Zwischen brennenden Handabdrücken und Gebetszettelchen

Ein Fegefeuermuseum im Fegefeuer

Veröffentlicht am 08.09.2024 um 11:30 Uhr – Von Meike Kohlhoff – Lesedauer: 
Orte des Ungewissen: Teil II

Rom ‐ Als ein Kollege unserer Redakteurin Meike Kohlhoff vorschlägt, doch mal das Fegefeuermuseum in Rom zu besuchen, ist sie ganz schön verwirrt. Was will er ihr damit sagen? Zur Sicherheit besucht sie es tatsächlich – ein skurriles Erlebnis.

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Es ist heiß Ende Juli in Rom! Als ich aus dem klimatisierten Hotelzimmer trete, um mich auf den Weg ins Fegefeuermuseum zu machen, habe ich das Gefühl, gleich zu verbrennen. Vermutlich ist das direkt die Strafe für meine Völlerei am Vorabend. Ich hätte nach der Pizza doch nicht auch noch das Tiramisu bestellen sollen. Ein kleiner Vorgeschmack auf das Fegefeuer. Dabei trennen mich vom Museum noch zwei Kilometer Fußweg.  

Eigentlich bin ich nur hier, weil ein Kollege meinte, das Fegefeuermuseum sei der perfekte Ort für mich, wenn ich einmal in Rom bin. Ich liebe zwar alles, was irgendwie gruselig ist und bin jedes Jahr schon ab Juni in Halloweenstimmung, aber das Purgatorium stand bislang nicht auf meiner Liste. 

Die Vorstellung der Kirche über das Fegefeuer ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig: Bevor die Seelen von Verstorbenen in den Himmel aufsteigen können, kommen sie zunächst in das Fegefeuer, wo sie gereinigt werden. Dargestellt wird das in der Kunst oft mit gruseligen Bildern beinahe brennender Menschen, die verzweifelt nach dem Himmel streben. Ich bin gespannt, was hier auf mich zukommt.

Die Kirche ist von außen und innen unauffällig

Das Fegefeuermuseum befindet sich in einer kleinen Kirche am Tiber, nicht weit vom Vatikan. Von außen wirkt alles sehr hell und einladend, nur ein kleines Schild weist auf das Museum hin. Innen ist die Kirche leer. Erst nachdem ich den Mittelgang schon fast bis ganz nach vorne gegangen bin, fällt mir ein Priester auf, der neben dem Altar mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl in der Ecke sitzt. Der Innenraum der Kirche an sich ist eigentlich im besten Sinne unauffällig. Sie ist in schlichtem beige gehalten und der einzige Hingucker ist ein großes Gemälde direkt hinter dem Altar. Jesus im Himmel ist darauf von Engeln umgeben, unten auf der Erde strecken Menschen ihre Hände nach ihm aus und bitten, zu ihm aufsteigen zu dürfen. Dafür müssen sie aber erst im Fegefeuer geläutert werden, das werden ich gleich noch genauer betrachten. Der Eingang zum Museum ist innerhalb der Kirche nicht ausgeschildert. Zaghaft schaue ich um jede Ecke, immer in der Angst, dass mir gleich der Teufel höchstpersönlich entgegenspringt. Tut er natürlich nicht. Das Einzige, was mir entgegenspringt, ist ein etwas moderiger Geruch. Ich hätte gar nicht gedacht, dass hier ein so immersives Erlebnis auf mich wartet.
 

Bild: ©KNA/Elisabeth Hüffer

Die Rahmen und Ausstellungsstücke wirken zusammengewürfelt.

Als ich den Raum dann finde, bin ich ein wenig enttäuscht. Er ist nur gut zwei mal vier Meter groß. An den Wänden hängen Gemälde, die – Überraschung – Menschen im Fegefeuer zeigen. Spannender aber sind die zahlreichen fleckigen Tücher oder Buchseiten, eingerahmt und geschützt hinter Plexiglas. Sie haben alle eine unterschiedliche Größe und auch die Rahmen sind nicht einheitlich. Manche bestehen aus viel Gold mit Verzierungen, andere sind schlicht aus Holz. Ein bisschen so sah auch die Wohnwand meiner Großmutter aus. Allerdings hätte sie nie etwas aufgehangen, auf dem schwarze oder gelbliche Verschmutzungen in Hand- oder Fingerform zu sehen sind. Hier hat nicht etwa jemand eine Zigarette ausgedrückt oder seinen schmutzigen Abdruck nach der Gartenarbeit hinterlassen. Die Flecken sollen von Menschen aus dem Fegefeuer höchstpersönlich stammen.

Bei den meisten Geschichten hinter den Abdrücken geht es darum, dass eine Person aus dem Fegefeuer einem Lebenden erscheint und ihn zum Beispiel darum bittet, für ihn zu beten und dabei Spuren hinterlässt. Ich weiß das, weil unter den Exponaten ein Tisch mit Plastikschubladen steht, in denen sich ausgedruckte DIN-A4 Seiten befinden, die jedes Ausstellungsstück erklären. Ein kleines Rosenbäumchen aus Plastik, das man neben diesen Tisch gestellt hat und und die staubigen Wandleuchten, deren Verkabelung eher schlecht als recht versteckt wurde, machen den Charme dieses Raums nicht besser.

Ein Gebet zum Mitnehmen

Nach ein paar Minuten hat man hier alles gesehen und ich kehre zurück in die Kirche. Als ich aus dem Museum komme, ist der Priester wach. Da er kein englisch spricht, frage ich ihn mit Händen und Füßen nach dem Opferstock. Wir kommen zu dem Schluss: Gibt es hier nicht. Auch auf dem Altar und im Museum selbst sind alle Kerzen erloschen. Also kein echtes Feuer im Fegefeuermuseum? Na gut. 

Vor dem Ausgang kann man sich noch kleine Gebetskärtchen mitnehmen. "Dieses Gebet befreit viele Seelen aus dem Purgatorium, wenn es mit Liebe rezitiert wurde", steht darauf. Ich probiere das natürlich direkt aus. Nicht uneigennützig, schließlich hoffe ich, dass für mich, wenn es mal so weit ist, auch jemand ein solches Gebet spricht. Ob es gewirkt hat, weiß ich leider nicht. Auf meiner Kleidung ist jedenfalls bis heute kein Brandfleck erschienen.

Bereue ich den Besuch?

Wieder vor der Kirche setze ich mich einen Moment an den Fluss. Das war schon ein sehr skurriles Erlebnis. Aber als ich so darüber nachdenke, mit welchen Worten ich mich bei meinem Kollegen über diesen Tipp beschweren werde, merke ich, dass ich mich eigentlich gar nicht beschweren will. Hätte ich mich heute Morgen lieber mit tausenden Touristen am Kolosseum herumgetrieben? Auf keinen Fall. Zum einen habe ich eine sehr schöne kleine Kirche gefunden und bin irgendwie zur Ruhe gekommen, ohne dass ich das bemerkt oder beabsichtig hätte. Auf jeden Fall möchte ich das demnächst öfter tun, in kleine Kirchen gehen, auch, wenn ich eine bekannte Stadt besuche. Zum anderen finde ich es gar nicht schlecht, wenn man mal dazu gezwungen wird, sich mit dem zu beschäftigen, was nach dem Tod passiert. Ob die Fingerabdrücke nun echt sind oder nicht: Sie erinnern uns daran, was im hier und jetzt wichtig ist. Nämlich, dass wir auf der Erde ein gutes und ehrliches Leben führen.   

Von Meike Kohlhoff