Das Reichskonkordat: Kontroversen um einen Teufelspakt
Der Treueeid katholischer Bischöfe gegenüber dem Staat, die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Vatikan, das Beichtgeheimnis, Staatsleistungen oder die Seelsorge bei der Bundeswehr: Die Beziehungen zwischen dem deutschen Staat und der katholischen Kirche sind rechtlich ziemlich klar geregelt.
Anders als bei Modellen der Trennung wie in den USA und Frankreich oder bei Staatskirchen wie in Großbritannien und Dänemark hat sich in Deutschland ein Modell der Kooperation zwischen Staat und Kirche entwickelt. Das hat eine lange Tradition: Schon während der Weimarer Republik hat der Vatikan Verträge mit den deutschen Ländern ausgehandelt, in Bayern 1924, in Preußen 1929 und in Baden 1932. Den Höhepunkt der "Konkordatsära" bildete das Reichskonkordat, das Hitlers Vizekanzler Franz von Papen und der vatikanische Kardinalstaatssekretär und spätere Papst Pius XII., Eugenio Pacelli, am 20. Juli 1933 unterzeichneten.
Kein anderer Vertrag zwischen Staat und Kirche hat mehr Kontroversen ausgelöst, wie der Historiker Jan Wille unterstreicht. Kaum ein kirchenpolitischer Sachverhalt in diesem Zeitraum sei ohne das Reichskonkordat zu verstehen. Wille hat jetzt mit seinem Buch "Das Reichskonkordat. Ein Staatskirchenvertrag zwischen Diktatur und Demokratie 1933-1957" die erste Gesamtdarstellung der Geschichte des Vertrags vorgelegt.
Weder von den Nazis noch von den Siegermächten gekündigt
Gekündigt wurde das Abkommen weder von den Nazis noch von den alliierten Siegermächten. Immer wieder diente es Regierungen, Parteien, einzelnen Politikern und Kirchenführern als machtstrategisches Druckmittel oder Bezugspunkt, um die eigene Position zu definieren und sich abzugrenzen.
Am bekanntesten wurde die Kontroverse zwischen dem katholischen Historiker Konrad Repgen und dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Scholder Ende der 1970er Jahre: Dabei ging es vor allem um die Frage, ob die katholische Kirche den "Pakt mit dem Teufel" überhaupt hätte eingehen dürfen und ob sie das noch unsichere NS-Regime stabilisiert habe.
Für Wille ist klar, dass das Reichskonkordat für Hitler ein enormer Prestigeerfolg war – viele Zeitgenossen verstanden es als Schulterschluss zwischen Papst und Hitler, wie er betont. Für die Kirche erwies sich der Vertrag in vielen Punkten schnell als leere Versprechung. Das Regime deutete Vereinbarungen um oder brach sie schlicht.
Kontroversen gab es aber bereits kurz nach dem Ende des Dritten Reiches, als unklar blieb, ob das Reichskonkordat weiterhin galt. Kanzler Konrad Adenauer und die CDU profilierten sich als Verfechter des Konkordats und als Verteidiger kirchlicher Rechte. Demgegenüber machten SPD und FDP keinen Hehl daraus, den Vertrag wegen der staatlichen Konzessionen an die Kirche aber auch aufgrund des NS-Zusammenhangs abzulehnen. Für Pius XII. war es undenkbar, "sein" Konkordat aufzugeben – und das, obwohl es in Deutschland durchaus kirchliche Stimmen für eine Abkehr gab.
Auch im internationalen Zusammenhang wurde das Konkordat in dieser Zeit mit neuen Bedeutungen aufgeladen: So diente es als Symbol für die internationale Vertragstreue der westdeutschen Republik, die die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches beanspruchte. Während der deutschen Teilung diente das Abkommen als symbolische Klammer für die fortbestehende deutsche Einheit.
Als juristische Zäsur in der Geschichte des Reichskonkordats erwiesen sich laut Wille die Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern um die Bekenntnisschulen. Konkret ging es um das im September 1954 verabschiedete Schulgesetz in Niedersachsen, das die Gemeinschaftsschule zur Regelschule erklärte. Die katholische Kirche bestand jedoch unter Verweis auf das Konkordat darauf, dass das Bundesland eine katholische Schulerziehung garantieren müsse.
Salomonisches Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht fällte am 26. März 1957 ein salomonisches Urteil: Das Reichskonkordat sei legal abgeschlossen und rechtlich bindend. Allerdings könne die Bundesregierung die Länder nicht zwingen, das Konkordat in dieser Frage umzusetzen, da das Grundgesetz Schulfragen allein den Ländern übertragen habe.
Nach diesem Urteil verflüchtigte sich der Einfluss des Reichskonkordats zusehends. Gesellschaftliche und innerkirchliche Veränderungen in den 60er Jahren relativierten die Bedeutung. Nach der Wiedervereinigung schloss der Vatikan neue Verträge mit mehreren Bundesländern, die zur Neugründung des Erzbistums Hamburg und der ostdeutschen Diözesen führten. Das Reichskonkordat spielte dabei nur noch eine nachgeordnete Rolle.
Heute könne das Konkordat vor allem als Symbol für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Vatikan und Bundesregierung gelten, schreibt Wille. Er will nicht ausschließen, dass das Vertragswerk irgendwann auf den Prüfstand kommt. Die Verhandlungen könnten jedoch verzwickt werden, da neben dem Bund und den deutschen Bischöfen ganz sicher auch der Vatikan und möglicherweise auch die Länder mit am Tisch sitzen müssten.
Buch: "Das Reichskonkordat"
Der Historiker Jan H. Wille hat das Buch "Das Reichskonkordat. Ein Staatskirchenvertrag zwischen Diktatur und Demokratie 1933-1957" in diesem Jahr in Paderborn veröffentlicht. Es umfasst 495 Seiten und kostet 99 Euro.