Katholische Sexualmoral sei überholt

Theologe Bogner: Es braucht eine neue christliche Liebes-Ethik

Veröffentlicht am 31.05.2024 um 14:01 Uhr – Lesedauer: 

Oberursel ‐ Die gängige katholische Sexualmoral wird von den meisten Katholiken nicht mehr befolgt, sagt Moraltheologe Daniel Bogner. Aus seiner Sicht braucht es einen neuen, ethischen Ansatz – und damit auch neue Kategorien.

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Der Fribourger Moraltheologe Daniel Bogner hat zu aufgerufen, eine neue "Ethik des Liebens und Begehrens" zu entwickeln. "Um Menschen genau die Erfahrung sexueller Begegnungen zu ermöglichen, die ihnen gerecht werden, hat eine Ethik des Liebens und Begehrens statt Verboten so etwas wie minimale Anforderungen zu beschreiben", schreibt Bogner in einem Beitrag für die Zeitschrift "Publik Forum" (aktuelle Ausgabe). Dazu zählten etwa Kriterien wie Unversehrtheit, Einvernehmlichkeit und Gegenseitigkeit. Personen dürften zudem keinen physischen, psychischen oder spirituellen Schaden nehmen.

"Besessen von der Annahme, Sex sei im Kern etwas Gefährliches und Korrumpierendes, ging es – vor allem der katholischen – Kirche und Theologie lange Zeit um dessen Eingrenzung und um die detailgetreue Beschreibung der Situationen, in denen Sex als akzeptabel gelten durfte", kritisiert Bogner. Das Format einer katholischen Sexualmoral halte er daher für überholt. Sie werde ohnehin von "den allermeisten Katholikinnen und Katholiken" nicht befolgt, wie allein die Wirkungsgeschichte der Enzyklika "Humanae vitae" zeige.

Die klassische katholische Antwort auf viele kritische Fragen von Sexualität und Beziehung laute: "Man muss eben der Versuchung widerstehen und auf dem Pfad der Tugend bleiben", schreibt Bogner. Eine solche Antwort reiche heute aber nicht mehr aus. Wenn der christliche Glaube von einem Menschen spreche, der ein zu verantwortlicher Lebensgestaltung fähiges Wesen sei, "dann bedeutet das, dass Menschen nicht einfach über den Leisten einer abstrakten Norm geschlagen werden können".

Beziehungsstatus nicht um jeden Preis erhalten

Eine Ethik der Liebe brauche daher Begriffe und Bilder des Weges statt Kategorien der Vorgabe, der Befolgung und der Erfüllung. "Eine solche ethische Grundgrammatik ist nicht überrascht, wenn Menschen auf ihrem Weg des Liebens stolpern und fallen. Dann tut sie alles, um es diesen Menschen möglich zu machen, wieder aufzustehen und als Liebende miteinander weiterzugehen, möglichst lange", so Bogner.

"Einer christlichen Ethik von Liebe und Beziehung sollte es nicht zuerst darauf ankommen, den Beziehungsstatus um jeden Preis zu erhalten", schreibt Bogner. Ihr sollte stattdessen am Wohl der betroffenen Personen gelegen sein. "Das bedeutet, Menschen darin zu unterstützen, dass sie sich in einer so schweren Lebenskrise nicht einigeln, sondern – nach einer Zeit – die Krise als Schritt für eine vielleicht längst anstehende Entwicklung begreifen können." Eine Trennung sei der Ernstfall für diese Art der Verantwortung, gerade in Gestalt von Kindern. "Die christliche Ethik ist in solchen Fragen oft nahezu sprachlos, obwohl die Menschen, die sich in solchen Situationen befinden, dringend Hilfe und Orientierung brauchen." Die Herausforderung liege darin, das Besondere eines Liebesbundes zu denken und zu würdigen, ohne die Realitäten des konkreten Beziehungslebens außer Acht zu lassen.

Das größte und wichtigste Thema indes sei die Frage, "wie es gelingen kann, eine liebende Beziehung zu einem anderen Menschen zu führen, die von intimer Nähe, Verbindlichkeit und Verantwortung geprägt ist". Eine solche aufrichtige und authentisch gelebte Beziehung werde von selbst "fruchtbar" sein, so Bogner. (cbr)