Viel Freiheit und Platz zum Experimentieren – neue Modelle für Seelsorge

Citykirchen sind mehr als Andachten im Eiscafé und Tangonächte

Veröffentlicht am 20.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 
#KircheVorOrt

Koblenz/Wuppertal ‐ Die Citykirchen in Koblenz und in Wuppertal zeigen auf unterschiedliche Weise, wie es gelingen kann, Menschen zu erreichen und ihnen die christliche Spiritualität näher zu bringen. Bei beiden steht eines im Mittelpunkt: Hingehen, statt abwarten. Ein Besuch vor Ort.

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Christiane Schall wartet vor der Citykirche in Koblenz. Seit zehn Jahren arbeitet die ausgebildete Pastoralreferentin hier an der ehemaligen Jesuitenkirche und ist gemeinsam mit einer Kollegin zuständig für die inhaltliche Ausrichtung, die Programmgestaltung und die liturgischen Angebote. "Wir möchten diesen Kirchenraum offenhalten, der die Menschen einlädt, bei uns zu verweilen und mit christlicher Spiritualität vertraut zu werden", erklärt die Theologin.

Während das Glockenspiel am Jesuitenplatz gerade eine Melodie aus dem Gotteslob ertönen lässt, geht Schall in das Gebäude neben der Kirche. Hier im sogenannten Vikariehaus waren bis vor einem Jahr die Arnsteiner Patres zu Hause. Aus Altersgründen mussten die Ordensmänner aber den Konvent aufgeben und wegziehen und damit auch ihre seelsorglichen Aufgaben abgeben. In den früheren Klosterräumen sind künftig die Büro- und Besprechungsräume des Teams der Citykirche untergebracht. Gemeinsam mit der Theologin und Psychologin Monika Kilian, die seit der Eröffnung der Citykirche im Jahr 2007 zum Leitungsteam gehört, koordiniert und plant Schall die vielfältigen Formate der Citykirche. 

Dazu gehören Theater- und Leseabende, Kunstausstellungen oder Konzerte. "Manche Veranstaltungen werden vom Kulturamt der Stadt an uns weitergegeben", berichtet die Leiterin der Citykirche. Vor einigen Jahren fand hier sogar im Rahmen der Koblenzer "Nacht der offenen Kirchen" eine Tangonacht statt. "Zu so einem Event kommen dann schon mal mehrere hundert Leute hier herein", freut sich Kilian. Die beiden kirchlichen Angestellten genießen viel Freiheit in der Auswahl der Formate. "Wir sollen experimentieren und ausprobieren, denn so lautet unser Auftrag", so die Theologinnen. Zudem gibt es in der Citykirche Koblenz regelmäßig spirituelle Angebote wie Andachten, Taizé-Gebete, musikalische Gebetszeiten, Bibelgespräche und Meditationen und auch neue Formen von Segensfeiern, die in Kooperation mit anderen Trägern ökumenisch verantwortet werden. "Wir möchten all diese Formate bewusst so gestalten, dass Menschen sich darin mit ihren Sorgen, Nöten und Lebensthemen wiederfinden können, unabhängig davon, wie vertraut ihnen katholische Kirche schon oder noch ist", ergänzt Pastoralreferentin Schall.

Weil die Citykirche keine Pfarrkirche ist, finden darin keine regelmäßigen Sonntagsgottesdienste statt und keine Gemeindepastoral mit Erstkommunionvorbereitung, Taufen oder Firmungen. Ein Schwerpunkt liegt stattdessen auf der Gesprächsseelsorge. Priester des Pastoralen Raumes Koblenz beteiligen sich in der Beichtseelsorge und gewährleisten gemeinsam mit anderen Haupt- und Ehrenamtlichen auf diese Weise ein verlässliches Präsenzangebot. Kirche ist an diesem Ort persönlich "antreffbar" und "ansprechbar", erklärt Schall. Es sei ein Markenzeichen der Citykirche, dass sie als ein gastfreundlicher Ort wahrgenommen wird.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Ein Blick in die Citykirche in Koblenz. Eine Ehrenamtliche begleitet Menschen durch den Kirchenraum.

