Neue Wege gegen den Mitarbeitermangel in der Kirche
Katholischer Seelsorger – bis nach dem Zweiten Weltkrieg war klar, wer das ist: ein geweihter Priester. Lang vorbei. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil kamen Diakone hinzu, und, nach einigen Kämpfen, Pastoral- und Gemeindereferenten, die nicht geweiht sind, aber Theologie oder Religionspädagogik studiert haben. Nun differenziert sich der Beruf weiter aus, zumindest in Deutschland. Längst gibt es nicht mehr genügend Priester, Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferenten, um frei werdende Stellen zu besetzen. Das Personal wird noch schneller knapp als das Geld. "Wir steuern auf eine Katastrophe zu", sagt ein Insider.
An den Theologischen Fakultäten der Unis machen inzwischen Lehramtler das Gros der Studierenden aus. Der Magister, also das theologische Vollstudium, ist ins Abseits geraten. Ein Orchideenfach im universitären Fächerkanon. Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche als Arbeitgeber auch nicht gerade attraktiver gemacht – liberalisiertes Arbeitsrecht hin oder her. Dazu kommt: Zahlenmäßig starke Jahrgänge von Laientheologen gehen derzeit in Rente und verschärfen das Problem.
Woher also sollen die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Zukunft kommen? Wo lassen sich verborgene Talente entdecken? Mehrere Bistümer stellen in Ermangelung von Alternativen inzwischen Sozialpädagogen ein. Im Erzbistum Paderborn nennt man sie "Pastorale Mitarbeiter*innen" und testet sie: in Tätigkeitsfeldern wie Kinder- und Jugendarbeit, Ehrenamtsmanagement, Kommunikation und Medien. Aber: "Diese und andere Berufsgruppen werden die einbrechenden Zahlen beim Seelsorgepersonal nicht ausgleichen können", sagt ein Bistumssprecher.
Multiprofessionelle Teams
Auch im Bistum Münster gibt es mittlerweile auf Pfarrebene "multiprofessionellen Teams". Bei den Nicht-Theologen handelt es sich in der Regel um Sozialarbeiter. Sie machen zum Beispiel karitative Netzwerkarbeit, begleiten verwaiste Eltern. Die Erfahrungen mit ihnen in elf Pfarreien seien "überwiegend positiv", vor allem dort, "wo die angestellte Person nicht im Schwerpunkt für religionspädagogische, katechetische, liturgische Aufgaben vereinnahmt wurde und wird", heißt es bei der Diözese. Derzeit sei die Möglichkeit aber ausgesetzt. Die Abgrenzung zur Seelsorge müsse "noch deutlicher definiert werden".
Und dann gibt es gemeinsame Initiativen von Hochschulen und Bistümern. Digital und dual ausbilden, lautet eine Strategie. Ab kommendem Wintersemester steht dieser Weg angehenden Gemeindereferentinnen und Religionslehrern an der Katholischen Stiftungshochschule München (KSH) offen. Das Onlinestudium ist auf sieben Semester angelegt. In der Zeit sind die Studierenden bereits bei den beteiligten Bistümern angestellt. Dazu müssen diese mit der Hochschule einen Kooperationsvertrag abschließen. Das haben inzwischen sechs Bistümer getan, darunter auch ein außerbayerisches, Rottenburg-Stuttgart. Eine Hand voll weiterer Diözesen sei interessiert, heißt es.
Gestartet werden soll mit rund 15 Studierenden, das klingt zunächst nach Testphase. Vorteil des neuen Angebots: Für das Studium ist kein Wohnortwechsel nötig, ein zweiwöchiger Präsenzblock in München oder Benediktbeuern pro Semester halten den Aufwand bei der Herbergssuche in Grenzen. Die Resonanz zeige, dass der neue Studiengang Zielgruppen anspreche, die durch das bisherige Angebot der Hochschulen nicht erreicht worden seien, sagt der Erfinder des Studienmodells, der Benediktbeurer Religionspädagogik-Professor Ralf Gaus.
40 Erstsemester
In der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen bei Frankfurt/Main startete schon vor einem Jahr der neue Studiengang "Kirchliche Praxis in säkularer Gesellschaft" mit 40 Erstsemestern – eine erstaunliche Zahl. Der Bachelor lässt sich berufsbegleitend erwerben und soll Gemeindereferentinnen und -referenten hervorbringen. So lautet zumindest die Hoffnung der an der Hochschule finanziell beteiligten Nord-Bistümer einschließlich Limburg.
In Passau sieht man eine stille Reserve in Ehrenamtlichen, die bisher außerhalb der Kirche ihrem Brotberuf nachgehen: die Ärztin, die sich in ihrer Gemeinde als Kommunionmutter engagiert; der Jurist, der in seiner Freizeit bei der Telefonseelsorge mitmacht; die Verwaltungsangestellte, die sich zur Lebensmitte beruflich noch einmal neu orientieren will. Der an der Uni Passau lehrende Kirchenhistoriker Christian Handschuh spricht in diesem Zusammenhang von einer "Klientel, die wir jahrelang vernachlässigt haben".
