Was bei der Debatte um "Fiducia supplicans" aus dem Blick gerät

Theologe: Wir brauchen ein Ehe-Sakrament für das "Feldlazarett"

Veröffentlicht am 12.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Daniel Bogner – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Das vatikanische Segensdokument "Fiducia supplicans" hat eine breite Debatte ausgelöst. Aus Sicht des Theologen Daniel Bogner geht es dabei auch um ein grundlegenderes Thema: den Unterschied zwischen Segen und Sakrament. Er fordert daher ein neues Verständnis dafür, was Ehe bedeutet.

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Weshalb erbitten Menschen den Segen Gottes für die Paarbeziehung, die sie leben? Es ist der Wunsch, das partnerschaftliche Leben vor Gott zu bringen, es unter seinen Schutz zu stellen und Begleitung dafür zu erbitten. Die Debatte darüber wurde beim Synodalen Weg geführt. Am Ende mühsamer Diskussionen stand ein Beschluss, der Segensfeiern für homosexuelle Paare und wiederverheiratete Geschiedene ermöglicht. Niemand, der oder die solche Segensfeiern leitet, soll, wie bisher geboten, mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen müssen. Einer solchen Segensfeier liegt die Überzeugung zugrunde, "dass im gemeinsamen Leben von Paaren, die in Verbindlichkeit und Verantwortung füreinander zusammenleben, sittlich Gutes da ist", so die Aussage des Synodalen Wegs. Die Erklärung des Vatikans zu diesem Thema ("Fiducia supplicans") ist aus weltkirchlicher Sicht ein mutiger Schritt, weil erstmals ein solcher Segen ermöglicht wird. Aber es wird ausdrücklich betont, dass dieser nicht in einem liturgischen Ritual erfolgen darf. Was wird die deutsche Kirche nun damit machen? Werden die Bemühungen, Vorlagen für Segensfeiern auszuarbeiten, gestoppt werden?

Das alles sind Fragen, die momentan diskutiert werden. Aber sie verdrängen eine viel grundlegendere Perspektive, nämlich die Frage, inwiefern es überhaupt angemessen ist, den Unterschied zwischen Segen und Sakrament beim Thema Partnerschaft und Liebe so strikt aufrechtzuerhalten, wie die Kirche dies bisher tut. Aufgabe der Theologie ist es, hierüber eine Diskussion anzustoßen.

Schön und vermessen zugleich: Den Gottesbund im Menschenbund darstellen

Im Verständnis vieler Menschen, die von der Kirche eine Begleitung ihrer Lebensentscheidungen erbitten, wird kaum ein wesentlicher Unterschied bestehen zwischen Segen und Sakrament. Es geht für sie darum, ihre Entscheidung vor Gott zu legen und seinen Beistand dafür zu erbitten. Welche theologischen Begriffe die Kirche dafür verwendet, wird für die, die danach fragen, oftmals zweitrangig sein. Aus Sicht der Kirche freilich besteht ein erheblicher Wertungsunterschied zwischen Segnung und Sakrament: Eine Segnung solle, wie der Synodale Weg es sagt, Ausdruck der "Wertschätzung für eine vorhandene Liebe und die darin gelebten Werte" sein, während das Sakrament "Bild und Teilhabe der Liebe Christi zu seiner Kirche" (so der Konzilstext "Gaudium et spes", Nr. 48) darstellt und darin den Bund Gottes mit den Menschen repräsentiert.

Bild: ©privat

Menschen, die mit einer aus kirchlicher Sicht "irregulären" Liebe vor Gott treten wollen, würden mit der Aussage konfrontiert, ihre Beziehung sei keines Sakraments würdig, kritisiert Daniel Bogner. "Ich bin der Überzeugung, dass man einen Weg aus diesem Dilemma suchen muss", so der Professor für Theologische Ethik an der Universität Fribourg/Schweiz.

