Was der Theologe Johannes Hartl im Knigge-Rat bewirken will
Was weiß ein Theologe von Anstand und Benimm? Einiges, wie Johannes Hartl zeigt. Der katholische Gebetshaus-Gründer aus Augsburg ist unter anderem für seine christlichen Festivals mit dem Namen "Mehr" bekannt, die regelmäßig mehr als 10.000 Teilnehmer anziehen. Seit Kurzem sitzt der 45-Jährige auch im Deutschen Knigge-Rat. Was er da macht, erzählt Hartl im Interview. Es geht um Ratschläge für digitale Kommunikation und für die Kirche – und um Blümchenhemden.
Frage: Herr Hartl, wann waren Sie zum letzten Mal unhöflich?
Hartl: Gerade eben – weil ich vier Minuten zu spät zum Interview gekommen bin.
Frage: Wie geht man kniggegemäß damit um?
Hartl: Mit einer Entschuldigung, vielleicht mit einer kurzen Begründung, aber vor allem mit dem festen Vorsatz, dass es das nächste Mal besser wird.
Frage: Sind Sie wegen dieses Wissens in den Knigge-Rat aufgenommen worden?
Hartl: Nein. In dem Gremium sitzen unterschiedliche Experten, etwa für Gastronomie und Staatsprotokoll. Ich bin für Grundsatzfragen berufen worden, hauptsächlich wegen meines 2021 erschienenen Buches "Eden Culture". Denn darin geht es um die Kultur des Miteinanders, aufbauend auf dem Dreiklang von Sinn, Verbundenheit und Schönheit. Das sind Parallelen zu Adolph Knigges Hauptwerk "Über den Umgang mit Menschen".
Frage: Inwiefern?
Hartl: In Knigges Buch geht es nicht nur um äußere Etikette, sondern um eine schöne Kultur der Verbundenheit. Knigge hatte mit Sinn vielleicht nicht so viel am Hut, mit Verbundenheit und Schönheit sehr wohl. Meine "Eden Culture"-Idee schließt an das an, was Knigge schon vor über 200 Jahren geschrieben hat: Schönheit ist für Menschen elementar, weil sie uns daran erinnert, dass es im Leben um mehr geht als um das Erreichen von Zielen. Verbundenheit ist für uns ebenfalls wesentlich, weil wir nur so emotional gesund und als Gesellschaft stabil leben können.
„In Knigges Buch geht es nicht nur um äußere Etikette, sondern um eine schöne Kultur der Verbundenheit.“
Frage: Wenn diese Idee schon so alt ist – wofür braucht's nun Sie?
Hartl: Ich möchte dieses Wissen populär machen, indem ich es für eine neue Generation übersetze. Indem ich es also zum Beispiel in die sozialen Medien wie Tiktok und Instagram trage. Denn Weisheiten aus dem 18. Jahrhundert mögen noch so sinnvoll sein – sie nutzen nichts, wenn sie in der Gegenwart nicht wahrgenommen oder als altherrenhaft abgelehnt werden.
Frage: Sind Sie insofern für den Knigge-Rat ein Mittel zum Zweck? Im Unterschied zu der Einrichtung haben Sie im Netz Hunderttausende Anhänger und sind häufig in den Medien.
Hartl: Damit hätte ich keinen Schmerz. Mir geht's darum, Werte bekannt zu machen.
Frage: Auch der Knigge-Rat nennt "die Renaissance von Werten" als Anliegen. Was sind das für Werte? Und heißt das im Umkehrschluss, wir leben in einer wertelosen Zeit?
Hartl: Wir beschäftigen uns im Rat mit der Frage, welchen Beitrag wir dazu leisten können, dass Menschen in der heutigen, digitalen Zeit bestmöglich miteinander umgehen. Das wollen wir runterbuchstabieren etwa auf das Büroleben oder den E-Mail-Verkehr. Und nein, ich denke nicht, dass wir in einer wertelosen Kultur leben. Aber es kann nicht schaden, dass Werte des Miteinanders von Instanzen wie dem Knigge-Rat immer wieder hochgehalten werden.
Frage: Von welchen Werten sprechen wir also?
Hartl: Zum Beispiel Höflichkeit, Respekt, Demut, Dienstbereitschaft, Herzlichkeit, Zuverlässigkeit, Gastfreundschaft.
„Beim Erstkontakt halte ich die klassische "Sehr geehrte"-Form nach wie vor für angebracht.“
Frage: Das klingt zunächst klar definierbar. Aber nehmen wir Höflichkeit im Mail-Verkehr. Die eine findet "Hallo XY" als Anrede in Ordnung, der andere besteht auf "Sehr geehrte Damen und Herren". Inwieweit lassen sich da allgemeingültige Aussagen treffen?
Hartl: Schon Knigge selbst war sehr zurückhaltend mit konkreten Praxisanweisungen. Es ging ihm und geht uns heute vielmehr um die innere Haltung. Dass man einander höflich begegnen sollte, darauf dürften sich die meisten Menschen einigen. Auf dieser Basis wollen wir vermitteln, dass es in bestimmten Bereichen gewisse Konventionen gibt.
Frage: Was heißt das fürs Mailen?
Hartl: Dort setzt sich zunehmend ein "Hallo" plus Vor- und Nachname durch, was ich als distanzlos empfinde. Beim Erstkontakt halte ich die klassische "Sehr geehrte"-Form nach wie vor für angebracht. Da bin ich Anhänger der alten Schule. Zugleich bin ich und ist der Knigge-Rat offen für Wandel: Schreiben Sie vor der Verabschiedung freundlichen Small Talk in Ihre Mail, so was wie "Genießen Sie die angekündigten Sonnentage". Das ist neu und schwer für uns Deutsche, wir sind sehr sachorientiert, aber international ist das gang und gäbe – was das Miteinander schöner macht.
Frage: Nun sind Sie Theologe. Was kann das Miteinander im Glauben schöner machen?
Hartl: Eine größere Kultur der Herzlichkeit und des Zugehens auf Leute würde uns als katholischer Kirche in Deutschland gut zu Gesicht stehen. Auch da ließe sich vom Ausland lernen: Anderswo ist es üblich, dass man zum Gottesdienst an der Tür begrüßt wird, oder dass man Neuankömmlinge informiert, wie eine Messe abläuft. Das wäre höflich und damit auch bibelkonform, heißt es doch etwa im Philipperbrief im Neuen Testament "in Demut achte einer den andern höher als sich selbst". Diese Demut, die kann ich ja nicht am Herzen ablesen, die muss sich schon durch Taten nach außen zeigen.
Frage: Apropos außen: Was raten Sie in Sachen Erscheinungsbild?
Hartl: Man sollte stets bedenken, dass Kleidung und Auftreten immer etwas aussagen, ob man diese Mittel bewusst einsetzt oder nicht. Ich glaube, Botschaften an Dritte kommen dann am besten an, wenn man möglichst authentisch und zugleich dem Rahmen angemessen erscheint.
Frage: Zum Schluss: Wo sind eigentlich Ihre bunten Blümchenhemden geblieben, in denen Sie lange regelmäßig aufgetreten, die aber seit diesem Jahr nicht mehr an Ihnen zu sehen sind?
Hartl: Die Blümchenoptik habe ich drei Jahre lang durchgezogen, jetzt ist's erst mal gut damit, sehr zum Wohlgefallen meiner Frau übrigens. Woran ich festhalte: Die Herrenmode in Deutschland kann mehr Farbe gebrauchen. Das propagiere ich nun eben in Uni statt in wilden Mustern. Die Botschaft bleibt dieselbe.