die kleine katholische Minderheit hat Sorgen.Sarajevo sei heute wieder ein "Ort des Dialogs und des friedlichen Zusammenlebens" geworden. Man dürfe sich aber nicht mit dem bereits Erreichten zufriedengeben. Es brauche weitere Schritte, um "Vertrauen zu stärken und Gelegenheiten zu schaffen, die gegenseitige Kenntnis und Wertschätzung zu steigern".
Weiter forderte der Papst eine "effektive Gleichheit" für Bürger aller Volksgruppen vor dem Gesetz. Nur so könnten die "schweren Wunden der jüngeren Vergangenheit" heilen. Zudem mahnte Franziskus eine Achtung der Grundrechte an, vor allem der Religionsfreiheit.
Vor seiner Ansprache war Franziskus mit den drei Mitgliedern des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina zusammengetroffen. Dem Gremium, das die Funktion eines Staatsoberhauptes wahrnimmt, gehören stets ein Bosnier, ein Kroate und ein Serbe an. Der Vorsitz wechselt all acht Monate. Derzeit hat ihn der Serbe Mladen Ivanic inne.
Papst lässt Brieftauben für Versöhnung steigen
Im Anschluss an seine Ansprache ließ Papst Franziskus als Zeichen der Versöhnung zwischen Bosniern, Serben und Kroaten ließ Papst Franziskus drei weiße Tauben aufsteigen. Er erfüllte damit den Wunsch eines Hobby-Taubenzüchters namens Marin Cvitkovic. Der 39-jährige Katholik, der von Beruf Briefträger ist, hatte im Vorfeld erklärt, die Geste solle den Segen des Papstes über das kriegs- und krisengeschüttelte Land und seine drei ethnischen Gruppen verteilen und "allen Bewohnern endlich ein normales Leben bringen".
„Auch in unserer Zeit kollidieren das Streben nach Frieden und der Einsatz, ihn aufzurichten, mit der Tatsache, dass in der Welt zahlreiche bewaffnete Konflikte im Gang sind. Es ist eine Art dritter Weltkrieg, der stückweise geführt wird, und im Bereich der globalen Kommunikation nimmt man ein Klima des Krieges wahr.“
Sarajevo sei eine Stadt, in der viele Kulturen und Religionen aufeinandertreffen und die in der Vergangenheit sehr gelitten habe, sagte der Papst während des Fluges mit Blick auf den Bosnien-Krieg (1992-1995). Heute befinde sie sich jedoch auf einem "guten Weg". Darüber wolle er während seines Besuches sprechen, so Franziskus.
Franziskus beim Gottesdienst: "Nie wieder Krieg"
Im Anschluss rief er bei einer Messe unter freiem Himmel mit rund 65.000 Menschen zum Einsatz für den Frieden in der Welt auf. Aus der im Bosnien-Krieg leidgeprüften Stadt erhebe sich der "Schrei des Volkes Gottes und aller Männer und Frauen guten Willens: Nie wieder Krieg", sagte Franziskus. Krieg bedeute Kinder, Frauen und alte Leute in Flüchtlingslagern, Vertreibungen sowie zerstörte Häuser und Fabriken, so der Papst in seiner Predigt. Vor allem aber bedeute er "so viele zerbrochene Leben". In Sarajevo sei diese Erfahrung besonders präsent.
Die gegenwärtig zahlreichen bewaffneten Konflikte seien eine "Art dritter Weltkrieg, der stückweise geführt" werde, sagte Franziskus weiter. Er beklagte ein "Klima des Krieges", das in die "globale Kommunikation" eingekehrt sei. Christen müssten sich dieser Entwicklung entgegenstellen und als Friedenstifter wirken. Der 78-Jährige verurteilte all jene, die einen Zusammenstoß zwischen Kulturen und Zivilisationen bewusst förderten oder gar mit Kriegen spekulierten, um Waffen zu verkaufen.
Franziskus sagte weiter, der Aufruf Jesu, "selig, die Frieden stiften" sei auch heute unvermindert aktuell. Er dürfe allerdings nicht nur gepredigt, sondern müsse auch "hergestellt" werden. Voraussetzung dafür sei Gerechtigkeit. Dabei gehe es nicht um eine "vorgetragene, theoretisch durchgespielte, geplante Gerechtigkeit, sondern um ein praktizierte und gelebte Gerechtigkeit".
Der Gottesdienst im Kosevo-Stadion bildete den Höhepunkt des Tagesbesuches von Franziskus in Sarajevo. Den Weg vom Staatspräsidium zum Stadion durch die Innenstadt legte er im offenen Papamobil zurück. An den Straßenrändern hatten sich nur vereinzelt Schaulustige versammelt. 80 Prozent der rund 900.000 Einwohner Sarajevos sind Muslime. (luk/KNA)
06. Juni 2015, 13 Uhr: Ergänzt um die Feier der Messe