Standpunkt

Franziskus' Pontifikat ist eine Zeit der Aussaat, nicht der Ernte

Veröffentlicht am 04.06.2024 um 00:01 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nicht selten widerspricht sich Papst Franziskus in seinen Aussagen – gerade, wenn es um Themen wie Homosexualität oder Frauenweihe geht. Roland Müller irritiert das, doch er sieht in der Kommunikation des Papstes auch Positives.

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Papst Franziskus macht es einem nicht gerade leicht: Vor wenigen Tagen klagte er über zu viel "Schwuchtelei" in Priesterseminaren – heute wurde bekannt, dass er einem ehemaligen Seminaristen geschrieben hat, der wegen seiner Homosexualität auf seinen Berufswunsch verzichten musste. "Die Kirche muss für alle offen sein. Geh mit deiner Berufung voran", so Franziskus in seinem Brief an den jungen Mann. Passt das zusammen? Und meint das Kirchenoberhaupt hier überhaupt die Berufung zum Priester? Ein anderes Beispiel für die Inkohärenz und Unklarheit des Papstes ist der Diakonat der Frau: Nach mehreren Kommissionen zur Frage, ob Frauen zu Diakoninnen geweiht werden können, kam dieses Thema auch im Oktober bei der Synode im Vatikan zur Sprache. Franziskus rief im März eine Studiengruppe zur Frauenweihe ins Leben – doch noch bevor diese neue Kommission ihre Arbeit richtig aufnehmen konnte, sprach sich der Papst gegen die Weihe von Diakoninnen aus. Wieder widerspricht der Pontifex sich selbst und es bleibt unklar, ob er sich nicht vielleicht doch ein Diakoninnen-Amt ohne sakramentale Weihe vorstellen kann.

Es ist verständlich, dass diese gegensätzlichen Aussagen und Botschaften aus dem Vatikan Empörung hervorrufen. Das gilt besonders für Gläubige aus Kulturräumen, in denen man eine direkte und eindeutige Kommunikation gewohnt ist. Doch die Widersprüche von Franziskus sollten gerade reformorientierte Katholiken aufhorchen lassen: Sie zeigen Veränderungen in der Kirche an, die langsam, aber sicher herannahen. Denn unter den Vorgängern des aktuellen Papstes war es nicht einmal möglich, ergebnisoffen über "heiße Eisen" wie Homosexualität, Frauenweihe und viele andere Themen in der Kirche zu sprechen.

Franziskus ist es hoch anzurechnen, dass er die Widersprüchlich- und Ungleichzeitigkeit der Weltkirche ins Wort bringt. Dadurch verschieben sich die Grenzen dessen, was in der Kirche gedacht und gesagt werden darf – wenn auch nach deutschen Maßstäben in winzigen Schritten. Wer das verstanden hat, begreift: Das aktuelle Pontifikat ist eine Zeit der Aussaat und nicht der Ernte. Von Franziskus sind keine großen Reformen zu erwarten, er ist ein Bewahrer. Wohl aber hat er einen kirchlichen Kulturwandel angestoßen, der bereits in vollem Gange ist – und bei seinen Nachfolgern Früchte tragen wird. Bei aller berechtigten Verärgerung über die Kommunikation des Papstes muss diese Leistung anerkannt werden. Auch wenn das wohl für niemanden leicht ist.

Von Roland Müller

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.