Das eine Mal wird also etwas anerkannt und erbeten, das andere Mal findet eine Art Gleichsetzung statt. Ehe, das bedeutet: Einen anderen Menschen so zu lieben, wie Gott den Menschen liebt. Der Bund Gottes mit dem Menschen ist aktualisiert und leibhaft "in Szene gesetzt" im Bund, den Menschen in der Ehe miteinander eingehen. Mit dem Sakrament wird eine Art neue Realität geschaffen, ein heiliges Zeichen, das einen Vergegenwärtigungsakt darstellt. Anders formuliert: Die Liebe Gottes zum Menschen ist der Schöpfungsakt – und der Mensch wiederum kann es Gott gleichtun, in dem er selbst in einem Bund mit einem anderen Menschen "prokreativ" tätig wird, also seinerseits Nachkommen schafft – das wiederum ist aus biologischen Gründen heterosexuellen Paaren vorbehalten und deshalb gilt nur die heterosexuelle Verbindung als "ehe-fähig". Gegenüber diesem Verständnis vom Sakrament, das der ehelichen Paarverbindung eine Bedeutung verleiht, welche ihre welthaften Vollzüge übersteigt, ist der Segen ein ganz anderer Wirkmodus der Religion. Er wird für den Erfahrungsweg der Liebe erbeten, unterlegt aber der Verbindung der Liebenden nicht, so wie das Ehe-Sakrament es tut, einen neuen Sinn- und Seinsgehalt.

Diese Differenzierungen sind es, welche die Kirche dazu veranlassen, beide Vollzüge streng voneinander zu unterscheiden. Die Menschen, die mit einer in kirchlichen Augen "irregulären" Liebe vor Gott kommen wollen, werden mit der Aussage konfrontiert, ihre Verbindung sei keinesfalls eines Sakramentes würdig, aber einen Segen könne man gewähren. Und auch hierüber gibt es noch Streit, weil einige fürchten, dass die feinen, aber elementaren Unterschiede zwischen Segen und Sakrament im allgemeinen Bewusstsein gar nicht mehr verfangen und damit letztlich der Status des Sakramentes Schaden nehmen könne. Das ist eine zwar scharfe Position, aber der Binnenlogik nach ist sie schlüssig.

Kein gnadentheologisches Zweiklassenregime einführen

Ich bin der Überzeugung, dass man einen Weg aus diesem Dilemma suchen muss. Ziel sollte es sein, den Sinn des Sakramentes selbst neu zu justieren, statt mit einer subtilen Unterscheidung zwischen Segen und Sakrament den Zugang zum Sakrament elitär zu verengen und für die vom Sakrament nicht adressierbaren Lebenssituationen ein gnadentheologisches Zweiklassenregime einzuführen, nach dem Motto: Sakrament für die Wenigen, Segen für eine größere Runde. Diese Aufgabe drängt sich umso mehr auf, als das herkömmliche Verständnis vom Ehesakrament die anspruchsvolle Erfahrungswirklichkeit gelebter Partnerschaften kaum berücksichtigt.

Anzusetzen wäre bei der Frage, was das Sakrament denn eigentlich sein soll: Die Idee ist, dass die real gelebte Paarbeziehung als Zeichen für eine überweltliche Wirklichkeit gelten soll – dieses Ineinander aus "Im-hier-und-jetzt-Gegeben" und "Darin-etwas-anderes-Sehen" nennt sich sakramental. Etwas steht für etwas anderes, Irdisches für Himmlisches gleichermaßen. Die unmittelbar sich anschließende Frage lautet: Welche irdische Wirklichkeit aber ist wirklich geeignet, ein himmlisches Gut, nämlich die unwiderruflich für den Menschen entschiedene Liebe Gottes angemessen zu repräsentieren? Das Problem ist doch: Weltliche Vollzüge sind immer fehlerbehaftet, endlich und unvollkommen! Will man einem weltlichen Gut diese Repräsentation direkt und unvermittelt abverlangen, muss es in eine Perfektion gezwungen werden, die seine Natur gar nicht hergibt. Und genau das ist beim Institut der sakramentalen Ehe offensichtlich bisher der Fall. Es gibt sie nur perfekt, das heißt unauflöslich. Die Perfektion wiederum wird allein am formalen Charakter der Ehe festgemacht – an der juristisch besiegelten, nicht auflösbaren Form. Wie aber diese Ehe konkret gelebt wird und ob die gelebte Realität der Beziehung zwischen den Ehepartnern dem Liebesband Christi zu seiner Kirche, gar dem Bund Gottes mit seiner Schöpfung entspricht, interessiert die kirchliche Lehre erst einmal nicht. Sie macht daran zumindest nicht den Repräsentationsgehalt fest, um den es ihr geht.

Bild: ©KNA/Lola Gomez/CNS photo

Papst Franziskus habe den Begriff des "Feldlazaretts" verwendet, um zu beschreiben, dass die Kirche sich für Menschen einsetzen solle, die verwundbar seien, oder immer wieder verwundet wurden. "In der Logik eines solchen Denkens liegt es, das Ehe-Sakrament neu zu denken und es zu befreien aus seiner Hülle der Perfektion", schreibt Bogner.

