Präsident von Missio Aachen und Sternsingern geht in zweite Amtszeit

Bingener: Diakonat der Frau ist ein wichtiger Schritt

Veröffentlicht am 29.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Aachen ‐ Menschen seien zu lange mit dem Argument vertröstet worden, die Weltkirche müsse bei Reformen nachkommen können, sagt Pfarrer Dirk Bingener im katholisch.de-Interview. Zum Antritt seiner zweiten Amtszeit als Präsident von Missio Aachen und den Sternsingern spricht er auch über das Thema Mission.

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Seit 2019 ist Pfarrer Dirk Bingener Präsident von Missio Aachen und dem Kindermissionswerk "Die Sternsinger". Nach fünf Jahren geht er nun in seine zweite Amtszeit. Im katholisch.de-Interview spricht er darüber, wie die Hilfswerke mit zurückgehenden Spenden und Missbrauch umgehen wollen und wie er auf die Weltsynode im Herbst blickt. Außerdem spricht Bingener darüber, was Mission für ihn bedeutet. 

Frage: Pfarrer Bingener, die Spendenbereitschaft der Menschen in Deutschland nimmt ab, die Kirchensteuereinnahmen gehen zurück und die Bundesregierung will die Entwicklungshilfe kürzen. Sind das nicht denkbar schlechte Nachrichten, um die zweite Amtszeit als Präsident von Missio Aachen und den Sternsingern anzutreten?

Bingener: Das empfinde ich nicht so. Das sind Herausforderungen, die man annehmen muss, und gerade im Hinblick auf das Thema Spenden dürfen wir sehr dankbar sein, dass die Menschen in Deutschland überhaupt so viel geben. Wenn Sie in den Jahresbericht Weltkirche schauen: Über 600 Millionen Euro, die der Kirche in Deutschland zur Verfügung stehen, um Hilfsprojekte auf der ganzen Welt zu unterstützen. Das ist enorm viel Geld, mit dem wir sehr viel Gutes tun, indem wir uns beispielsweise um Menschen, die vor Krieg flüchten kümmern, für Gesundheit und Bildung sorgen. Gerade da, wo im globalen Süden staatliche Strukturen nicht mehr hinreichen, ist die Kirche da.

Frage: Nichtsdestotrotz werden die bisherigen Spendenquellen über kurz oder lang nicht mehr ausreichen, um Ihre jetzigen Aufgaben zu erfüllen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Bingener: Wir unterstützen dort, wo es am allernötigsten ist. Das bedeutet auch, dass Diözesen in der Weltkirche, die sich selbst helfen können – und das sind eine ganze Reihe –, keine Unterstützung mehr von uns bekommen. Auch wenn Kollekten weniger werden, haben wir Aktionen und Kampagnen, die sich über den Kirchenbesuch hinaus an Menschen wenden, nicht zuletzt auch ganz direkt online. Die Sternsingeraktion hat sich nach Corona wieder gut erholt. Hier tragen vor Ort immer mehr Ehrenamtliche die Aktion. Die gilt es bestmöglich zu unterstützen.

Porträt von Winfried Pilz
Bild: ©Stefan Rueben/Kindermissionswerk

Winfried Pilz war von 2000 bis 2010 Präsident des Kindermissionswerks "Die Sternsinger". Gegen den inzwischen verstorbenen Priester gibt es Missbrauchsvorwürfe. Das Kindermissionswerk hat dazu eine eigene Untersuchung veröffentlicht.

Frage: Ein weiteres Thema, das sie die kommenden fünf Jahre begleiten wird, ist das Thema Missbrauch. Die Sternsinger haben zu Winfried Pilz bereits einen Untersuchungsbericht vorgelegt, bei Missio wird die Zusammenarbeit mit Pfarrer Leonhard Meurer derzeit untersucht. Inwiefern sind solche Einzelstudien die richtige Art und Weise, um mögliche Missbrauchsfälle aufzuarbeiten? Bräuchte es nicht einen größeren Aufschlag?

Bingener: Die Situation von Hilfswerken ist ja etwas anders als die von Bistümern und Orden, weil wir in der Regel nicht die unmittelbare Personalverantwortung für Kleriker hatten. Deswegen habe ich 2021 alle deutschen Bistümer und die Ordensobernkonferenz gebeten, uns zu melden, wenn in ihren Aufarbeitungsgutachten Verbindungen zu Missio oder dem Kindermissionswerk deutlich werden. Hier wird dann gemeinsam geschaut, was konkret zu tun ist. Im Falle der Untersuchung zu Pfarrer Pilz arbeiten wir gerade an der Umsetzung der Empfehlungen. Denn die Aufarbeitung hört mit einem Bericht ja nicht auf. Verbesserungen müssen angestoßen und umgesetzt werden.

