Wie sich das Gottesbild der Menschen verändert
"Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" – das Kreuzzeichen ist einer der symbolischen Kerne des Christentums. Es umreißt ein Gottesverständnis, das es so in keiner anderen Religion gibt und aus verschiedenen Dimensionen besteht: Da ist mit Gottvater der Weltenschöpfer, mit Jesus Christus der Erlöser, der die Liebe Gottes verkündete, und der Heilige Geist als spirituell und geistig entzündende Kraft. Daneben haben sich in der Geschichte Bilder des strafenden Gottes, des Befreiers und Beschützers herausgebildet. Noch im 19. Jahrhundert wurde von den Kanzeln der strafende Gott gepredigt. Das Gottesbild sagt also auch immer etwas über den Glauben der jeweiligen Zeit aus – auch heute.
Ein Blick auf die Gottesbilder heute zeigt da eine recht eindeutige Tendenz: Ein Drittel der Teilnehmenden einer Online-Umfrage 2022 glaubt weder an einen Gott als Person, noch an ein höheres Wesen oder eine geistige Macht. Ein knappes Drittel stellte sich ein abstraktes höheres Wesen vor, ein Fünftel wusste es nicht genau und als kleinste Gruppe glaubten 19 Prozent, dass es "einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat". Das passt zu Zahlen aus dem Jahr 2018, als die knappe Hälfte von Befragten in Österreich an ein höheres Wesen glaubte, ein Drittel an gar nichts sowie lediglich elf Prozent an einen personalen Gott, wobei sich ein ebenso großer Anteil nicht entscheiden konnte.
Der Schöpfer, der Erlöser, der strafende Richter – konkrete Gottesdimensionen wie diese spielen heute, wenn überhaupt, die zweite Geige. Es herrschen allgemeine Bilder vor bis hin zu sehr Unkonkretem. "Menschen glauben heute an einen Gott, weil es ihnen guttut", sagt der Lausanner Religionssoziologe Jörg Stolz. Das zeige sich selbst bei den ganz Frommen: "Die sagen nämlich auch, dass sie sich beim Glauben gut fühlen – ein ganz klassisches Merkmal einer individualisierten Gesellschaft."
Konfessionalität als Option
Spätestens seit den 1960er Jahren sind das Christentum und die Konfessionalität von einer gesellschaftlichen Konvention zu einer Option geworden. Ob man einer Konfession angehört, entscheidet schon lange nicht mehr darüber, ob man sich für eine Stelle qualifiziert oder gesellschaftliches Prestige hat. Olaf Scholz als erster konfessionsloser Bundeskanzler ist da nur eines der letzten Glieder in der Kette. Dementsprechend individuell haben sich die Gottesbilder entwickelt. Stolz unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Milieus:
- Die Etablierten: Sie stellen sich einen liebenden Gott vor, der ihnen zuhört, aber nicht aktiv in die Welt eingreift.
- Die Evangelikalen: Für sie ist Gott der engste Freund und Herr der Welt. Er vollbringt auch Wunder.
- Die Esoterischen und Alternativ-Spirituellen: Gott ist hier nicht persönlich, sondern nah bei der Natur und steckt auch in jedem selbst, sodass man sich vergöttlichen kann.
- Die Distanzierten: Bei ihnen herrscht ein verschwommenes Gottesbild vor, geprägt von viel Unsicherheit, aber auch Desinteresse.
Je individueller die eigene Spiritualität oder der Glaube werden, umso mehr verschwimmen sie und schwächen sich ab. Wie kommt das? "Religion hat viele Funktionen verloren, die sie in der Vergangenheit hatte", sagt Stolz dazu. Das lässt sich mit ein paar Beispielen erklären: In früheren Zeiten wurde Gott angerufen, um Sicherheit im Alltag und für die Zukunft zu gewährleisten. Er wurde um das "täglich Brot" und für Gesundheit der ganzen Familie gebeten. All diese Funktionen haben heute technisierte, säkulare Gegenstücke, die diese Aufgaben viel lebensnaher erfüllen. Versicherungen, der Wohlfahrtsstaat, soziale Sicherungssysteme, das Gesundheitssystem. Gemeinsam mit dem gesellschaftlichen und politischen Machtverlust der Kirchen und dem Verlust von Prestige der institutionellen kirchlichen Ämter ist der Glaube nun auf die schlichte Frage zurückgeworfen, ob man an ein höheres Wesen glaubt oder nicht. "Wie man dazu steht, hat aber im Alltag keine Konsequenz. Es ist schlicht nicht besonders relevant", sagt Stolz.
