In der Pfarreiplanung werden Einrichtungen oft mitgedacht

Hospiz und Krankenhaus: Wie kirchlich Kirchorte sind

Veröffentlicht am 03.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 
#KircheVorOrt

Bonn ‐ Die Gläubigen in Deutschland werden weniger, Pfarreien werden zusammengelegt und Kirchen geschlossen. Kann da etwa ein kirchliches Krankenhaus einspringen? Ein Blick in die Praxis offenbart Chancen und Leerstellen.

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"Krank werden sie alle mal", sagt Adrian Kunert. Der Jesuitenpater arbeitet als Krankenhausseelsorger am St. Gertrauden-Krankenhaus in Berlin. Da deshalb ein Querschnitt der Gesellschaft im Krankenhaus zu finden sei, sei das auch ein passender Ort für den Glauben. Damit berührt er eine Frage, die angesichts massenweiser Pfarreifusionen die Kirche beschäftigt: Wie kirchlich sind Krankenhäuser, Kindergärten und Co.? Und können sie eine geschlossene Kirche ersetzen?

Die Zahlen sprechen für sich: Die Zahl der Kirchenmitglieder und Priester sinkt – allein 2022 traten mehr als eine halbe Million Menschen aus der Kirche aus. Das hat schon jetzt Folgen: Pfarreien werden zusammengelegt, Kirchen geschlossen. Während die Zahl der Kirchen sinkt, treten die sogenannten Kirchorte in den Fokus: katholische Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime, Familienzentren. In manchen davon gibt es Kapellen, in anderen nicht. In den üblichen Aufstellungen der Pfarreien tauchen diese Kirchorte als Teil der Pfarreiinfrastruktur auf. Im Bistum Mainz etwa werden Einrichtungen und Gruppierungen als Kirchort bezeichnet, "die ihren Teil zur Verwirklichung des kirchlichen Auftrags einbringen. Ihr Wirken ist nicht nur vorübergehend und wird öffentlich wahrgenommen und angenommen." Dazu gehören neben Einrichtungen auch Kategorialseelsorge, etwa die Hochschulseelsorge, Verbände, aber auch die Arbeit im Religionsunterricht an Schulen. Das Feld ist also sehr abwechslungsreich.

Ein Hand hält die andere
Bild: ©stock.adobe.com/sudok1

Im Krankenhaus geht es auch um Glaubensthemen.

"Hier kommt die ganze Spanne des Lebens zusammen, von der Geburt bis zum Tod", sagt Kunert. Dadurch würden auch Glaubensthemen ganz selbstverständlich auf den Tisch kommen, auch zu denen, die nicht in den Gottesdienst kommen. Das Besondere des katholischen Krankenhauses: Die Seelsorge sei kein Solitär, sondern werde auf den Stationen mitgedacht. "Die Stationen sagen mir Bescheid, wenn ein Patient ein Seelsorgegespräch gebrauchen könnte." Es gibt spezielle Veranstaltungen, in denen neue Mitarbeitende regelmäßig auf das Angebot aufmerksam gemacht werden und wissen, an wenn sie sich in einem solchen Fall wenden können. "Dazu haben wir hier im Vergleich viele Seelsorger als ökumenisches Team."

Jeden Tag wird Gottesdienst gefeiert, jeden Tag außer Montag als katholische Messe, einmal in der Woche ist dieser ökumenisch und einmal im Monat wird ein evangelisches Abendmahl gefeiert. Die Gottesdienste werden auf die Stationen übertragen. Die Besucher sind aber beinahe ausschließlich Nicht-Patienten, zu 95 Prozent kommen sie von außen. "Viele Leute aus der Nachbarschaft kommen wochentags zu uns, gehen aber dann am Sonntag in ihre Pfarrkirche", so Kunert. Das liegt nicht zuletzt an der Infrastruktur: Das Krankenhaus ist gut erreichbar. 