Dafür sorgen vor allem Ehrenamtliche, die von Monika Kilian ausgebildet und begleitet werden. Durch ihren engagierten Dienst in der "Offenen Tür" etwa, geben sie "Kirche ein Gesicht" für die vielen Passanten und Touristen, die eher zufällig in die Citykirche kommen und dort im Eingangsbereich jemanden vorfinden, der für sie da ist. Rita Schmid ist eine der Ehrenamtlichen, die sich Zeit für andere nimmt. Gerade begleitet die Rentnerin ein Ehepaar durch die Kirche, erklärt die Kunst, hört zu. Seit sieben Jahren fährt die 68-Jährige zweimal die Woche von ihrem Wohnort außerhalb der Stadt Koblenz hierher. Sie mache das gerne, sagt Schmid, es erfülle sie. Manchmal betet sie für Menschen, die ihr ihre Sorgen und Nöte anvertrauen und zündet dann eine Kerze bei der Pietá an, berichtet sie.

Nun zeigt Monika Kilian die Friedensglocke, die vorne im Altarraum aufgestellt ist. Die Dauerleihgabe der Stadt Koblenz wurde aus alten Munitionsresten vom Zweiten Weltkrieg gegossen. Monika Kilian schlägt die Glocke an. Der Ton hallt lange im Raum nach. Auch die Citykirche wurde im Weltkrieg damals zerstört und danach wieder aufgabaut. Dass die Kirche innen modern gestaltet ist und das Eingangsportal außen noch im alten Stil der Renaissance, überrasche viele, meint die Theologin. Sie zeigt im Kirchenschiff Altar und Ambo. Beide sind aus rotem Holz gefertigt und wie in einer Ellipse angeordnet. Runderum stehen im Halbkreis Stühle, die das gemeinschaftliche Feiern fördern sollen. Über dem Hochaltar hängt eine Dreifaltigkeitsdarstellung einer Koblenzer Künstlerin. Dort verweilt gerade eine Gruppe Kirchenbesucher, einer fragt, ob die Kirche evangelisch ist. Nebenan im Kirchenschiff sind mehrere Räume, mit Glas verbaut. Sie sind für die Gesprächsseelsorge gedacht. "Reden hilft", steht auf einem Plakat an einer Tür dort. 

Die Citykirche Koblenz ist eine von rund 120 Citykirchenprojekten in Deutschland, die sich in einem ökumenischen Netzwerk zusammengeschlossen haben. Die vielfältigen Einrichtungen und der Austausch mit den Kollegen sei bereichernd und inspirierend, betont Schall. An der Kampagne "Haltepunkt Leben" beteiligt sich auch die Koblenzer Citykirche. Damit soll die eigene Verbindung zu Gott und der Welt gestärkt werden, erklärt die Pastoralreferentin.

Bild: ©Christoph Schönbach

Andacht im Advent im Eiscafé in Wuppertal. Cityseelsorger Werner Kleine probiert vielfältige Seelsorgemodelle aus.

Und das geschieht in anderen Citykirchen wiederum auf andere Weise. So versucht Werner Kleine von der Citykirche Wuppertal die Menschen außerhalb des Kirchenraumes in ihren jeweiligen Lebenssituationen zu erreichen. Seinen Hauptjob sieht der Theologe darin, dass "er zu den Menschen hingeht und draußen unterwegs ist". Daher ist der Pastoralreferent häufig bei Aktionen auf der Straße anzutreffen. Mit einer halben Stelle arbeitet er als Referent für Cityseelsorge und leitet mit der anderen Hälfte der Stelle die FIDES Glaubensinformation Wuppertal. In dieser Funktion begleitet er Menschen, die in die Kirche eintreten wollen oder sich taufen lassen möchten. In den letzten 20 Jahren, in denen er diese Aufgabe übernommen hat, seien das schon bis zu 300 Menschen gewesen, die den Weg in die Kirche gefunden haben, berichtet der Theologe. Es geschehe meist nebenher, wenn ihn Menschen beim Einkaufen oder im Wartezimmer eher zufällig ansprechen, sagt Pastoralreferent Kleine. "Die kommen dafür nicht extra ins Pfarrbüro, tragen aber dennoch etwas auf dem Herzen, das sie dann bei mir loswerden können", so der Seelsorger. Und wenn dann jemand noch ein Gespräch möchte oder sogar überlegt, wieder in die Kirche einzutreten, dann könne er gleich einen Gesprächstermin anbieten, freut sich der 58-Jährige. 