Ab Herbst 2025 soll es an seiner Hochschule einen Masterstudiengang Pastorale Arbeit geben: Vier Semester in Vollzeit, acht Semester in Teilzeit für Seiteneinsteiger, die ihren Beruf nicht gleich ganz aufgeben wollen. Handschuh sagt, er hat sogar schon Anfragen aus Österreich dazu bekommen.
Das Bistum Passau ist mit von der Partie und unterstützt das neue Studium mit immerhin 1,5 Millionen Euro. Wobei das Bistum nicht nur die Rekrutierung Hauptamtlicher im Visier hat. Auch diejenigen, die sich weiter ehrenamtlich betätigen wollen, sollen in wohl dosierter Form dafür von Universitäts-Theologie profitieren und etwa einzelne Module belegen, was sie dann zertifiziert bekommen. Dafür brauchen sie weder Abitur noch ein Studium.
Bisheriges System funktioniert nicht mehr
Für Handschuh ist klar: Das System der herkömmlichen Berufsbilder in der Seelsorge "funktioniert nicht mehr". Die Kirche erlebe "eine ganz normale Transformation"; Rollen und damit verbunden auch Einsatzgebiete sowie Gehaltsklassen gerieten unter Veränderungsdruck. Der Theologische Fernkurs an der Würzburger Domschule sei in dieser Lage kein ausreichendes Angebot mehr für "spätberufene" Laien-Seelsorger.
Als Konkurrenz zu etablierten theologischen Studiengängen will sich die Gemeinschaftsinitiative von Bistum und Uni ausdrücklich nicht verstehen, eher als Ergänzung. Und als Bereicherung. Für die künftige Tätigkeit hauptamtlicher Seelsorger an der Schnittstelle zwischen mehreren Orten und Gemeinden brächten berufserfahrene Quereinsteiger von Haus aus mehr Flexibilität mit als Theologen, sagt Handschuh.
„Meines Erachtens reichte es vollkommen aus, in einem Team eine Theologin zu haben oder einen Religionspädagogen, der Rest aber sollte aus zivilen Berufen stammen.“
Passau, Eichstätt, Sankt Georgen – Barbara Reitmeier sieht diese Standorte als Vorreiter, die akademische Theologie in Deutschland neu aufzustellen. Reitmeier ist Geschäftsführerin der für kanonische Studiengänge in Deutschland zuständigen Akkreditierungsagentur AKAST in Ingolstadt. So gut wie alles, was auf diesem Gebiet von Unis und Hochschulen initiiert wird, landet über kurz oder lang auf ihrem Schreibtisch. "Ich bin sicher, dass nächstes Jahr auch Initiativen von anderen Standorten kommen", sagt sie.
Wer Diplom-Theologie in den 1980er Jahren studierte, wird sich noch an die Grabenkämpfe zwischen "Pastis" und Priestern erinnern. Wer darf dem Altar wie nahe kommen? Predigen? Und an die Scharmützel zwischen Gemeinde- und Pastoralreferenten, Stichwort "Schmalspurtheologie". Es wäre verwunderlich, würden solche Profil- und Abgrenzungsdebatten nicht neu aufleben. Fragt sich nur, ob man dadurch noch einmal so viele Leute wie seinerzeit verprellen will, in der Seelsorge zu arbeiten.
Chance vertan
Eine noch weitergehende Perspektive erhofft sich Michael Kosubek, Pastoralreferent in Bremen. Vor zwölf Jahren kam er nach langjähriger Arbeit in Brasilien zurück ins Bistum Osnabrück. Dass seine Diözese Sozialpädagoginnen und -arbeiter nach einem theologischen Schnellkurs meist nur in der Erstkommunionvorbereitung und anderen pastoralen Aufgaben einsetzt, hält er für einen konzeptionellen Fehler. Damit werde eine Chance zu breitgefächerter interdisziplinärer Arbeit in den Gemeinden vertan.
In den Basisgemeinden Brasiliens, in denen er tätig war, gab es assoziierte Kräfte wie Gewerkschaftler, Ärzte, Rechtsanwälte, Psychologen, Sozialassistenten, Wirtschaftsexperten, die ihr jeweiliges Wissen und Erfahrung in die Gemeinschaften einbrachten. "Meines Erachtens reichte es vollkommen aus, in einem Team eine Theologin zu haben oder einen Religionspädagogen, der Rest aber sollte aus zivilen Berufen stammen."
Neben dieser binnenkirchlichen Sicht – wer macht was in der Gemeinde? –, betont Kosubek, sehe der "eigentliche Auftrag einer missionarischen Kirche" vor, dass pastorale Kräfte "wie Schafe unter Wölfen" auch in zivilen Berufen arbeiten, um dort "vom Glauben Zeugnis abzulegen". Damit aber ist der Rahmen einer Kirche als formaler Arbeit- und Gehaltgeber verlassen.