Frage: Nicht überall wird das Thema Missbrauch so ernst genommen wie in Deutschland, und in machen Weltregionen vielleicht sogar vorrangig als westliches Problem betrachtet. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie von Partnern hören "Missbrauch durch Geistliche ist hier bei uns kein Problem"?

Bingener: Dieser Einstellung begegne ich immer weniger. Im Grunde genommen gibt es zwei Reaktionen: Entweder wird das Thema nicht angesprochen, weil es stark tabuisiert ist. Dann versuchen wir in der Zusammenarbeit das Thema proaktiv zu setzen. Die andere Reaktion ist, dass das Thema von den Partnern vor Ort angesprochen wird und wir uns darüber austauschen, wie wir die Präventionsarbeit unterstützen können. Förderschwerpunkt für das Kindermissionswerk ist der Kinderschutz, bei Missio kümmern wir uns verstärkt um den Schutz von Ordensfrauen. Missbrauchsfälle, von denen wir erfahren, melden wir konsequent an die zuständigen Stellen. Wenn in den Projekten, die wir fördern, nicht adäquat mit dem Thema Missbrauch umgegangen wird, verhängen wir Fördersperren, die wir erst lösen, wenn sich dies geändert hat.

Frage: Geldgeber im globalen Westen haben ja grundsätzlich wenig Einblick darin, wie die Partner vor Ort mit dem Geld umgehen. Wie kann man da für Sicherheit sorgen, ohne in ein neokoloniales Aufsichtsverhältnis zu geraten?

Bingener: Zunächst einmal fördern wir in der Regel nur Projekte, die uns die Ortskirche vorschlägt oder die eine entsprechende Empfehlung haben. Somit planen wir nicht am Bedarf vorbei. Es liegt auch im Interesse unserer Partner, dass Mittel transparent eingesetzt werden. Daher gibt es von Anfang an einen Dialog, in dem Ziele, Zeiträume und Budgets des Projekts klar vereinbart und dann auch überprüft werden. Das wird in vielen Fällen auch durch unabhängige Audits kontrolliert. Wir wollen insgesamt weniger Dinge in Aachen entscheiden, sondern die Entscheidungen sollen stärker im globalen Süden getroffen werden. Vor Kurzem hatten wir bei Missio mehrere Vertreter von Bischofskonferenzen aus verschiedenen Ländern Afrikas hier bei uns in Aachen, die wir mit unseren Förderkriterien vertraut gemacht haben. Sie sollen zukünftig Entscheidungen in den jeweiligen Ländern begleiten können. Die Reaktionen der Bischofskonferenzen sind interessant, weil einige dieses Angebot annehmen und andere sagen: Entscheidet ihr das lieber weiter bei euch, bei uns sorgt das sonst nur für Auseinandersetzungen.

Beratungen bei der Weltsynode
Bild: ©Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA

Bei der abschließenden Sitzung der Weltsynode im Herbst soll eine ganze Reihe Themen besprochen werden. Das ist auch gut so, findet Pfarrer Dirk Bingener: "Ich halte es für wichtig, diese Themenfülle zu bearbeiten, und dafür braucht es das Gespräch und den Austausch."

Frage: Bald steht die nächste Sitzungsperiode der Weltsynode in Rom an. Von den Verantwortlichen dort heißt es immer wieder, Reformfragen würden nicht von allen Ortskirchen gleichermaßen gestellt. Das ist auch ein Grund, warum beispielsweise das Thema Frauenweihe bei der kommenden Sitzungsperiode nicht besprochen, sondern ausgeklammert werden soll. Beobachten Sie auch, dass diese – zumindest in Deutschland – als sehr wichtig erachteten Themen bei Ihren Partnern nur eine geringe oder gar keine Rolle spielen?

Bingener: Die Rolle von Frauen in der Kirche, Klerikalismus, LGBTQ, Synodalität – das sind alles Fragen, die auch in der Weltkirche eine wichtige Rolle spielen. Für viele Ortskirchen kommen aber noch weitere Themen hinzu, etwa die Frage nach dem Umgang mit Krieg und Terror, mit Hunger, mit Flucht oder die Frage der Religionsfreiheit. Ich halte es für wichtig, diese Themenfülle zu bearbeiten, und dafür braucht es das Gespräch und den Austausch.