Die Citykirche hat zwei Kirchen für Aktionen und Projeke zur Verfügung. Das sind Sankt Laurentius und Sankt Antonius in Wuppertal. Neben spirituellen Angeboten wie zum Beispiel mystagogischen Kirchenführungen oder Gebetsvigilien finden dort regelmäßig Gottesdienste statt, die Priester aus der Pfarrei mit der Gemeinde feiern. Im Team der Cityseelsorge arbeiten neben Werner Kleine einige Ehrenamtlichen sowie eine Assistentin und eine Pfarramtssekretärin mit. Für Kleine ist sein kirchlicher Dienst mehr eine Vertrauensarbeit für die Kirche, gerade in einer Zeit, in der die Institution viel davon eingebüßt habe. Er sehe es als seinen Auftrag an, Gottes Wort überall zu verkünden. Im besten Sinn des Wortes ist das für ihn "Mission", also Sendung. "Ohne übergriffig zu werden", ergänzt der 58-jährige Seelsorger. 

Bild: ©Christoph Schönbach

Die Citykirche Wuppertal auf der Straße. Pastoralreferent Werner Kleine verteilt das Aschenkreuz an Passanten.

Ab und zu komme es vor, dass der bei verschiedenen kirchlichen Aktionen auf offener Straße beschimpft werde. Meist gehe es dabei um Themen wie die Missbrauchskrise der Kirche oder Strukturdebatten. Diese negativen Erfahrungen entmutigen Kleine aber nicht. Denn bei Projekten mit Menschen, die von anderen vergessen werden, erfahre er genau das Gegenteil. Etwa in dem "Judas Thaddäus-Projekt" mit wohnungslosen Menschen, das einmal im Monat in einer sozialen Einrichtung der Stadt stattfindet. Dort erhalten Bedürftige ein warmes Essen und "wir beten dann noch miteinander", berichtet der Theologe. Er ist zufrieden, wenn es gelingt, dass Menschen wieder eine eigene Wohnung finden, ein besseres Zelt oder sogar einen Arbeitsplatz. Es sei für seine Arbeit dort hilfreich, dass er nach so vielen Jahren in der Cityseelsorge mit den entsprechenden Einrichtungen und jeweiligen Ansprechpartner sehr gut vernetzt ist.

Kleine ist von der Idee der "Geh-Hin-Kirche" so überzeugt, dass er am liebsten Aktionen auf der Straße vorbereitet. Den Menschen wolle er dadurch vermitteln, dass Gott nahe ist, betont der Seelsorger. Und zwar auf freundliche Art und Weise. So zum Beispiel bei der Fastenzeit-Aktion "Aschenkreuz to go". Dort feiert er vorab mit Ehrenamtlichen zusammen eine kleine Andacht auf dem Marktplatz und geht dann mit einer kleinen Büchse mit Asche durch die Stadt, um den Menschen ein Aschenkreuz auf die Stirn zu zeichnen. Manche lehnen das zwar dankend ab, erzählt der Pastoralreferent, doch die positiven Reaktionen überwiegen.

Cityseelsorger Werner Kleine findet, wenn die Menschen bei kirchlichen Angeboten erkennen, dass nicht nur geredet, sondern wirklich gehandelt wird, kommen sie auch. Diese Idee steckt ebenfalls hinter hinter der öffentlichen Sprechstunde der Citykirche Wuppertal in einem Caféhaus. Einmal im Monat, meist mittwochs, setzt sich der Seelsorger Kleine selbst oder jemand anderes aus dem Team in das Café Engel in der Wuppertaler Innenstadt. Auf einen Tisch stellt er das Schild "ansprechBar" und dann sind wir als Kirche für die Menschen da, erklärt Kleine. Niemand müsse sich extra dafür anmelden. Wenn sich jemand dann an den reservierten Tisch dazu setzt, sei zwischen Smalltalk, der Vermittlung eines Praktikumsplatzes oder ein intensives Gespräch über das Leben alles möglich, erzählt der Pastoralreferent. Immer wieder werde ihm dabei deutlich, wie wichtig seine Aufgabe bei der katholischen Citykirche Wuppertal ist. Eine Kirche, die wartet, bis Menschen zu uns her kommen, hat es in diesen Zeiten schwer, meint der Seelsorger. Er setze stattdessen auf eine Kirche, die auf die Menschen zugeht, wirklich hilft und so als kompetent wahrgenommen wird. Dazu gehören für ihn vor allem Verlässlichkeit und Vertrauen, so der Cityseelsorger. 

Von Madeleine Spendier