Mehr als Kapelle und Seelsorger

Doch das Krankenhaus als Kirchort mache mehr aus als die Anwesenheit einer Kapelle und Seelsorgern, sagt Kunert. "Wenn sich zwei Mitarbeitende hier auf dem Gang treffen, grüßen sie sich noch. Und wenn der Chefarzt abends in die gleiche Richtung wie ein Patient muss, nimmt er ihn auch mal im Auto mit", beschreibt er die Stimmung im Haus. Dazu kämen Feste zum Weihefest der Kapelle, dem Herz-Jesu-Fest, oder Gedenkfeiern für die im Haus Verstorbenen jedes Jahr.

Dass es am Ende um die Tat im Alltag geht, sieht auch Ulrich Süttner so. "Wir versuchen, die christliche Nächstenliebe in der praktischen Sozialarbeit umzusetzen." Süttner ist der Leiter des "Domus Misericordiae" (Haus der Barmherzigkeit) der Caritas in Nürnberg, das sich um Wohnungslose und wohnungslose Strafentlassene kümmert. Dazu gehören Beratung, Essen oder ein Schlafplatz. Aber auch Seelsorge: Zwar gibt es dort keine Kapelle, aber ein Geistlicher feiert ehrenamtlich Andachten und Gottesdienste mit den Männern. Er widmet sich aber auch Einzelnen, die Zuspruch benötigen. So eine Zuwendung mache einen Unterschied zu einer staatlichen Einrichtung, sagt Süttner. Denn Seelsorge sei etwas anderes als Sozialpädagogik. "Da stehen nicht die Bedürfnisse des Sozialsystems im Mittelpunkt, sondern jene des Menschen."

Das "Domus Misericordiae" ist eng an die Pfarrgemeinde der Nürnberger Frauenkirche angebunden und bietet abends etwa die "Domusstube" an: Wer kein Geld hat und/oder einsam ist, kann dort kostenlos zu Abend essen und auf andere Menschen treffen. Viel mehr an Engagement über den eigenen Wirkkreis hinaus sei aber nicht möglich, sagt Süttner. Schließlich kümmere man sich schon um 250 Wohnungslose.

Bild: ©picture alliance/dpa | Henning Kaiser

"Wir versuchen, die christliche Nächstenliebe in der praktischen Sozialarbeit umzusetzen", sagt Süttner.

Deutlich ruhiger ist es bei Martin Karras. Er ist Seelsorger im Hospiz St. Marianus in Bardowick bei Lüneburg. Das Haus steht an der Stelle der Marianuskirche, die dort von 1971 bis Ende der 1990er Jahre stand. Die Kapelle des Hauses beinhaltet noch einige Stücke aus dem ehemaligen Gotteshaus. Dieses Erbe prägt das Hospiz, sagt Karras: "Dieses Hospiz hatte immer einen katholischen Touch und ist fest an die Gemeinde angebunden." Das bedeutet unter anderem, dass Menschen aus dem Viertel lange Zeit zur Werktagsmesse in die Kapelle kamen, nicht zuletzt, weil sie sie an die alte Kirche erinnerte. Doch diese Menschen sterben aus, der Abriss der alten Kirche ist mehr als 20 Jahre her. Für Karras ist es schwierig, den Standort in die Großpfarrei einzubringen, zum Beispiel bei der Zeitplanung der Gottesdienste. "Die älteren Leute können am Besten morgens, da haben aber die Berufstätigen keine Zeit. Für die würde es besser abends passen, das ist aber für die älteren nicht so gut." Hier ist also noch einiges an Arbeit zu tun, denn aus dem Haus kommen nur einige wenige Bewohner zu Karras' Gottesdiensten, denn nicht zuletzt liegt die Region in der Diaspora. Zudem passten für sie andere Formen der Seelsorge besser, sagt er: "Wir als Seelsorgeteam sind zu festen Terminen im Haus und kümmern uns um die Leute. Das kann ein Gespräch sein, aber auch gemeinsames Schweigen oder gemeinsam Singen. Bei Menschen, denen es nicht mehr so gut geht, bedeutet das auch manchmal, dass ich mich nur an ihr Bett setze und ihre Hand halte." In der Einrichtung sei er seelsorgerisch gesehen in einer Luxusposition. "Ich kann mir die Zeit nehmen, die ich brauche." Aus diesen Gesprächen entwickeln sich manchmal auch seelsorgerische Wünsche, wie etwa das Empfangen der Sakramente. "Wir machen da keine Unterschiede. Ich habe hier auch schon Nicht-Katholiken ausgesegnet. Wer einen Wunsch hat, dem werde ich ihn erfüllen, auch wenn ich dafür Kirchenrecht biegen muss."