Frage: Was bedeutet das denn für konkrete Reformen? Muss die Kirche auf die Menschen Rücksicht nehmen, die kulturell und theologisch "noch nicht so weit" sind?

Bingener: Eine Diskussion, wer vermeintlich wie weit sei, ist sicher nicht sachgerecht. Ich glaube, die Menschen bei uns sind zu lange mit dem Argument vertröstet worden, die Weltkirche müsse nachkommen. Grundsätzlich muss man die Einheit wahren und es braucht gleichzeitig differenzierte Antworten auf die unterschiedlichen Lebensumstände. Bei meinen Reisen in den vergangenen fünf Jahren habe ich erlebt, wie unterschiedlich Menschen leben. Darauf braucht es unterschiedliche Antwortmöglichkeiten und natürlich den Willen, den anderen wirklich zu verstehen. Gerade deswegen haben Hilfswerke wie Missio hier eine wichtige Brückenfunktion.

Frage: Braucht es also auch verschiedene Lösungen, was die Weihe von Frauen angeht?

Bingener: Ja, ein wichtiger Schritt ist das Diakonat der Frau, den die deutschen Bischöfe im Sinne des Synodalen Weges in die Weltsynode einbringen werden.

„So strahlend wie die Sternsinger zu sein, ist aus meiner Sicht daher Mission im besten Sinne.“

—  Zitat: Pfarrer Dirk Bingener

Frage: Nehmen Sie wahr, dass die Diskussionen um den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland – oder das, was davon ankommt – das Verhältnis zu ihren Partnern in Afrika, Asien und Ozeanien belasten, frei nach dem Motto: "Ihr wollt uns doch mit eurer Hilfe nur die Frauenweihe unterjubeln"?

Bingener: Nein, so argumentieren unsere Partner in der Weltkirche nicht. Dennoch gibt es Befürchtungen. Am Rande der letzten Sitzung der Weltsynode hat ein afrikanischer Bischof sehr deutlich gesagt, dass das einzige, auf das sich viele Menschen in seinem Land verlassen können, die Kirche ist. Deswegen hat er davor gewarnt, die Kirche und deren Einheit zu beschädigen. In seinem Beitrag kam die Angst vor einer möglichen Kirchenspaltung zum Ausdruck.

Frage: Es gibt also durchaus Missverständnisse darüber, was der Synodale Weg ist und was er erreichen will?

Bingener: Viele Akteure, wie die deutschen Bischöfe, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) aber auch die Hilfswerke, versuchen deutlich zu machen, dass man keine Angst vor dem Synodalen Weg haben muss. Man hat ja nun auch in Deutschland gemerkt, wie wichtig es ist, weltkirchliche Player stärker mit einzubeziehen, gerade auch um Missverständnisse zu vermeiden.

Frage: Sowohl beim Kindermissionswerk "Die Sternsinger", als auch bei Missio Aachen steckt das Wort "Mission" schon im Titel. Gerade für westliche Ohren kann das aber befremdlich oder fast übergriffig klingen. Was bedeutet Mission heute und wie kann das aus Ihrer Sicht aussehen?

Bingener: Als Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikats erklärt hat, warum er den Namen Franziskus gewählt hat, hat er auch einen Satz des Heiligen Franziskus an seine Mitbrüder zitiert: "Verkündet das Evangelium, und wenn es nötig ist, dann auch mit Worten." Notfalls also mit Worten! Es geht also gar nicht darum, das Wort Mission oder Jesus dauernd auf seinen Lippen zu führen, sondern um das konkrete Zeugnis in der Tat, indem man tröstet, heilt, hilft, betet und füreinander da ist. Ich bin in den vergangenen fünf Jahren so vielen Menschen begegnet, die gar nicht so oft gesagt haben, dass sie Missionarinnen und Missionare sind, sondern die das überzeugend leben. Die Sternsinger sind dafür ein sehr gutes Beispiel: Sie gehen an die Haustüren von Menschen, die sie manchmal gar nicht kennen, verkünden die Geburt des neugeborenen Königs, schreiben den Segen an und sammeln Spenden für ihre Altersgenossen. Alle freuen sich auf sie, strahlend verändern sie die Welt im Sinne Jesu. So strahlend wie die Sternsinger zu sein, ist aus meiner Sicht daher Mission im besten Sinne.

Von Christoph Brüwer