Evangelische Pfarrerin hatte Debatte über Sonntagsgottesdienst losgetreten

Liturgiker Wahle: Über Begründung für Sonntagspflicht nachdenken

Veröffentlicht am 22.05.2024 um 11:24 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Eine evangelische Pfarrerin ist für die Abschaffung des Sonntagsgottesdiensts. Aus katholischer Sicht wegen der Sonntagspflicht kaum denkbar. Deren klassische Begründung sei aber wenig theologisch, sagt der Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle.

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Laut dem Paderborner Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle ist die klassische Begründung der Sonntagspflicht nicht mehr zeitgemäß. "Die Begründung dafür ist wenig theologisch, sondern ein naturrechtlicher Gedanke, der im Mittelalter prägend wurde: Der Mensch ist als Mensch dazu verpflichtet, Gott gegenüber Verehrung, also Kult zu leisten", sagte Wahle im Interview des Portals "kirche-und-leben.de" (Mittwoch). Das geschehe durch die Teilnahme am Gottesdienst. "Da kann man schon fragen, ob das heute so begründbar ist." Sinnvoller könnte es sein, stattdessen von einer Selbstverpflichtung Gott gegenüber zu sprechen.

Weiter betonte Wahle, dass in der katholischen Kirche an der Sonntagspflicht festgehalten werde, die daraus folgenden Sanktionen innerkirchlich jedoch keine Rolle mehr spielten. "Daher wäre in der Tat zu fragen, ob die Sonntagspflicht noch zeitgemäß ist."

Frage nach Attraktivität stellen

Hintergrund von Wahles Aussagen ist eine neuerliche Debatte um den Sonntagsgottesdienst, die durch die evangelische Pfarrerin Hanna Jacobs angestoßen wurde. Jacobs hatte in einem Beitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" dessen Abschaffung gefordert, da er an Zulauf und Strahlkraft verloren habe. Sie warf dabei die Frage auf, ob es nicht würdevoller wäre, einen "beherzten Schlussstrich zu ziehen und damit Zeit und Energie freizusetzen, die Kirchen so dringend brauchen".

Laut Wahle sollte die Frage nach der Attraktivität des Sonntagsgottesdienstes ernstgenommen werden. Bei der Debatte werde allerdings außer Acht gelassen, dass es viele verschiedene Formate im Jahresverlauf gebe und die Eucharistie keineswegs die einzige Gottesdienstform sei. Generell sei ein Gottesdienst nie etwas Normales: "Eigentlich feiern wir tatsächlich ein Fest. Das immer und in aller Häufigkeit so zu tun, dass es wirklich als Fest erlebt wird – das ist fast schon eine Überforderung." Wer Gottesdienste vorbereite, sollte versuchen, sich eine "Feier-Kompetenz" anzueignen, ohne zum Entertainer werden zu wollen.

Die Sonntagspflicht ist das erste der fünf Kirchengebote: Katholiken sollen jeden Sonntag und an kirchlichen Hochfesten die Heilige Messe besuchen. Die Pflicht gilt allerdings nicht absolut und kennt Ausnahmen, wenn Priestermangel oder andere schwerwiegende Gründe die Teilnahme unmöglich machen. Im Rahmen ihrer Dispensgewalt haben die meisten Bischöfe in Deutschland während der Corona-Pandemie die Sonntagspflicht ausgesetzt. (mal)