Die Spannungen im Gebälk des sakramentalen Eheverständnisses sind deutlich ersichtlich. Zu lösen sind diese aber nicht, indem man den Anspruch des Sakramentes, den Heilswillen Gottes verbindlich ins Hier und Jetzt zu übersetzen, aufgeben würde. Es bedarf stattdessen einer passenderen und damit verständlicheren Übersetzung dieser Spannungen, als das im Fall der kanonischen Ehe bislang der Fall ist. Und so ist zu fragen: Kann nicht das, was den Menschen in seinem Kern ausmacht, seine Natur als geschichtliches Wesen, das lebenslangen Wachstums- und Entwicklungsprozessen unterliegt, und damit auch seine Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit in das Verständnis des Ehesakramentes mit aufgenommen werden? Es würde bedeuten, das reale Beziehungsleben viel mehr als bisher zum Kriterium der Sakramentalität der ehelichen Verbindung zu machen. Was wiederum hieße, Ehevorbereitung und -begleitung neu zu fokussieren und aus ihrer nachgeordneten Position herauszuholen. Wahrhaft partnerschaftlich zu leben, das fällt nicht vom Himmel, aber vieles, was dazu gehört, kann eingeübt werden. Die Kirche sollte hieraus eines ihrer Kernanliegen machen, dann könnte sie viel eher erreichen, dass christliche Ehen die Liebe Gottes zu den Menschen darstellen.

Ein solches erneuertes Sakramentenverständnis sollte wohl auf irgendeine Weise einbeziehen, dass Ehen auseinandergehen können, obwohl beide Partner:innen zuvor nach bestem Wissen und Gewissen darum gerungen haben, das zu leben, was sie sich doch vorgenommen hatten. Weil sie vielleicht lernen mussten, dass erhoffte Entwicklungen nicht eingetreten sind und sie sich eingestehen, dass eine Trennung heilsamer ist als ein Beieinander-Bleiben. Und könnte ein erneuertes Verständnis von der Ehe als Sakrament die starre Fixierung auf das biologische Geschlecht und die notwendige Heterosexualität der Ehepartner lösen? Das Sakrament steht für die Liebe, die Gott gegenüber dem Menschen aufbringt. Zum Wesen der Liebe gehört es, fruchtbar zu sein und damit Gottes Schöpfungswerk fortzusetzen. Liebe kann auf vielerlei Weise fruchtbar werden. Fruchtbarkeit muss nicht ausschließlich im Blick auf die biologische Fortpflanzung verstanden werden, auch wenn diese mit Sicherheit eine besondere Weise darstellt, am Schöpfungswerk mitzuwirken.

An tief und breit angesetztem Ehe-Sakrament arbeiten

Die Kirche muss dorthin gehen, "wo die Menschen leben, wo sie leiden, wo sie hoffen". Das sagt Papst Franziskus. Die Aufgabe der Kirche sei nicht, zu verurteilen, sondern Barmherzigkeit zu üben. Bei Franziskus fällt der Begriff des "Feldlazaretts". Darunter versteht er die Lebenssituation von Menschen, die verwundbar sind und auf ihrem Lebensweg immer wieder Wunden abbekommen. Für diese Menschen solle Kirche da sein, so der Papst. In der Logik eines solchen Denkens liegt es, das Ehe-Sakrament neu zu denken und es zu befreien aus seiner Hülle der Perfektion. Letztlich sind Sakramente nicht dazu da, dass die Kirche sich mit ihnen ihre Rolle als Heilsmittlerin bestätigen lässt. Sie sollen vielmehr den Menschen ein Dienst sein, und zwar den realen Menschen mit ihren Schrammen, Wunden und manchmal krummen Entwicklungspfaden, für die doch der biblische Gott eine Zusage von Heil sein möchte.

Die Option lautet also: Lasst uns arbeiten an einem tief und breit ansetzenden Ehe-Sakrament, das die ganz realen Weisen des Liebens zwischen Menschen zur Basis nimmt, und gegen eine Etagenlogik, die zwischen einer "Vollform" Sakrament und einem verbilligten Segensangebot für "niedere" Liebesformen unterscheidet. Der weltkirchliche Weg dorthin ist weit, und gerade deswegen muss die Diskussion darüber begonnen werden.

Von Daniel Bogner

Das Buch

Daniel Bogner ist Professor für Moraltheologie und Ethik an der Universität Fribourg in der Schweiz. In seinem heute erscheinenden Buch "Liebe scheitert nicht. Welche Sexualethik braucht das 21. Jahrhundert?" diskutiert er Fragen rund um Liebe und Sexualität, Beziehung und Trennung.