Daneben bemüht er sich, den Kontakt nach außen zu wahren, auch wenn er wenig Berührungsängste wahrnimmt. "Wir lassen die Leichenwagen absichtlich direkt vor dem Haus halten, damit klar wird, dass der Tod zum Alltag dazu gehört." Damit die Kapelle nicht nur der architektonische Mittelpunkt des Viertel und des Hospizes bleibt, braucht es Kreativität, sagt er. "Da müssen andere Gottesdienstformen her, nicht immer nur die Messe. Wir müssen uns an den spirituellen Bedürfnissen der Menschen im Haus und im Viertel orientieren."

Besonderer Stellenwert im Alltag

Dass sich diese Kreativität lohnt, zeigt der besondere Stellenwert der Kirchorte im kirchlichen Alltag. "Im Gegensatz zu den klassischen Kirchen, die vor allem konfessionsgebundene Menschen aus der Mittelschicht ansprechen, kommen in einem Altenheim oder Kindergarten alle zusammen: Gläubige, Konfessionslose und die dazwischen", sagt der Grazer Pastoraltheologe Bernd Hillebrand. Es gebe also in Einrichtungen wie diesen eine deutlich größere Bandbreite an Menschen. "Das sind Orte, in denen es explizit um das Leben geht und wo der Glaube eine Option sein kann." Besonders in Großstädten, in denen es kaum noch religiöse Sozialisation gebe, seien Kirchorte wichtig, damit "das Evangelium Platz und Raum bekommt".

Wie auch die Menschen vor Ort erkennt Hillebrand einige Merkmale, die kirchliche Einrichtungen von jenen ohne Bekenntnis ergänzen. Dazu zählt er unter anderem die bedingungslose Anerkennung des Menschen. Das bedeutet, dass Menschen in kirchlichen Einrichtungen nicht nur als "Fälle" angesehen würden, sondern darüber hinaus als Mensch an sich. Zudem würde weniger in Kategorien des "Eine Hand wäscht die andere" gedacht, für Unterstützung werde also nicht immer direkt Dank erwartet.

Bild: ©picture alliance/M.i.S./Bernd Feil

Die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland geht zurück.

Dazu kommt natürlich der christliche Jahreskreis mit den dazugehörigen Festen, Religion wird mehr mitgedacht als in anderen Häusern. "Christsein wird hier über einen Begegnungs- und Beziehungsraum erfahrbar, ohne missionarisch zu sein", so Hillebrand. Der Glaube bekomme ein menschliches Gesicht.

Er glaubt jedoch nicht, dass kategoriale Kirchorte ein Kirchengebäude vor Ort völlig ersetzen können. "Das kann nur teilweise funktionieren, denn die Einrichtungen haben eine spezifische Adressatengruppe und einen spezifischen Auftrag", sagt er. Da könne nicht auch gleichzeitig immer die Allgemeinheit mitgedacht werden.

"Das größte Problem ist, dass bei der Schließung einer Kirche Versammlungsorte verschwinden, die ohne besondere Hürden zugänglich sind", so Hillebrand. Bei spezifisch kategorialen Kirchorten sei der Ort bereits geprägt, daher sei er gewissermaßen nicht mehr offen für alle. "Und da, wo sich die Menschen nicht mehr treffen, kommt der Glaube auch nicht mehr zur Sprache." Er plädiert dafür, Orte für eine Pluralität offen zu halten, zu denen Kirchenmitglieder und -Nichtmitglieder Zugang haben und aufeinandertreffen können.

Von Christoph Paul Hartmann