Vatikan will "Big Bang"-Entdecker Lemaitre bekannter machen
"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde aber war wüst und leer (...), und Gottes Geist schwebte über den Wassern." So wird der Anfang der Welt in der Genesis beschrieben, dem ersten Buch der Bibel. Dass dieser Schöpfungsbericht kein wissenschaftliches Traktat, sondern vielmehr ein mehr als 2.500 Jahre altes Glaubenszeugnis ist, hat sich außerhalb der kreationistischen Lehre herumgesprochen. Wissenschaftsfeindlichkeit wird der Kirche bis heute unterstellt. Aber es war ausgerechnet ein katholischer Priester, der die Gegentheorie vom "Urknall" entwickelte: der Belgier Georges Lemaitre (1894-1966). Um sein Vermächtnis dreht sich eine internationale Konferenz, die von Sonntag bis Freitag (16. bis 21. Juni) in der Vatikanischen Sternwarte in Castel Gandolfo stattfindet.
Die wichtigste Erkenntnis dieses Astrophysikers und Theologen ist so simpel wie einleuchtend: Das Weltall hat seinen Ursprung in der Zeit. Wenn Galaxien permanent auseinanderdriften, dann müssen sie früher näher beieinandergelegen haben. Und das legt nahe, dass noch viel früher das gesamte Universum in einem einzigen Punkt konzentriert gewesen sein muss: dem "Ur-Atom", das "im Moment der Entstehung des Universums explodierte". Lemaitre ging davon aus, dass die kurz zuvor entdeckte Rotverschiebung von Sternennebeln nicht als Folge einer Bewegung von Galaxien im All, sondern der Ausdehnung des Weltalls selbst zu deuten sei. Seine Ideen publizierte der junge Professor 1927 in einer wenig bekannten belgischen Fachzeitschrift - zwei Jahre früher als der US-Forscher Edwin Hubble (1889-1953), dem heute allgemein die Erkenntnis von der Ausdehnung des Weltalls zugeschrieben wird. Erst 1931 übersetzte Lemaitre seinen Aufsatz auch ins Englische.
"Hubble-Lemaitre-Gesetz"
Er ließ dabei jedoch die eigentlich entscheidenden Passagen über die Expansion des Universums weg, weil Hubble diese Gedanken nach seiner Auffassung bereits 1929 präziser dargelegt hatte - was später als "Hubble-Konstante" berühmt wurde. Ein eigenes Urheberrecht hat der Priester-Physiker nie eingefordert. Dennoch: 2018 beschloss die Internationale Astronomische Union, das "Hubble-Gesetz" in "Hubble-Lemaitre-Gesetz" umzubenennen. Schon früh wollte der Jesuitenschüler Lemaitre, im wallonischen Charleroi geboren, Priester und Forscher zugleich werden. Doch seine Ambitionen wurden zunächst durch seinen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg unterbrochen. Neben der Theologie am Priesterseminar von Mecheln studierte er dann in Löwen Mathematik und Physik und promovierte 1920.
Seine vielfältigen Begabungen brachten die nächsten Schritte in rascher Folge: 1923 Priesterweihe; 1924 Weiterstudium in Cambridge in Stellar-Astronomie; 1925 Professur in Löwen; 1927 weitere Promotion am Massachusetts Institute for Technology. Pius XII. (1939-1958) nahm Lemaitre Ende 1940 in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften auf. Seinen Glauben an Gott haben seine Erkenntnisse nicht ins Wanken bringen können. Und so war Lemaitres Antwort auf die Frage, wer denn wohl der Auslöser für diesen Ur-Impuls gewesen sei, die des Theologen. Das gefiel und leuchtete auch der Päpstlichen Akademie ein, die seine Theorie 1951 anerkannte. Pius XII. erklärte, der mit dem "Urknall" zeitlich festlegbare Beginn der Welt - nach heutiger Erkenntnis vor rund 13,8 Milliarden Jahren - entspringe einem Schöpfungsakt Gottes.
Göttliche Schöpfung?
Genau diese Interpretation aber machte die "Big Bang"-Theorie für Lemaitres Kritiker so schwer verdaulich: eben viel zu nah an der biblischen Vorstellung von der göttlichen Schöpfung der Welt, zudem mit der unerklärbaren Einmaligkeit ("Singularität") eines "Ur-Atoms". Angeblich soll es dem Belgier erst Jahre später bei einer Reise nach Kalifornien gelungen sein, Albert Einstein (1879-1955) tatsächlich zu überzeugen.
Erst nach Lemaitres Emeritierung in Löwen 1964 kam der letzte Beweis für die Richtigkeit der Urknall-Theorie. Die beiden jungen Astrophysiker Arnold Penzias und Robert Wilson entdeckten in Holmdelb/New Jersey 1965 den Einfall konstanter schwacher Radiowellen auf die Erde. Kosmische Hintergrundstrahlung; ein Rauschen, Echo des einst verlachten "Big Bang". Lemaitre starb im Juni 1966 mit 71 Jahren in Löwen. Ein Asteroid des "Hauptgürtels" zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter ist heute nach ihm benannt, dazu ein Mondkrater und ein Transportgefährt zur Versorgung der Internationalen Raumstation ISS. Er hätte wohl mehr verdient gehabt.