Einen besonderen Einfluss hat dabei der gesellschaftliche Relevanzverlust der Kirche und deren kleiner werdende Gemeinschaft. "Wenn religiöse Dogmen wichtig sind, kommen sie in der Gemeinschaft immer wieder vor. Dadurch sind sie im Alltag präsent. Wenn das nicht mehr so ist, wird auch der Gottesglaube schwächer." Der Gegner dieser Uniformität: Das Individuum. Doch das ist bereits seit der Reformation immer wichtiger geworden. "Man könnte fast sagen, dass Luther damit den Beginn dieser Prozesse angestoßen hat." Wenn die Gemeinschaft weniger uniform wird, wird auch das Gottesbild diffuser und schwächer. Das zeige sich auch in der Predigtlandschaft der verfassten Kirchen: "Da wird heute nur noch wenig verbindlich vorgegeben."
Individualismus und Gegenbewegungen
Doch die Reformation provozierte auch Gegenbewegungen. Jene Evangelikalen etwa, die in der historisch-kritischen Exegese die Aufgabe des eigentlich Religiösen sahen und sehen. Sie verlassen sich auf eine wörtliche Auslegung der Bibel – mit überschaubarem Erfolg, sagt Stolz. "In ihrer Eindeutigkeit haben sie zwar ein gefestigteres Gottesbild als liberalere Christen. Doch ihre Enge schreckt auch viele ab. Neue Mitglieder kommen kaum von außen, sondern vielmehr durch den Nachwuchs der Mitglieder."
Was tun dagegen? Dafür ist zunächst einmal festzustellen, dass es sich etwa bei der gesellschaftlichen Individualisierung und Säkularisierung um Megatrends westlicher Gesellschaften handelt. "Da können die Kirchen gar nicht so einfach gegen ankommen. Es liegt also nicht nur an der Verkündigung", so Stolz.
Ein paar Ansätze gibt jedoch der Münsteraner Religionspädagoge Clauß Peter Sajak. Er weiß: Gottesbilder verändern sich im Laufe des Lebens – und das sehr unterschiedlich. "Früher war man der Meinung: Kinder stellen sich eher den alten Mann mit Rauschebart vor, während Erwachsene eher abstrakt an eine höhere Macht glauben. Man ging von einer Weiterentwicklung aus." Doch heute wisse man: Das kommt so nicht mehr hin. "Es gibt Erwachsene, die immer noch eine sehr konkrete personale Gottesvorstellung haben – und Kinder, die nur für den Relilehrer noch den Mann auf der Wolke malen, aber eigentlich ein sehr abstraktes Bild haben." Das hänge auch von der jeweiligen Lebenssituation und Glaubenspraxis ab. "Wer betet schon zu einem Symbol? Da stellen sich viele Menschen eine Person vor."
Scientistisches Weltbild
Zudem weist er wie auch Stolz auf eine Welt hin, in der säkulare Gegenstücke viele vormals religiöse Aufgaben übernommen haben – und ein Weltbild, das von wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt wird. "Schon Jugendliche wissen, dass viele biblische Geschichten so nicht passiert sind", sagt er. "Deshalb müssen wir in Unterricht und Verkündigung aufhören, die Bibel wörtlich zu nehmen." Dabei seien die exegetischen Erkenntnisse hilfreich. "Bei den allermeisten Gleichnissen geht es um Symbole, nicht um Fakten. Das können wir auch so sagen: Den brennenden Dornbusch gab es sicher so nicht, er steht aber für etwas", so Sajak. Es gehe nicht um Magie oder Zauberei, sondern um Text gewordene Gotteserfahrungen. "Denn eine grundsätzliche Offenheit für einen erfahrbaren Gott gibt es. Aber das muss auch glaubhaft sein."
Dabei sieht er auch einen Gewinn im trinitarischen Gottesbild des Christentums. Diese Konstruktion, in der Bibel begründet und den Jahrzehnten danach ausgeformt, ist ein Spagat zwischen zwei Polen: Dem Verständnis einer Gottheit als überzeitlichem Weltenschöpfer und einem Gott, der für Menschen als Person erfahrbar wird. Das sei zwar komplex, so sei Gott aber auch nahbar. "Da gibt es die Dimension eines persönlich erfahrbaren, sinnlich zugänglichen Gottes. Das ist schon etwas Besonderes." Diese Zugänglichkeit könnte ein Anknüpfungspunkt sein, um die Menschen des 21. Jahrhunderts beim Aufbau eines glaubhaften, nahbaren Gottesbilds zu unterstützen.